Kommentar zu Rishi SunakJetzt müssen ihn seine Gegner ernster nehmen
Das Abkommen mit der EU hat dem viel geschmähten britischen Premier zu unerwartetem Respekt verholfen. Es hat ihm Statur verliehen.
Noch weiss sich Rishi Sunak nicht in Sicherheit mit seinem «Windsor-Abkommen». Noch muss Grossbritanniens Regierungschef darauf warten, wie sich Nordirlands stärkste Protestantenpartei, die DUP, zu der neuen Vereinbarung Londons mit Brüssel stellt. Noch muss er befürchten, dass Brexit-Hardliner seiner eigenen Partei rebellisch werden. Und dass Boris Johnson, nur um Sunak zu trotzen, sich etwas Neues einfallen lässt.
Und noch lässt sich auch nicht absehen, ob Sunak die nächsten Kraftproben um Lebenshaltungskosten, hohe Steuern und die schwere Krise der öffentlichen Dienste im Vereinigten Königreich heil übersteht in den nächsten Monaten – ob er die Tories in die Unterhauswahlen des nächsten Jahres führen wird oder nicht.
Aber seit Montag tritt Sunak mit einem Selbstvertrauen in Erscheinung, das man an ihm bisher nicht kannte. Das Abkommen mit der EU hat dem Vielgeschmähten zu unerwartetem Respekt verholfen. Es hat ihm Statur verliehen. Es taucht ihn in ein neues Licht.
Ein nüchterner Blick auf die Faktenlage
Denn nicht nur hat Sunak, in geduldigen Verhandlungen, der EU mehr Zugeständnisse abgerungen, als man es für möglich hielt auf der Insel. Er hat auch einen gänzlich neuen Ton britischer Kooperationsbereitschaft angeschlagen, der sich deutlich abhebt vom Abgrenzungsfieber der Brexit-Ära – von einer Anti-EU-Rhetorik, die mit Vorliebe überheblich und nicht selten feindselig war.
So hat Sunak bei seinem Vertragsschluss natürlich die zahlreichen Vorteile hervorgehoben, die er Nordirland jetzt verschafft zu haben glaubt: reibungslosere Handelswege, engere Vernetzung mit dem Rest des Königreichs, mehr Raum für Selbstbestimmung, eine Konsolidierung des Friedensabkommens von 1998, des Karfreitagsvertrags.
Zugleich hat er aber nicht darüber hinwegzureden versucht, dass gewisse Grenzkontrollen in der Irischen See weiterhin vorgenommen werden müssen. Und dass EU-Gesetze weiter Gültigkeit in Nordirland haben, solange die Provinz im EU-Binnenmarkt verbleibt.
«Ehrlichkeit» haben denn auch beide am «Windsor-Abkommen» beteiligten Parteien einander wiederholt bescheinigt. Ein nüchterner Blick auf die Faktenlage und die gemeinsame Suche nach pragmatischen Lösungen gaben der Übereinkunft die Vertrauensbasis, die nötig war.
«Bemerkenswert, wie erleichtert auch viele Konservative auf den veränderten Ton reagierten.»
Dazu passte, dass Sunak die beharrliche Drohung seiner beiden Vorgänger mit Vertragsbruch, und damit alles Risiko eines Handelskriegs mit der EU, diese Woche mit einer lockeren Handbewegung vom Tisch fegte. Nicht zuletzt diese Entscheidung signalisierte einen Neubeginn für die in den letzten sieben Jahren schwerbeschädigten Beziehungen zwischen Briten und EU.
Bemerkenswert war dabei, wie erleichtert auch viele Konservative auf den veränderten Ton reagierten. Sunak wusste ihnen deutlich zu machen, welche neuen Möglichkeiten sich seinem Land boten, wenn es in der EU wieder Grossbritanniens «Verbündete, Handelspartner und Freunde» in Europa sah.
Nicht nur schuf er die Voraussetzung für erneute nordirische Selbstverwaltung – falls die Unionisten darauf eingehen wollen. Ein Ende des politischen Vakuums in Nordirland verheisst auch neue Investitionen, speziell aus den USA, für die Provinz.
In der Tat verspricht sich London vom «Windsor-Abkommen» auch schon neue Übereinkünfte mit Brüssel zu unbehindertem Handel zwischen der EU und dem gesamten Königreich in kommenden Jahren. Ins begehrte Wissenschaftsprogramm Horizon soll Grossbritannien nun auch wieder zugelassen werden. Im Energiesektor bereitet man gegenseitige Unterstützung vor.
Schwerer Rückschlag für Boris Johnson
Und Sunak hofft, dass sich die Koordination mit Paris leichter gestalten wird, was die Flüchtlingsboote auf dem Ärmelkanal angeht. Kein Hindernis steht nun auch einem Staatsbesuch des US-Präsidenten Joe Biden, anlässlich des 25. Jahrestags des Karfreitagsabkommens im April, mehr im Wege. Biden hatte einen solchen Besuch, und enge US-Handelsbeziehungen mit Grossbritannien, von einer Einigung Londons mit Brüssel über Nordirland abhängig gemacht.
Verblüfft vom neuen Optimismus daheim, und vom gleichzeitigen Öffnen so vieler Türen, scheinen sich sogar traditionelle Verfechter nationaler Abschottung vorsichtig zurückzuhalten neuerdings. Das Lager der unversöhnlichen Hardliner ist merklich geschrumpft.
Tory-Bexiteers und Unionisten sind jeweils gespalten. Boris Johnson, der sich am Montag nicht einmal ins Unterhaus wagte, hat einen schweren Rückschlag erlitten. Bei den Tories wie in der Gesamtbevölkerung hat sich, nach den vielen Brexit-Schlachten der jüngsten Vergangenheit, eine spürbare Müdigkeit, ein Überdruss an Brexit-Tumulten eingestellt. Was nicht überrascht. Viele andere, unmittelbare Fragen haben sich in der Zwischenzeit in den Vordergrund gedrängt. Und Rishi Sunak scheint das verstanden zu haben – zumal zu Zeiten eines Kriegs in Europa und ernster wirtschaftlicher Probleme im eigenen Land.
Sicher sein kann er sich zwar nicht, dass alles wie erhofft läuft in den nächsten Tagen. Aber gelungen ist es ihm bereits, aller Welt deutlich zu machen, dass ihn seine Gegner ernster nehmen müssen – in der Opposition wie in der eigenen Partei.
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