Jahresausblick 2024Was uns fürs neue Jahr hoffen lässt
Eine Metropole, die sich herausputzt. Neue Chancen für scheinbar unheilbar Kranke. Und Präsidenten, die ihre Abwahl akzeptieren: Es gibt auch Gründe, mit ein wenig Hoffnung in das neue Jahr zu blicken.
Ohne Zweifel, 2023 war ein Jahr der Krisen und Kriege, ein niederschmetternder Schlag für die Seele sozusagen. Auch mit dem Jahreswechsel ist wenig Erleichterung verbunden. Das Kämpfen und Sterben in der Ukraine und dem Nahen Osten wird weitergehen, und weitere gewaltsame Konflikte bauen sich auf. Trotz allem aber begegnet einem in der Welt keineswegs nur Tristesse und Dunkelheit. Ganz im Gegenteil. Wir wagen den Blick auf die kleinen und grossen Dinge, die einen auch mit Zuversicht ins neue Jahr blicken lassen können.
Paris wird lebenswerter
Die Franzosen neigen zum Lamento, die Pariser im Quadrat. Und ja, es gibt immer gute Gründe zur Klage, jetzt wieder. Paris ist eine einzige Baustelle, ganze Viertel liegen da mit offen gelegten Eingeweiden. Die Busse sind noch langsamer unterwegs als sonst schon, und der bedrängte Autoverkehr staut sich bereits frühmorgens, es ist zum Verrücktwerden.
Die meisten Mühen haben aber eine unaufschiebbare Frist: 26. Juli 2024, dann beginnen die Olympischen Sommerspiele von Paris, ein Show-off sondergleichen, elf Millionen Besucher, Milliarden Zuschauer am Fernsehen. Es gab in der Geschichte Städte, die diese mehr oder weniger faire Erwählung nutzten, um sich ein neues Antlitz zu geben – eine für alle: Barcelona 1992. Paris hat keine Meerespromenade, die es befreien kann. Und die Seine, diese romantische Brühe, wird wohl nur für eine Weile schwimmbar sein.
Doch Paris wird gerade lebenswerter, mögen die Pariser das auch nicht gerne zugeben. In den vergangenen Jahren nahm die Stadtverwaltung den Autofahrern so viel Platz weg, dass nun die Fussgänger und die Velofahrer viel mehr davon haben. Und die Bars und Cafés für ihre Terrassen. Zu Stosszeiten kommt es vor, dass die Radfahrer auf der Rue de Rivoli im Stau stehen. Paris, immerhin eine Weltmetropole, wird zur Velostadt. Für Olympia bauen sie das Velowegenetz noch mal stark aus.
Dafür sucht man eine neue Verwendung für die Parkgaragen: Wer besitzt schon noch ein Auto? Wenn die Pariser nicht Velo fahren, gehen sie zu Fuss, oder sie fahren Bus, Tram – und vor allem Metro. 64 Stationen werden gebaut, vor allem um die Stadt herum. Neue Linien werden bald die Vorstädte untereinander verbinden.
Natürlich wird nicht alles fertig für die Spiele, aber die Linie 14 etwa ist bis dann verlängert. Man kommt dann endlich mit der Metro auch bis zum Flughafen Orly und am anderen Ende zum Stade de France, ganz wunderbar. Das Magazin «Le Point» schaut trotzdem nur mit Sorge auf den Sommer. Die Stadt sei schmutzig und gefährlich, die Transportmittel übersättigt: «Das Desaster ist programmiert.» Die Klage, die gehört nun mal zum guten Ton.
Oliver Meiler, Paris
Politiker, die mit Würde verlieren
Die politischen Karrieren von George Weah und Donald Trump weisen einige Parallelen auf. Beide waren schon weltberühmt und bei Gegnern gefürchtet, bevor es sie in die Politik zog. Beide wurden zum Präsidenten ihres Landes gewählt und hielten viele ihrer Versprechen nicht. Beide bewarben sich um eine zweite Amtszeit. Und beide verloren die Wahl gegen einen fast 80-jährigen Kontrahenten, der aufgrund seiner nicht immer aufgeweckten Art den Spitznamen «Sleepy Joe» trägt. Doch hier, im Moment der Niederlage, enden alle Gemeinsamkeiten.
Denn George Weah, der einstige Weltklasse-Fussballer, der es zum Präsidenten seiner Heimat Liberia gebracht hatte, faselte nicht von Wahlbetrug oder Hexenjagd. Er akzeptierte seine Niederlage. Und das, obwohl sie zweifellos schwer zu akzeptieren war: In der Stichwahl am 14. November unterlag Weah dem 78 Jahre alten Joseph Boakai hauchdünn mit 49,4 Prozent der Stimmen. Doch Weah wartete nicht einmal die komplette Auszählung ab, um Boakai zu gratulieren. «Das liberianische Volk hat gesprochen», schrieb er. Am 22. Januar soll Boakai in der Hauptstadt Monrovia vereidigt werden.
