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Russisches Dissidenten-Paar
Nach der sibirischen Strafkolonie sagt er: «Ich werde nach Russland zurückkehren»

Wladimir und Ewgenia Kara-Mursa beim 17. Genfer Gipfel für Menschenrechte und Demokratie am 18. Februar 2025.
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In Kürze:
  • Ewgenia und Wladimir Kara-Mursa kämpfen aus dem Exil gegen Putins Regime.
  • Wladimir Kara-Mursa berichtet über Foltererfahrungen in russischer Haft.
  • Beide fordern die Freilassung von Kriegsgefangenen und politischen Gefangenen.
  • Sorgen bereiten ihnen Putin-freundliche Politiker in Europa.

Als Ewgenia Kara-Mursa erfuhr, dass ihr Mann Wladimir aus dem Gefängnis entlassen worden war, stand sie neben Joe Biden. Ihre beiden Kinder drängten sich neben dem damaligen US-Präsidenten im Oval Office um ein Telefon. Nach langer Zeit hörte die Familie erstmals seine Stimme, wie ein Video des Weissen Hauses zeigt. «Kein Wort kann ausdrücken, was ich fühle. Ich war sicher, dass ich im Gefängnis sterben würde», sagte Wladimir Kara-Mursa damals. Er gehörte zu 16 zu Unrecht Inhaftierten, die im August des vergangenen Jahres durch einen Gefangenenaustausch freikamen.

Ein halbes Jahr später sitzen Wladimir und Ewgenia Kara-Mursa in Genf vor einer Gruppe von Journalistinnen und Journalisten. Sie erklären, wie sie aus dem Exil den Kampf gegen Wladimir Putins Unrechtsregime führen. Die beiden sind konzentriert und ernst. Wladimir Kara-Mursa lächelt ab und zu, seine Frau bittet um Nachsehen, es sei immer noch überwältigend, mit ihm zusammen aufzutreten.

Solche Medienauftritte machen sie jetzt im Duo. Als der frühere Politiker Wladimir Kara-Mursa noch in einer der berüchtigten sibirischen Strafkolonien sass, trat Ewgenia allein bei internationalen Podien auf. Vor zwei Jahren berichtete sie in Genf von den schweren gesundheitlichen Problemen des politischen Gefangenen. Die heute 44-jährige Übersetzerin sprach von Lähmungserscheinungen und verweigerter medizinischer Hilfe. Auf der Bühne hielt sie ein Bild ihres Mannes.

Ewgenia Kara-Mursa reagiert während einer Diskussion bei der Washington Post in Washington, D.C., am 17. April 2023, mit einem Bild ihres inhaftierten Mannes, des politischen Aktivisten Wladimir Kara-Mursa, im Hintergrund.

Nun beschreibt Wladimir Kara-Mursa (43) aus erster Hand die psychische Folter, die er erlebte. Er sass in Isolationshaft, durfte nur 90 Minuten am Tag Papier und Stift benutzen. Den Rest der Zeit blieb ihm nichts, als in der Zelle im Kreis zu laufen. «Der Verstand fängt an, einem Streiche zu spielen», sagt er. Er habe einfache Wörter und Namen von Bekannten vergessen, Wände angeschrien. «Ich wusste nicht mehr, was real ist und was ich mir eingebildet hatte.»

Sie fordern Freiheit für andere politische Gefangene

Um den Verstand nicht zu verlieren, setzte er sich Ziele. Er begann, im Gefängnis Spanisch zu lernen. In Genf unterhält er sich mit einem spanischen Journalisten in nahezu fliessendem Spanisch, auch Französisch beherrscht Kara-Mursa, neben Englisch und seiner Muttersprache Russisch. Auch seine Frau ist die Mehrsprachigkeit gewohnt. Die Kara-Mursas gelten unter den russischen Dissidenten als besonders wortgewandt.

Die beiden setzen sich heute vor allem für andere politische Gefangene ein. Wladimir Kara-Mursa macht denn auch schnell seinen Punkt. «Jede Nachkriegsregelung, jede Vereinbarung zur Beendigung des Blutvergiessens in der Ukraine» müsse «eine Bestimmung über die Freilassung aller Kriegsgefangenen enthalten», sagt er. Kriegsgefangene auf beiden Seiten, «das versteht sich von selbst, das verlangt eigentlich die dritte Genfer Konvention».

Er spricht ausserdem von ukrainischen zivilen Geiseln, Tausenden Menschen, die in russischen Gefangenenlagern festgehalten werden. Und er mahnt die Freilassung der Tausenden verschleppten ukrainischen Kinder an. Gegen Wladimir Putin liegt wegen der Entführung dieser Kinder ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vor.

