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Gratis-Wellness, frei am Geburtstag
Mit diesen Goodies buhlen Firmen um Arbeitskräfte

Winterthur 
Gratis Haarschnit für Obdachlose 
Bei Coiffeur Salon Glamour & Style
Foto : Marc Dahinden 
29.11.2021
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Die Baumann-Kölliker-Gruppe montiert Solarpanels, installiert Brandmelder und rüstet Parkplätze mit Elektro-Schnellladestationen aus. Das ist ein technisches, aber auch personalintensives Geschäft: Es braucht ausgebildete Fachkräfte, die etwas von Elektrotechnik, Fiberoptik oder Telematik verstehen.

Um solche Leute anzuwerben, hat sich die Zürcher Firma etwas einfallen lassen. Neu können alle Mitarbeitenden am eigenen Geburtstag freinehmen – ohne dass ihr Ferienguthaben belastet wird. Es ist eine von diversen Massnahmen, mit denen Baumann Kölliker als Arbeitgeberin attraktiv bleiben will.

Mit diesem Anliegen ist sie nicht allein. Viele Firmen hübschen in Zeiten des Fachkräftemangels ihre Anstellungsbedingungen auf. Dies geht aus einer jährlichen Umfrage von Know.ch hervor, einem Beratungsbüro für Mitarbeitermanagement. Rund zwei bis drei Prozent der Firmen gaben in dieser Umfrage über die letzten Jahre an, zusätzliche Feiertage eingeführt zu haben.

Demgegenüber finden sich in der Umfrage fast keine Firmen, die den Anspruch auf Feiertage gekürzt haben. Auch dieser Trend war zuletzt beständig: Man muss schon zurück zur Euro-Krise und dem darauf­folgenden «Frankenschock» von 2015 gehen, um eine Häufung von negativen Anpassungen zu finden.

Sechs statt fünf Wochen Ferien

Ähnlich sieht es beim Ferienanspruch aus. Auch hier passt eine einstellige Prozentzahl von Firmen jedes Jahr die Anstellungsbedingungen an – zugunsten der Mitarbeitenden. Aufs Jahr 2024 hin führt etwa das Zuger Kantonsspital zwei zusätzliche Ferientage ein. Die Angestellten erhalten ausserdem mehr Lohn und einen höheren Zuschlag für die Nacht- und Wochenendarbeit.

Demgegenüber hat praktisch kein Unternehmen in den letzten Jahren die Zahl der Ferientage gekürzt, wie aus der Umfrage bei den Unternehmen hervorgeht.

«Das Arbeitsumfeld wird tendenziell mitarbeiterfreundlicher», sagt Andreas Kühn, der die Umfrage als Geschäftsführer von Know.ch seit vielen Jahren durchführt. «Zusätzliche Ferien- und Freitage sind ein einfaches Mittel, mit dem Arbeitgeber ihre Wertschätzung gegenüber dem Personal ausdrücken können.»

Statistiken des Bundes bestätigen seine Einschätzung. Aus der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung geht etwa hervor, dass der Ferienanspruch über die Jahre gestiegen ist. Im Jahr 2000 hatten Vollzeit-Beschäftigte im Schnitt ein jährliches Guthaben von 4,7 Ferienwochen. 2022 waren es 5,1 Ferienwochen.

Eine Firma, die den Ferienanspruch erhöht hat, ist das Reiseunternehmen Twerenbold. Ab dem kommenden Jahr erhalten die Carchauffeurinnen, Fahrzeugmechaniker und Kundenberaterinnen dort sechs Wochen frei. Bisher waren es fünf. In der Reisebranche sei das ein Alleinstellungsmerkmal, sagt Karim Twerenbold, Inhaber des Unternehmens aus Baden. «Auch wir spüren den Fachkräftemangel. Es dauert länger, bis wir Stellen besetzen können.»

Mehr Ferien gewähren ab 2024 schweizweit auch die Coiffeursalons. Im neuen Gesamtarbeitsvertrag sind zweieinhalb zusätzliche Ferientage verankert: Coiffeure können neu viereinhalb Wochen pro Jahr beziehen, ab fünf Dienstjahren sogar fünfeinhalb Wochen. Für die rund 11’000 betroffenen Arbeitnehmenden sei dies willkommen, sagt Migmar Dhakyel, die bei der Gewerkschaft Syna das Dossier betreut. Allerdings bleibe die Branche prekär. «Die wenigsten Angestellten bleiben fünf Jahre beim selben Arbeitgeber.»

Nur noch 35 Stunden pro Woche

Anders als der Ferienanspruch hat sich die wöchentliche Arbeitszeit in den letzten Jahren kaum verändert. Zumindest auf dem Papier: Im Jahr 2022 lag die «betriebsübliche Arbeitszeit» im zweiten und dritten Sektor (also praktisch in der gesamten Schweizer Wirtschaft) gemäss dem Bundesamt für Statistik im Schnitt bei 41,6 Stunden. Genauso viele Stunden waren es bereits 2010 gewesen.

Doch auch dieses Arrangement scheint sich zu verändern. Diverse Arbeitgeber haben zuletzt mit der 4-Tage-Woche experimentiert – und diese nach einer Versuchszeit auch definitiv eingeführt. Zu ihnen zählen etwa der Solothurner IT-Dienstleister Seerow, die Holzbau-Firma Frischknecht aus Kloten und die SH Elektro Telematik aus Spiez. Bei ihr zählt die Arbeitswoche neu 35 statt 40 Stunden. Die Angestellten haben mehr Freizeit bei gleichbleibendem Lohn.

