130 Milliarden angespartJogginghose statt Essen im Restaurant: Dafür werden Ersparnisse ausgegeben
Wer im Corona-Jahr 2020 Anschaffungen machte, kaufte Kleider, Heimelektronik oder einen Hund. Doch dieser Trend dürfte sich bald ändern – vom Nachholkonsum könnte das Ausland profitieren.
Restaurants geschlossen, Konzerte abgesagt, der Familienurlaub im Ausland gestrichen: Geld, das Schweizerinnen und Schweizer vergangenes Jahr für Freizeit, Ferien oder Kulturveranstaltungen ausgegeben hätten, blieb zwangsweise im Portemonnaie. Dazu kamen die wirtschaftliche Unsicherheit und die Angst vor dem Jobverlust, die auf die Konsumstimmung drückten. Unterm Strich sparten Schweizer Haushalte im Pandemiejahr 2020 gut 30 Milliarden Franken mehr als in den Jahren zuvor.
Zahlen der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) zeigen: Die Sparquote in Schweizer Haushalten erreichte letztes Jahr einen Rekordwert von 26,6 Prozent. Dies entspricht dem Anteil des verfügbaren Einkommens, den die Haushalte nicht ausgegeben haben. In absoluten Zahlen bedeutet das: Insgesamt sparten Schweizer Haushalte fast 130 Milliarden Franken. In den Vorjahren lagen die Ersparnisse zwischen 95 und 97 Milliarden Franken.
Weniger konsumieren, mehr sparen lautete der Tenor zu Beginn der Corona-Krise im März 2020. 45 Prozent gaben dies in einer Umfrage des Vergleichsdienstes Comparis unter 1000 Personen aus allen Regionen der Schweiz an. Im Dezember waren noch 38 Prozent dieser Meinung. Und ein Drittel der Befragten gab an, nichts am Konsumverhalten zu ändern – im März sagten dies erst 24 Prozent.
Während des zweiten Lockdown Anfang Jahr haben die Menschen nun erneut gespart. Und mehr als zwei Drittel dieser Ersparnisse gäben sie unmittelbar wieder aus, schätzt Claude Maurer, Leiter Konjunkturanalyse Schweiz bei der Credit Suisse (CS). Von diesem Nachholkonsum profitiert bis jetzt vor allem der Non-Food-Detailhandel.
Wo und was Schweizerinnen und Schweizer letztes und dieses Jahr kauften, war stark bedingt durch die Corona-Massnahmen: Homeoffice, Homeschooling, Lockdowns und Reisebeschränkungen veränderten nicht nur das alltägliche Leben, sondern auch das Konsumverhalten. Das Zuhause als Rückzugsort wurde wichtiger – und es wurde optimiert: Neue Möbel, Vorhänge, Küchengeräte oder Back- und Kochutensilien wurden angeschafft. Aber auch Lebensmittel wurden eingekauft wie in keinem Jahr zuvor.
Der Garten wurde auf Vordermann gebracht: Blumen, Büsche, Kräuter, aber auch Gewächshäuser, Hochbeete oder Gartenliegen wurden gekauft – Gartencenter und Blumengeschäfte erfuhren nicht nur nach dem ersten Lockdown einen grossen Ansturm. Ebenso wurden grössere Anschaffungen getätigt: Saunahersteller beispielsweise berichteten von stark gestiegenen Bestellungen, oder Zweitwohnungen in Ferienregionen erfuhren eine grosse Nachfrage. Jene, die es sich leisten konnten, zog es aus den Städten in die Natur.
Sweatshirts, Blumen und Hunde
Während die Läden während der Lockdowns geschlossen waren, profitierten Onlineshops: Der Onlinehandel in der Schweiz machte 2020 einen Wachstumssprung von drei Jahren und setzte insgesamt 13,1 Milliarden Franken um – 27,2 Prozent mehr als 2019. Wenig überraschend waren die grossen Gewinner die Bereiche Heimelektronik, Sport, Home and Living, Spielwaren sowie Do it und Garten. Auch der Verkauf von Kleidung und Schuhen wuchs 2020 – ein Drittel des Gesamtvolumens wurde online verkauft. Besonders beliebt waren beim Online-Kleiderhändler Zalando bequeme Loungekleidung sowie Sweatshirts und Jogginghosen – die Nachfrage verdoppelte sich im Vergleich zu 2019.
Die viele Zeit, die daheim verbracht wurde, motivierte Schweizerinnen und Schweizer nicht nur, Jeans gegen Jogginghosen zu tauschen, sie schien auch Anreiz genug, um sich einen Hund zuzulegen. Die Zahl registrierter Hunde stieg vergangenes Jahr überdurchschnittlich an: Im Vergleich zu Ende 2019 waren im Dezember letzten Jahres über 12’000 neue Hunde bei der Tierstatistik Identitas registriert. In den Vorjahren war der Zuwachs im Schnitt halb so gross gewesen.
Den Wunsch nach einem haarigen Wegbegleiter spürten vor allem die Züchter. «In unserer privaten Hundezucht haben wir eine Anfrage pro Tag, normalerweise ist es eine in zwei Wochen», sagt Andreas Rogger, Geschäftsführer der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft (SKG), unter deren 60’000 Mitgliedern sich viele Züchter befinden. Mehr Welpen gibt es wegen der grossen Nachfrage aber nicht. Aufgrund der Reisebeschränkungen züchten viele verantwortungsbewusste Züchter zwar weniger, aber es würden auch deutlich weniger Welpen ins Ausland verkauft. Was dazu führt, dass Hundeliebhaber hierzulande auf ihre Kosten kommen. «Es sind vermehrt Familien mit kleinen Kindern, die sich derzeit einen Hund wünschen», sagt Rogger. Ein Wunsch, der aber nicht immer in Erfüllung geht: «Die Züchter, die im Verband organisiert sind, haben strenge Richtlinien und verkaufen Hunde selten an Personen, die sie noch nicht kennen», sagt der SKG-Chef.
Wie verändert sich der Konsum 2021?
Doch wohin fliessen die Ersparnisse, sobald die Restaurants öffnen oder das Reisen wieder uneingeschränkt möglich ist? «2021 dürfte mehr Konsum ins Ausland ‹abfliessen› als 2020, dies weil die Schweizer wieder ins Ausland gehen, sobald die Grenzen offen sind», sagt CS-Konjunkturanalyst Claude Maurer. Umgekehrt kämen zwar auch wieder mehr Europäer in die Schweiz – was den Verlust aber nicht zu kompensieren vermöge.
«Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und er wird wohl wieder stark in das Konsummuster von vor der Pandemie zurückfallen.»
In den Restaurants hingegen erwartet Maurer wenig Nachholkonsum. Die Normalisierung dürfte aber rascher erreicht werden als 2020 – weil sich dank der Impfung auch vulnerable Personen wieder in Restaurants wagen. Wie stark sich die Präferenzen langfristig ändern werden, sei unklar. «Der Mensch ist ein Gewohnheitstier», sagt Maurer, «und wird wohl wieder stark in das Konsummuster von vor der Pandemie zurückfallen.»
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