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Die EU in der Kritik
Ist die EU-Spitze überfordert?

Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell wurde in Moskau vom russischen Aussenminister Sergei Lawrow vorgeführt. 
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Der Auftritt war für Josep Borrell kein Spaziergang, der Spanier entsprechend angespannt. Nach der öffentlichen Demütigung in Moskau sieht sich der EU-Chefbeauftragte mit Rücktrittsforderungen konfrontiert und musste sich am Dienstag vor dem Europaparlament rechtfertigen: Er habe die Forderung, den Oppositionellen Alexei Nawalny sofort freizulassen, direkt überbringen wollen. Und er habe testen wollen, ob Russland zu einer Umkehr hin zu einem konstruktiven Dialog bereit sei, verteidigte der EU-Aussenbeauftragte seine Reise.

Immerhin ist Europas Chefdiplomat jetzt mit eindeutigen Erkenntnissen zurückgekommen. Die Diskussion mit dem russischen Aussenminister und Gastgeber Sergei Lawrow sei «hitzig» gewesen, als er die Freilassung Nawalnys gefordert habe, sagte Borrell. Auch sonst sei Russland offensichtlich nicht an einem konstruktiven Austausch interessiert, die Führung in Moskau auf autoritären Abwegen. Die Kritiker im EU-Parlament zeigten sich jedoch unbeeindruckt: Der EU-Chefdiplomat sei naiv nach Moskau gefahren, habe sich dort vom russischen Gastgeber unnötig vorführen lassen, sei in die Falle gegangen. 81 Parlamentarierinnen und Parlamentarier vor allem aus Osteuropa haben in einem Brief Borrells Rücktritt gefordert.

Von Anfang an eine Fehleinschätzung

Der Moskau-Besuch sei von Anfang an eine Fehleinschätzung gewesen, heisst es in dem Schreiben. Der EU-Aussenbeauftragte habe dem Ansehen der EU und der Würde des Amtes erheblichen Schaden zugefügt. So reagierte Josep Borrell nicht, als Sergei Lawrow bei der gemeinsamen Pressekonferenz die EU und die verbündeten Amerikaner beschimpfte. Statt etwa den Krieg Russlands im Osten der Ukraine anzusprechen, habe der EU-Chefdiplomat sich der Kritik des russischen Aussenministers an der Politik der USA gegenüber Kuba angeschlossen.

Jene, die den spanischen Sozialisten von Anfang an als Fehlbesetzung kritisierten, sehen sich jetzt bestätigt. Der 73-Jährige wirkt bei öffentlichen Auftritten oft fahrig und weiss manchmal nicht, in welcher Sprache er gerade spricht. Es rächt sich jetzt, dass in Brüssel die Posten nach politischem und geografischem Proporz besetzt werden. Das Problem zeigt sich auch bei EU-Ratspräsident Charles Michel, der sich in der Rolle als Sprecher der Staats- und Regierungschefs schwertut. Das Format seines Vorgängers Donald Tusk hat der Belgier jedenfalls nicht.

«Wir glauben, dass die Präsidentin der Europäischen Kommission handeln sollte, falls Herr Borrell nicht freiwillig zurücktritt», heisst es im Schreiben der EU-Abgeordneten. Dass die Kritiker bei Ursula von der Leyen Gehör findet, ist wohl ausgeschlossen: Der Aussenbeauftragte habe die «volle Unterstützung», sagte ein Sprecher der Kommissionspräsidentin. Der Spanier ist auch einer ihrer Stellvertreter. Zudem ist die deutsche Christdemokratin nach dem holprigen Start der Impfkampagne selber politisch unter Druck und diesen Mittwoch an der Reihe, um sich im EU-Parlament der Kritik zu stellen. Hat die EU zu spät und zu wenig Impfstoff bestellt? Und hat Ursula von der Leyen mehr versprochen, als sie einhalten konnte?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen neben EU-Ratspräsident Charles Michel, der bisher als Sprecher der Staats- und Regierungschefs blass geblieben ist.

Ursula von der Leyen dürfte am Mittwoch versuchen, die Vorwürfe mit einer Mischung aus Demut und Eloquenz zurückzuweisen. Die Kommissionspräsidentin wird eingestehen, dass sie am Anfang zu grosse Erwartungen geweckt hat. Und gleichzeitig darauf verweisen, dass die Mitgliedsstaaten in die Impfstrategie von Anfang an eng eingebunden waren. Ursula von der Leyen tut sich schwer damit, aus der Defensive zu kommen. Allerdings hatte sie Corona bei ihrem Amtsantritt nicht auf ihrem Plan, und Pandemiebekämpfung war bisher ja auch ausschliessliche Kompetenz der Mitgliedsstaaten.

Insbesondere Deutschland und Frankreich haben darauf gedrängt, dass Brüssel bei der Impfstrategie die Führung übernimmt. Hätte jeder Mitgliedsstaat für sich selber bestellt, wären kleinere und ärmere Länder leer ausgegangen. Der Wettbewerb des Impfnationalismus hätte die EU womöglich zerrissen. Ursula von der Leyen wird sich gegen unfaire Vergleiche etwa mit Israel oder Grossbritannien wehren. Israel hat einen Sonderdeal und liefert Impfstoffhersteller Pfizer im Gegenzug alle Daten der Geimpften, unvorstellbar in den meisten EU-Staaten. Und die Briten stehen nur scheinbar besser da, weil sie anders als vorgeschrieben die zweite Dosis viel später verabreichen. Einige Experten warnen, dies könnte weitere Mutationen begünstigen. Das letzte Wort im Impfwettlauf ist möglicherweise noch nicht gesprochen.

Blamage kommt ungelegen

Aber auch so kommt für Ursula von der Leyen die Blamage ihres Chefdiplomaten in Moskau ungelegen. Schliesslich hat sie beim Amtsantritt eine geopolitische Kommission angekündigt. Powerplay kann die EU bisher ganz gut, wenn es etwa beim Rahmenabkommen mit der Schweiz nicht vorwärts geht. Gegenüber Russland klappt es bisher aber noch nicht so richtig.

Allerdings kann Josep Borrell gegenüber Moskau nur hart auftreten, wenn die 27 Mitgliedsstaaten auch hinter ihm stehen. Und in den Hauptstädten gibt es nach dem politischen Urteil gegen Alexei Nawalny bisher keine Einigkeit für neue Strafmassnahmen gegen Wladimir Putins Regime. Der EU-Chefdiplomat hat jedenfalls in Moskau seine letzten Illusionen verloren. Er werde den Aussenministern neue Sanktionen vorschlagen. Den nächsten Schritt müssten aber die Mitgliedsstaaten tun.