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Entscheid über Auslieferung
Wird sein Gesuch abgelehnt, sitzt Julian Assange im Flugzeug in die USA

epa10968520 Stella Moris, wife of the Australian journalist founder of Wiki Leaks Julian Assange, poses for a photo next to a mural created by Trisha Palma, during the inauguration in Scampia, Naples, Italy, 10 November 2023. Naples has decided to confer an honorary citizenship on Assange, a municipal announcement stated on 28 September 2023.  EPA/CESARE ABBATE
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Für Julian Assange ist diese Woche der entscheidende Augenblick gekommen. Zwei Richter am Londoner High Court müssen darüber befinden, ob der Wikileaks-Gründer an die USA ausgeliefert wird – oder ob er gegen die von der britischen Regierung verfügte Auslieferung noch Berufung einlegen kann. Sollte sein Gesuch abgelehnt werden, muss der 52-jährige Assange damit rechnen, umgehend nach Amerika ausgeflogen zu werden.

In den USA erwartet ihn, glauben seine Anwälte, eine Gefängnisstrafe von 175 Jahren. US-Staatsanwälte nennen das «eine masslose Übertreibung». Aber auch sie gehen davon aus, dass Assange kaum je wieder auf freien Fuss gesetzt würde. In den Staaten wird der Publizist geheimer und vertraulicher US-Dokumente als «Spion» oder gar als «Terrorist» eingestuft.

Assange ist in schlechter Gesundheitsverfassung

Eine Überstellung in ein US-Hochsicherheitsgefängnis würde ihr Mann nicht überleben, befürchtet Assanges Frau Stella, ihrerseits Anwältin in London. Schon die fünf Jahre Haft in London hätten Julian schwer zugesetzt, klagt sie. «Mit seiner Gesundheit geht es rapide abwärts, physisch wie psychisch. Mit jedem weiteren Tag, den er hinter Gittern verbringt, ist sein Leben in grösserer Gefahr. Wenn Julian ausgeliefert wird, stirbt er», sagt sie düster voraus.

Tatsächlich hatte schon vor drei Jahren eine Londoner Richterin die Auslieferung Assanges an die USA unter Hinweis auf «die depressive Verfassung» des Häftlings verweigert. Diese lasse befürchten, dass er sich in den USA das Leben nehmen würde, argumentierte die Richterin unverblümt.

Allerdings befand sie gleichzeitig, dass Assange im Belmarsh-Gefängnis bleiben müsse, bis die Richter höherer Instanzen sich mit der Angelegenheit beschäftigt hätten. Und nun, drei Jahre später, ist Assange nach langwierigen Prozessen am Ende dieses Wegs angekommen. Wird ihm nach den Anhörungen an diesem Dienstag und Mittwoch vor dem obersten Gericht die weitere Berufung verwehrt, sind auf britischer Seite alle Möglichkeiten für ihn ausgeschöpft.

Wikileaks enthüllte Kriegsverbrechen der USA

Die Brisanz der bevorstehenden Entscheidung rückt erneut einen Fall ins Licht der Öffentlichkeit, der schon früher, über Jahre hin, weltweit Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Begonnen hatte das Ganze 2010 und 2011, als Assange auf der Enthüllungsplattform Wikileaks Dokumente ins Netz stellte, die Wikileaks damals vom US-Militäranalysten und -Armeeangehörigen Bradley Manning (heute Chelsea Manning) zugespielt worden waren.

Bei den Dokumenten handelte es sich um 90’000 Berichte geheimer oder höchst sensitiver Natur über den US-Krieg in Afghanistan und 400’000 über den im Irak, 800’000 Berichte über Guantánamo-Gefangene sowie zahlreiche Videos und vertrauliche Depeschen von US-Diplomaten aus aller Welt. Mithilfe dieser Veröffentlichungen beförderte Wikileaks Kriegsverbrechen in die Öffentlichkeit, die Washington verzweifelt geheim zu halten versucht hatte.

Assange wurde 2019 von der britischen Polizei festgenommen, nachdem er sich sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London versteckt hatte, um einer Auslieferung an die USA zu entgehen. Ohne juristische Einsprüche auch nur zu prüfen, hatte schon im Sommer 2019 der damalige Innenminister Sajid Javid Assanges Auslieferung an die USA grundsätzlich bewilligt.

Kristinn Hrafnsson, editor in chief of Wikileaks, speaks about the Julian Assange final bid to appeal against extradition, during a press conference, at the Geneva Press Club, in Geneva, Switzerland, Wednesday, February 14, 2024. (KEYSTONE/Martial Trezzini)

Drei Jahre und mehrere Gerichtsurteile später ordnete seine Nachfolgerin Priti Patel, trotz aller Proteste, die Übergabe Assanges an die USA an. Überraschend kam das nicht, denn Patel zählt zur harten Tory-Rechten. Und den Tory-Regierungen war, vor allem nach dem Brexit, daran gelegen, die USA freundlich zu stimmen. In Washington wiederum mochte weder Donald Trump noch Joe Biden einen Verzicht auf Strafverfolgung auch nur in Erwägung ziehen.

Für Trump handelte es sich ganz einfach um einen «Verrat an Amerika» bei der «Publikation von Staatsgeheimnissen». Biden hatte Assange schon früh einen «Hightech-Terroristen» genannt. «Berichterstattung und Journalismus rechtfertigen nicht kriminelle Aktivitäten», haben die Anwälte der US-Regierung ihr Auslieferungsbegehren von Anfang an begründet. «Sie sind keine Lizenz, mit denen man Rechtsvorschriften brechen kann.»

Medienleute und Bürgerrechtler schlagen Alarm

Assanges Anwälte bestehen dagegen darauf, ihr Mandant habe bei der Aufdeckung schwerer Verbrechen «im öffentlichen Interesse» gehandelt. Eine Auslieferung Assanges würde «einen Präzedenzfall schaffen für eine Kriminalisierung von Aktivitäten, die für alle Aufklärungsarbeit von Medienschaffenden von entscheidender Bedeutung sind».

In der Tat haben sich die Proteste in London zuletzt gemehrt, sind Medienleute, Bürgerrechtler und Politiker aller Fraktionen nervöser geworden. Amnesty International warnt vor einer gefährlichen «Abschreckungswirkung» für die Medienfreiheit durch das Vorgehen der USA und die willige Haltung der britischen Regierung.

Wikileaks-Chefredaktor Kristinn Hrafnsson gibt zu bedenken, dass mit Assange die «Medienfreiheit weltweit» auf der Kippe stehe: «Wenn einem Australier, der in Europa etwas publiziert, Gefängnis in den Vereinigten Staaten droht, bedeutet das, dass in Zukunft kein Journalist mehr irgendwo sicher ist.»

Assange sei nur der erste Fall dieser Art, meint auch Alan Rusbridger, der frühere Redaktionsleiter des linksliberalen Londoner «Guardian»: «Mit Assange hören die nicht auf. Die Welt fast vollständiger Überwachung, die George Orwell in seinem Buch «1984» umriss, ist inzwischen ganz beängstigend real.»