George Weah war kein guter Präsident. Die Korruption im Land, die er bekämpfen wollte, nahm in seiner Amtszeit sogar zu. Auch deshalb verweigerten ihm die Liberianer die Wiederwahl. Doch als guter Verlierer ist Weah trotzdem ein Lichtblick – gerade in Afrika, wo kaum ein Wahlergebnis unangefochten bleibt und viele Präsidenten eher bereit sind, die Verfassung zu ändern, als ihre Macht abzugeben. Im Jahr 2023, das einmal mehr ein (west)afrikanisches Umsturzjahr war, gilt das besonders. Die Militärputsche in Niger und Gabun waren auch deshalb so populär, weil viele Menschen dort nicht mehr darauf hoffen, durch Wahlen etwas verändern zu können. George Weah hat, zumindest in Liberia, das Gegenteil bewiesen.
Das ist umso bemerkenswerter, als Weah seine politische Karriere als schlechter Verlierer begann. Bei seinem ersten Anlauf auf die Präsidentschaft 2005 unterlag er klar Ellen Johnson Sirleaf, die durch ihren Sieg zur ersten gewählten Präsidentin Afrikas wurde. Und Weah? Faselte von Wahlbetrug und Revolution, ohne Belege dafür zu liefern. Bei den Unruhen, die er dadurch mit anfachte, kamen drei Menschen ums Leben. Nun forderte er seine Anhänger auf, es ihm gleichzutun – und seine Niederlage zu akzeptieren.
Paul Munzinger, Kapstadt
Tippfehler der Natur ausbessern
So krisenhaft das vergangene Jahr und die davor auch waren: Wenigstens auf die Wissenschaft war Verlass, wieder einmal. Medizinische Innovationskraft hatte schon in der Corona-Pandemie mit der schnellen Entwicklung von Impfstoffen die Rückkehr zur Normalität ermöglicht. Dann hatten technische Innovationen die Folgen der Energiekrise abgemildert. Und auch wenn die Wissenschaft wohl daran scheitern muss, gegen Hass, Gewalt und die Machtfantasien von Kriegsherren ein Antidot zu finden, so wird sie im Jahr 2024 helfen, menschliches Leid auf ganz neuen Wegen zu beenden.
Denn erstmals wurde 2023 zunächst in Grossbritannien und dann in den USA eine neue medizinische Therapie zugelassen, die auf dem besten Wege ist, einen alten Traum wahr zu machen: tief im Menschen angelegte Krankheiten an der Wurzel zu packen. Anfang 2024 wird die Zulassung des Medikaments Exa-cel, das auf dem Crispr/Cas-System beruht, auch für die EU und eventuell auch für die Schweiz erwartet. Und 2024 dürften bereits weitere Medikamente mit dieser Technologie folgen.
Die Einsatzmöglichkeiten von Crispr/Cas sind ungeheuer vielfältig. Mit dem Molekülsystem lassen sich Krankheiten, die in den Genen angelegt sind, abmildern und sogar heilen. Denn Crispr/Cas ist eine «Gen-Schere», die Erbanlagen so bearbeiten kann, dass Fehler keine Fehler mehr sind. Der eine Teil dieses Systems kann Erbgut durchschneiden, der andere Tippfehler im genetischen Code ausbessern.
Als erstes Medikament seiner Art nutzt Exa-cel zwar noch nicht alle Möglichkeiten dieser überhaupt erst vor elf Jahren erfundenen Technologie, aber es ist ein wesentlicher Meilenstein. Es richtet sich gegen die Sichelzellkrankheit, die aufgrund eines einzigen fehlerhaften Bausteins im Erbgut zur Folge hat, dass die roten Blutkörperchen nicht richtig arbeiten können. Das neue Crispr/Cas-Medikament behebt den Fehler zwar nicht, aber es sorgt dafür, dass er seine tragischen Konsequenzen verliert. Schon bald werden echte Fehlerkorrekturen kommen.
Es befinden sich bereits Crispr/Cas-Therapien gegen verschiedene Krebsarten, Diabetes und erbliche Augenleiden in der Entwicklung. Keine Frage: Die Wissenschaftsgemeinde muss Regeln befolgen und kontrollieren, damit das grosse Potenzial dieser genverändernden Technologie nicht für Machtfantasien, Hass und Gewalt missbraucht wird statt für die Gesundheit der Menschen. Aber dann kann sie ein echter Lichtblick sein.
Christina Berndt, München
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