Die Kara-Mursas wissen, dass Putins Position stark ist

Und Kara-Mursa besteht auf die Freilassung aller russischer politischer Gefangener. 1497 Menschen seien derzeit eingesperrt, weil sie sich – wie er – gegen den russischen Angriffskrieg ausgesprochen hätten. Sie wurden nicht ausgetauscht wie Kara-Mursa, für sie kämpft er jetzt.

Die Kara-Mursas wissen, dass die Lage für den russischen Diktator Putin derzeit günstig ist. Bald könnte er direkt mit Donald Trump in Saudiarabien über das Schicksal der Ukraine verhandeln – wie die Ukraine in den Prozess eingebunden wird, ist offen. Putin-freundliche Parteien wie die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich gewinnen an Einfluss. Diese Entwicklung bereitet Wladimir Kara-Mursa grosse Sorgen. «Wer Wladimir Putin die Hand reicht, muss wissen, dass sie von Blut durchtränkt ist», sagt der Dissident.

«Ich dachte, die Geschichte des 20. Jahrhunderts, besonders diejenige Europas in den 1930er-Jahren, hätte die Welt gelehrt, dass es fatal ist, Diktatoren zu beschwichtigen», sagt er. Wenn diese Lektionen nicht ausreichten, hätten die letzten 25 Jahre unter Putin eine Warnung sein müssen.

Er erinnert sich an das Jahr 2003, als er als Journalist in London arbeitete. Kurz nachdem Putin den letzten unabhängigen TV-Sender in Russland schliessen liess, empfing ihn die Queen mit allen Ehren. «Leider lernen manche nicht aus den Fehlern der anderen und wiederholen sie lieber selbst», sagt Kara-Mursa.

«Eine gefährliche Lektion für andere Diktatoren»

Ewgenia Kara-Mursa warnt, das Verhalten des Westens werde über Russland hinaus Folgen haben. Die Ukraine hätte den Krieg gewinnen können, hätte der Westen sie stärker unterstützt. «Andere Diktatoren sehen, dass man mit schweren Kriegsverbrechen davonkommt. Das ist eine gefährliche Lektion.»

«Das ist das letzte Mal, dass Sie Ihr Heimatland sehen», hörte Wladimir Kara-Mursa, als er ausgetauscht und aus Moskau ausgeflogen wurde. Er hofft auf eine Rückkehr nach Russland.

Trotz aller Kritik schimmert in den Worten der Kara-Mursas ihre Verbundenheit mit Russland durch. Wladimir Kara-Mursa ist es wichtig, zwischen Putins Regime und der russischen Bevölkerung zu unterscheiden. Es gebe Menschen in Russland, die Putins Krieg ablehnten und dafür Gefängnisstrafen riskierten.

Er erwähnt einen Mann, der sechs Jahre Haft erhielt, weil er in einer Umfrage angab, den Ukraine-Krieg abzulehnen. Dass westliche Medien oft behaupten, die russische Bevölkerung stehe geschlossen hinter dem Krieg, ärgert ihn. «Sie stützen sich auf Meinungsumfragen, die in einer totalitären Diktatur wertlos sind», sagt er.

Dieser Punkt ist strittig. Der wohl letzte unabhängige Meinungsforscher in Russland, Lew Gudkow, besteht auf der Validität seiner Umfragen. Seine Arbeiten deuten immer wieder auf hohe Zustimmungswerte hin. Auch wird im Ausland das Schweigen aus Angst als stille Zustimmung zum Krieg wahrgenommen.

Ilya Yashin, Andrei Pivovarov und Vladimir Kara-Murza bei einer Pressekonferenz in Bonn am 2. August 2024 nach ihrer Freilassung im Rahmen eines Ost-West-Gefangenenaustauschs.

Kara-Mursa hält dem entgegen, dass er in der Haft Tausende Briefe aus Russland bekam. Diese Menschen gingen ein grosses Risiko ein, ihm zu schreiben. Wer mit einem politischen Gefangenen kommuniziert, riskiert eine Haftstrafe. «Auch das ist Russland», sagt er.

Wladimir Kara-Mursa bleibt Optimist. Er erzählt vom Ablauf des Gefangenenaustauschs und von seinem Flug in die Freiheit. Damals flog er von Moskau aus in Richtung Ankara. Im Flugzeug eskortierte ihn ein russischer Geheimdienstoffizier, der ihm riet, aus dem Fenster zu schauen. «Das ist das letzte Mal, dass Sie Ihr Heimatland sehen.» Kara-Mursa lachte und sagte, er sei Historiker und wisse, wie schnell russische Diktatoren gestürzt würden. Oft sei es eine Sache von wenigen Tagen. «Ich werde nach Russland zurückkehren», erwiderte er, «und das schneller, als Sie glauben.»