Opposition gegen NetanyahuIsraels Linke hat einen neuen Hoffnungsträger
Am 7. Oktober fährt Jair Golan allein los Richtung Massaker – und vollbringt eine Heldentat. Nun ist der Ex-General neuer Vorsitzender von Israels Arbeitspartei. Und will Netanyahu stürzen.
In Kriegszeiten ruft das Land nach Generälen, und so hat nun auch Israels linke Arbeitspartei einen Armee-Granden an die Spitze geholt. Jair Golan wurde mit 95 Prozent der Stimmen zum neuen Vorsitzenden der altehrwürdigen «Awoda» gewählt. Politisch ist der 62-Jährige gleich an mehreren Fronten gefordert, bisweilen wohl auch als Einzelkämpfer. Denn Golan ist einer der Letzten in der politischen Landschaft, die noch vom Frieden mit den Palästinensern reden – und von einer Zweistaatenlösung. Er macht das vor dem Hintergrund seiner geballten Kriegserfahrung – und einer Heldentat, die er am 7. Oktober vollbrachte.
Am wohl schwärzesten Tag der israelischen Geschichte, als Staat und Armee komplett versagten, hat Jair Golan Mut und Führungsstärke gezeigt. Morgens um acht hatte er im Radio vom Angriff der Hamas auf das Nova-Musikfestival im Grenzgebiet zum Gazastreifen gehört. Er kannte die Gegend, er wusste, was das bedeutet, und er setzte sich allein ins Auto und fuhr los in Richtung Massaker. Die Armeestiefel nahm er von einem seiner fünf Söhne, unterwegs besorgte er sich beim Heimatfront-Kommando noch eine Waffe. Mehrere Festivalbesucher holte er aus der Kampfzone.
An seiner Tat richteten sich viele auf
In den Tagen der verzweifelten Düsternis war diese Geschichte für viele Israelis ein Orientierungslicht, und gewiss hat Golan davon nun auch bei der Wahl zum Chef der Arbeitspartei profitiert. Er selbst aber spielt seinen Einsatz herunter. Verglichen mit anderen Dingen, die er in seinem Leben gemacht habe, sei das noch eher ungefährlich gewesen. Das darf man ihm glauben nach 38 Jahren, die er im Militärdienst verbrachte.
Mit 18 Jahren ist er bei den Fallschirmjägern eingestiegen, und aufgestiegen ist er fast unaufhaltsam bis zum Vize-Generalsstabschef in den Jahren 2014 bis 2017. Dass er danach nicht auch noch oberster Armeechef wurde, schreibt er selbst einer jener ungeschützt offenen Aussagen zu, für die er auch bekannt ist.
In einer Rede zum Holocaust-Gedenktag 2016 hatte er, selbst aus einer Familie von Überlebenden stammend, einen Vergleich gezogen zwischen der Stimmung im Deutschland der Dreissigerjahre und jener aktuell in Israel. Die Aufregung war gross, vor allem bei jenen, die er damit gemeint hatte: den Rechten und Rechtsextremen. Regierungschef Benjamin Netanyahu nannte den Vergleich «ungeheuerlich und inakzeptabel».
Die letzte Hoffnung der Partei
Nach dem Ausscheiden aus der Armee ist Golan 2019 schnell hinübergewechselt in die Politik. In den fünf Jahren seither ist er nun bei der dritten Partei angekommen. Erst hatte er mit dem Ex-General und Ex-Premier Ehud Barak die neue «Israelisch-demokratische Partei» gegründet. Dann wechselte er zur linken Meretz-Partei, wo er 2022 die Wahl zum Vorsitzenden verlor. Bei der Arbeitspartei hat es nun geklappt – und dort ist er so etwas wie die letzte Hoffnung.
Die Partei von Staatsgründer David Ben-Gurion, die später Grössen wie Golda Meir, Yitzhak Rabin und Shimon Peres hervorgebracht hatte, steht heute arg zerfleddert da. Im Parlament ist sie nur noch mit 4 von insgesamt 120 Sitzen vertreten. In allen Umfragen bleibt sie seit langem schon unter der für den Einzug in die Knesset gesetzten Hürde von 3,25 Prozent.
Jair Golan will nun in Richtung alter Stärke aufbrechen. Doch er weiss, wie weit der Weg ist – und dass er ihn diesmal nicht allein gehen kann. Er wirbt für einen Zusammenschluss jener Kräfte, die er das «liberal-demokratische Lager» nennt. Meretz soll mitmachen, und auch die Protestbewegung gegen die Justizreform aus dem vorigen Jahr soll bei ihm eine politische Heimat finden.
Das wichtigste Ziel: eine Neuwahl und der Sturz von Netanyahus rechts-religiöser Regierung. Golan macht sie für die Spaltung der Gesellschaft verantwortlich und für das Versagen am 7. Oktober. «Ich bin nicht wütend auf die Hamas, von ihr habe ich nichts anderes erwartet», sagte er in einem Interview der «Jerusalem Post». «Ich bin wütend auf uns selbst: Wie konnten wir es zulassen, dass uns eine korrupte Regierung von innen zermahlt? Warum hatten wir nicht den Mut, die Kraft und die Entschlossenheit, diese Regierung noch vor dem Krieg zu stürzen?»
Auf Jair Golans Schreibtisch, so berichtete es einmal die Nachrichtenagentur AP, stand längere Zeit ein Foto, das Netanyahu umringt von Anhängern bei Gericht zeigt, zu Beginn seines Korruptionsprozesses. Aufgestellt hat er es als Erinnerung daran, wofür er sein ganzes Leben lang gekämpft hat. «Ich habe dem Land so viele Jahre lang in Uniform gedient», sagte er. «Aber ich habe mein Leben nicht riskiert für diese Typen.»
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