Strafanzeigen gegen Regierungsrätin Juristische Manöver vergiften Waadtländer Wahlkampf
Kurz vor den Staatsratswahlen zieht ein Mitarbeiter von FDP-Regierungsrat Pascal Broulis SP-Regierungsrätin Cesla Amarelle vor den Kadi.
Die ewige Suche nach Ausgleich und politischen Kompromissen ist das goldene Kalb der Waadtländer Kantonsregierung. Das galt zumindest bis vor kurzem. Denn vor den Waadtländer Regierungs- und Parlamentswahlen am Sonntag scheint der pflegliche Umgang untereinander kein oberstes Prinzip mehr zu sein.
Der Grund sind für helvetische Verhältnisse bemerkenswerte Vorgänge. Gleich zwei Strafanzeigen sind jüngst gegen die wieder kandidierende Bildungs- und Kulturdirektorin Cesla Amarelle (SP) eingereicht worden. Dabei ist bei der einen der beiden Anzeigen ein politisches Manöver des Waadtländer Freisinns zumindest nicht auszuschliessen.
Diese Strafanzeige hat gemäss Darstellung der Zeitung «24 Heures» ein Architekt der kantonalen Baudirektion eingereicht, die wiederum dem Departement von Finanzdirektor Pascal Broulis (FDP) angehört. Broulis tritt bei den Wahlen zwar nicht mehr, sitzt aber heute noch zusammen mit Amarelle in der Regierung. Broulis’ Architekt vertrat den Kanton als Bauherr beim Bau eines neuen, 100 Millionen Franken teuren Foto- und Designmuseums, das Mitte Juni in Lausanne eröffnet werden soll. Der Architekt wirft Staatsrätin Amarelle vor, ihn während einer Arbeitssitzung im Beisein anderer Leute herabgesetzt und in seiner Ehre verletzt zu haben.
Cesla Amarelle bestätigte im Westschweizer Radio RTS, an einer Sitzung Klartext geredet zu haben. Das sei aber auch nötig gewesen, so die Magistratin. Verschiedene Personen hätten sich bei ihr über das Verhalten des Mannes beklagt. Folglich habe sie entschieden, die Probleme offen anzusprechen, sie habe aber niemanden verletzen wollen.
Lügen und Sexismus
Gemäss «24 Heures» drehten sich die Vorwürfe an den Architekten um «machohaftes Auftreten, fehlendes Zuhören, Misshandlungen, Lügen und Sexismus». Die Sitzung fand im Oktober 2021 statt, der Architekt hat seine Klage bereits im Januar 2022 eingereicht. Deren Existenz wurde aber erst vor wenigen Tagen bekannt, nachdem der Waadtländer Generalstaatsanwalt, ein Freisinniger, das Büro des Kantonsrats um die Aufhebung von Amarelles politischer Immunität ersuchte hatte. Andernfalls kann die Staatsanwaltschaft gegen die Staatsrätin kein Verfahren eröffnen. Parallel dazu forderte Amarelle das Ratsbüro auf, sie vom Amtsgeheimnis zu entbinden, damit sie die Öffentlichkeit informieren könne.
Nun stellen sich in der Waadt viele Fragen: Wusste Staatsrat Pascal Broulis von der Strafanzeige seines Angestellten gegen seine Regierungskollegin? Wusste er von atmosphärischen Problemen rund um das Bauprojekt? Hat er allenfalls versucht, die Probleme zu lösen?
Broulis’ Rolle ist auch darum von Interesse, weil alle am Bau Beteiligten unter enormem Zeitdruck standen. Aus dem Umfeld des Museums heisst es, der Millionenbau habe nach einer «politischen Agenda» erstellt werden müssen. Die Agenda sei darauf abgestimmt gewesen, dass das Museum Ende Juni 2022, noch vor Broulis’ Abgang , eröffnet werden sollte. Bauherr Pascal Broulis sollte bei der Eröffnung als noch amtierender Staatsrat auftreten können.
Nach politischer Agenda gebaut
Gemäss Recherchen dieser Zeitung, drohte sich der Bau jedoch zu verzögern. Die Corona-Pandemie verlangsamte das Bautempo zusätzlich. Zwischen den am Bau beteiligten Personen kam es zu grossen Spannungen und Reibereien, die auch den Projektleiter aus dem Baudepartement betrafen.
Auf Fragen dieser Zeitung hat Broulis nicht reagiert. Stattdessen schrieb Staatskanzler Aurélien Buffat namens der Regierung: «Der Staatsrat möchte darauf hinweisen, dass unabhängig von den üblichen Problemen und Schwierigkeiten, die mit einer Baustelle dieser Grössenordnung verbunden sind, die Vorsteher der beiden beteiligten Departemente und ihre Teams eng zusammenarbeiten und sich abstimmen, um eine Eröffnung im Juni zu ermöglichen.» Darüber hinaus und wegen der Gewaltenteilung könne «der Staatsrat die Angelegenheit aber weder kommentieren noch sich sonst zu ihr äussern».
Doch die Strafanzeige gegen Amarelle so kurz vor den kantonalen Wahlen verschärft nun den Ton im Wahlkampf. Zusätzlich befeuert wird er durch eine zweite Strafanzeige wegen Ehrverletzung, die ein entlassener Gymnasiallehrer gegen Bildungsdirektorin Amarelle eingereicht hat.
Die Wahlen sind ohnehin hoch umstritten: Die FDP versucht am kommenden Sonntag nicht nur ihre drei Regierungssitze zu verteidigen, sondern auch in einer Allianz mit der SVP und der Mitte-Partei die linke Regierungsmehrheit (3 SP, 1 Grüne) zu knacken.
Nun attackiert die Partei die Bildungsdirektorin in einem Communiqué frontal. Falls sich die in den Strafanzeigen geschilderten Vorgänge bestätigen würden, untergrabe dies das Vertrauen in das Departement Amarelle. «Dies und die zahlreichen Personalwechsel innerhalb des Departements lassen ein belastendes und instabiles Arbeitsklima für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermuten.» Die SP, die in einer Allianz mit den Grünen zu den Regierungswahlen antritt, bedauert wiederum «die Schläge unter der Gürtellinie» gegen Amarelle. «All dieser Lärm» diene der FDP lediglich dazu, die «abgrundtiefen Unterschiede» innerhalb der bürgerlichen Allianz zu kaschieren.
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