Nach Israels tödlichem AngriffUNO-Sicherheitsrat beruft dringende Sitzung ein – so ist die Lage in Rafah
Die Angriffe der israelischen Armee in Rafah haben weltweit für Kritik gesorgt. Derweil verteidigt sich Israel. Jetzt reagiert die UNO.
Das ist neu
Nach einem tödlichen israelischen Luftangriff auf ein Flüchtlingslager nahe der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens hat der UNO-Sicherheitsrat für Dienstag eine Dringlichkeitssitzung einberufen. Die Sitzung zur Lage in Rafah werde hinter verschlossenen Türen abgehalten, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP aus Diplomatenkreisen.
Die Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats ist für Dienstagnachmittag (Ortszeit) geplant, wie es aus Diplomatenkreisen hiess. Beantragt wurde sie von Algerien.
Bericht: Verheerendes Feuer wohl durch Granatsplitter entstanden
Israelische Beamte hätten der verbündeten US-Regierung erklärt, sie glaubten, dass nach dem Luftangriff ein 100 Meter entfernter Treibstofftank möglicherweise durch Granatsplitter Feuer gefangen habe, zitierte der Sender «ABC News» am Montag einen US-Beamten. Dadurch habe ein Zelt Feuer gefangen, was wiederum zu dem verheerenden Brand in dem Lager geführt habe. Den USA lägen jedoch keine eindeutigen Informationen hierzu vor.
In sozialen Medien kursierten nach dem Luftangriff verstörende Videos, die zeigen, wie verkohlte Leichen aus brennenden Zelten geborgen werden. Israels Armee hatte mitgeteilt, Vorkehrungen getroffen zu haben, um das Risiko für Zivilisten zu verringern. So sei bei dem Angriff präzise Munition eingesetzt und das Gebiet aus der Luft überwacht worden.
Die Reaktionen
Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu sprach mit Blick auf den Vorfall, der international scharfe Kritik hervorrief, von einem «tragischen Missgeschick». Die israelische Armee leitete eine Untersuchung ein. Derweil berichteten AFP-Journalisten von neuen Angriffen auf Rafah.
UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte derweil den Luftangriff. Es seien «zahlreiche unschuldige Zivilisten getötet» worden, die Schutz vor dem tödlichen Konflikt gesucht hätten, erklärte Guterres. Es gebe keinen sicheren Ort im Gazastreifen, fuhr er fort. «Dieser Horror muss aufhören.» Der UN-Menschenrechtsbeauftragte Volker Türk sprach von «entsetzlichen» Bildern.
Die US-Regierung zeigte sich erschüttert über die zahlreichen toten Zivilisten. Die Bilder von dem Lager, in dem «Dutzende von unschuldigen Palästinensern» getötet worden seien, seien «niederschmetternd» und «herzzerreissend», erklärte in Washington ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats im Weissen Haus. Israel müsse «jede mögliche Vorsichtsmassnahme ergreifen, um Zivilisten zu schützen», mahnte er. Unterdessen sagten zwei US-Beamte dem Nachrichtenportal «Axios», die Regierung von US-Präsident Joe Biden prüfe noch, ob der tödliche Luftangriff eine Verletzung der von Biden proklamierten «roten Linie» darstelle.
Ein Sprecher des US-Aussenministeriums betonte auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur, Israel habe das Recht, gegen die Islamisten der Hamas vorzugehen. Den vorliegenden Informationen zufolge seien bei dem Angriff zwei ranghohe Terroristen getötet worden. «Aber wie wir bereits deutlich gemacht haben, muss Israel alle möglichen Vorkehrungen treffen, um die Zivilbevölkerung zu schützen», sagte er. Und in diesem Fall seien Dutzende unschuldige Palästinenser getötet worden.
Das sagt die Hamas
Dem von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium im Gazastreifen zufolge wurden 45 Menschen getötet, die Zahl der Verletzten liege bei 249 – diese Angaben lassen sich aber nicht unabhängig überprüfen. Nach palästinensischen Angaben handelt es sich bei dem Camp um das vom UN-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) betriebene Vertriebenenlager Barkasat nordwestlich von Rafah.
Wegen des Angriffs in Rafah setzte die Hamas ihre Teilnahme an den Verhandlungen über eine Waffenruhe vorerst aus. Dies teilten Hamas-Repräsentanten der Deutschen Presse-Agentur am Montag mit. Die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Islamistenorganisation, bei denen Ägypten, Katar und die USA als Vermittler agieren, waren zuletzt nach mehrtägigen Gesprächen in Kairo und Doha in eine Sackgasse geraten. Medienberichten zufolge sollten sie in dieser Woche «auf der Basis neuer Vorschläge» wiederaufgenommen werden.
Das sagt Israel
Israel warte auf weitere Informationen von den Vermittlern über die neuesten Positionen der Hamas, bevor es eine Entscheidung über die Entsendung eines eigenen Verhandlungsteams treffe, sagte ein israelischer Beamter der «Times of Israel» laut deren Bericht vom Montagabend. Die israelische Armee erklärte, «einen Hamas-Komplex in Rafah getroffen» zu haben, in dem «wichtige Hamas-Terroristen tätig waren». Bei dem Angriff wurden den Angaben zufolge zwei ranghohe Hamas-Vertreter getötet, die im besetzten Westjordanland an der Planung von Anschlägen beteiligt gewesen waren. Die Generalanwältin der Armee habe den Ermittlungs- und Bewertungsmechanismus des Generalstabs angewiesen, den Angriff zu untersuchen, erklärte die israelische Armee.
Israels Regierungschef Netanyahu bedauerte den Tod unschuldiger Zivilisten in Rafah. «In Rafah haben wir eine Million unbeteiligter Bewohner evakuiert», sagte er vor dem Parlament in Jerusalem. Trotz der israelischen Bemühungen sei es aber zu einem «tragischen Missgeschick» gekommen. «Wir untersuchen den Fall und werden die Schlussfolgerungen daraus ziehen.»
Die Lage in Rafah
In der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten haben mehr als eine Million Menschen Zuflucht vor der israelischen Offensive gesucht. Israel verortet dort die letzten verbleibenden Hamas-Bataillone.
Der israelische Luftangriff auf Rafah folgte auf einen massiven Raketenbeschuss aus Rafah. Nach israelischen Angaben waren am Sonntag erstmals seit Monaten wieder Raketen auf Tel Aviv und das Zentrum Israels abgefeuert worden.
Derweil gab es am Dienstag neue Angriffe auf Rafah. AFP-Teams berichteten von Luftangriffen und Schüssen im Zentrum und im Westen von Rafah.
Über sieben Monate Krieg
Der Krieg zwischen Israel und der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas dauert seit mehr als sieben Monaten an. Deren Kämpfer hatten am 7. Oktober einen Grossangriff auf Israel verübt und dabei israelischen Angaben zufolge mehr als 1170 Menschen getötet. Zudem wurden 252 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Als Reaktion auf den beispiellosen Überfall geht Israel seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dabei bislang mehr als 36.000 Menschen getötet.
Inmitten des Kriegs wollen Spanien, Irland und Norwegen am Dienstag derweil offiziell einen eigenständigen Palästinenserstaat anerkennen. Dafür ist eine Pressekonferenz in Brüssel geplant. Der Schritt bedeutet einen Bruch mit der langjährigen Haltung westlicher Länder, einen palästinensischen Staat nur als Teil einer Friedensvereinbarung mit Israel anzuerkennen. Das Vorhaben war in Israel auf scharfe Kritik gestossen.
AFP/aeg
Fehler gefunden?Jetzt melden.