Die Änderung sei vor einem Jahr beschlossen worden, weil der Betrieb grosse Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung gehabt hatte. Dies sagte der Geschäftsführer von SH Elektro Telematik im Oktober zu dieser Redaktion. In der Zwischenzeit habe man aber drei neue Mitarbeiter anstellen können.

Aus der Umfrage von Know.ch geht hervor, dass Arbeitszeitverkürzungen zwar nicht so häufig sind wie Ferienerhöhungen. Doch ein gewisser Anteil der Firmen hat auch in diesem Bereich jedes Jahr die Bestimmungen geändert – indem zum Beispiel das reguläre Wochenpensum von 42 auf 40 Stunden gesenkt wurde.

Die Senkungen bei der vertraglichen Arbeitszeit sind laut Kritikern aber nur die halbe Wahrheit. «Ich glaube kaum, dass die effektiv geleisteten Arbeitsstunden zurückgegangen sind», sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. Immer öfter würden Angestellte auch während der Freizeit etwa geschäftliche Mails beantworten. «Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt zunehmend.»

Ähnlich argumentiert Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik beim Gewerkschaftsdachverband Travailsuisse. «Die Arbeitswelt indivisualisiert sich zunehmend», sagt er. Gerade in Tieflohnbranchen seien Teilzeitpensen und unregelmässige Arbeitszeiten verbreitet. «Diese aufgezwungene Flexibilität hat nicht zur Folge, dass sich die Work-Life-Balance in diesen Branchen verbessert.»

Trotz dieser Bedenken gilt Flexibilität als eine der wichtigsten Forderungen, die Angestellte heute an Arbeitgeber richten. Aus diesem Grund haben zahlreiche Firmen die täglichen Präsenzzeiten gelockert. Homeoffice ist in gewissen Jobs zum Standard geworden. Und immer mehr Betriebe bieten den Mitarbeitenden die Möglichkeit, gegen einen Lohnverzicht zusätzliche Ferientage zu «kaufen».

Ballonfahrten und E-Bike-Touren

Darüber hinaus versuchen sie, Arbeitskräfte mit zusätzlichen Fringe-Benefits zu ködern. Eine ganze Palette von Lohnnebenleistungen steht dabei zur Disposition: Essenszulagen, vergünstigte ÖV-Abonnemente oder vergünstigtes Benzin, gratis Parkplätze, Geschäftswagen, Tickets für Veranstaltungen, Mitgliedschaften in Sport- und Fitnessclubs, kostenfreie Massagen, Dienstalterprämien, Beiträge an Versicherungen und Pensionskassen.

Eine der von Know.ch befragten Firmen bietet neu etwa fünf Wellness-Days pro Jahr an. Diese Tage können Mitarbeitende alleine oder in Gruppen für Projekte ausserhalb des Betriebs nutzen – oder auch für einen Besuch im Wellness-Bad.

Ausruhen auf Kosten des Arbeitgebers: Firmen weiten ihre Lohnnebenleistungen aus.

Dass globale Grossunternehmen ihre Angestellten gerne mit solchen Benefits verwöhnen, ist bekannt. Aber auch kleinere Firmen mit niedrig qualifiziertem Personal sehen sich zunehmend veranlasst, dieses mit Extras zu umgarnen.

So bietet die Zentralwäscherei Chur etwa neu Eintritte ins Schwimmbad an. Gratis können Angestellte von der Firma auch ein E-Bike ausleihen und an der E-Ladestelle das Auto aufladen. «Wir machen sporadisch auch kulinarische Geschenke und bieten eine kostenlose psychologische Beratung an», sagt Geschäftsführer Claudio Hauser. «In einer Wäscherei ist das nicht so üblich.»

Gemäss der Umfrage von Know.ch gibt es Jahr für Jahr deutlich mehr Firmen, die ihre Lohnnebenleistungen verbessern, als solche, die sie verschlechtern.

Ob sich eine Stellensuchende für oder gegen einen Job entscheidet, hänge nicht primär von den Goodies ab, sagt Philipp Metzler, der als Partner bei der Kommunikationsagentur C-Factor auf Employer Branding spezialisert ist. «Sondern davon, ob es eine sinnhafte Tätigkeit in einer Firma mit einer wertschätzenden Kultur ist, in der Mitarbeitenden genügend Freiraum und vielfältige Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung geboten wird.»

Dass sie ihren Angestellten all dies bietet, sagt wie jede moderne Arbeitgeberin auch die Firma Blaser Swisslube. Doch die familiengeführte Herstellerin von Kühlschmiermitteln aus dem Emmental bietet noch mehr: Jeder Mitarbeitende darf einmal gratis mit seinen Angehörigen eine Ballonfahrt machen – und zwar in einem der sechzehn blau-weissen Heissluftballone, die dem Unternehmen gehören und von Piloten aus dem hauseigenen Ballonclub gesteuert werden.

Für sich alleine sichert dies kaum den Nachschub an Fachkräften. Doch es stiftet einen anderen Wert, der für die Firma nicht minder wichtig ist: Identität.