Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Gefährdete Transportwege
Auf den Weltmeeren braut sich ein Sturm zusammen

RED SEA - NOVEMBER 20: (----EDITORIAL USE ONLY - MANDATORY CREDIT - 'HOUTHIS MEDIA CENTER / HANDOUT' - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS----) A screen grab captured from a video shows that cargo ship 'Galaxy Leader', co-owned by an Israeli company, being hijacked by Iran-backed Houthis from Yemen in the Red Sea on November 20, 2023. (Photo by Houthis Media Center / Handout /Anadolu via Getty Images)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

In der Nacht auf Freitag und erneut in der Nacht auf Samstag haben die USA und Grossbritannien Stellungen der vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen angegriffen. Diese hatten seit Mitte November mit Dutzenden von Drohnen- und Raketenangriffen auf Schiffe im Roten Meer den Containerverkehr im Suezkanal praktisch zum Erliegen gebracht.

Die Route ist ein kritischer Engpass, durch den mehr als 10 Prozent des Welthandels fliessen. Die Reedereien leiteten ihre Schiffe um auf die alte Route um Afrika herum. Das verlängert die Fahrtzeit um etwa zehn Tage.

Die Frachtpreise sind sprunghaft gestiegen. Die Strecke Shanghai–Rotterdam kostet mit 4400 Dollar pro 40-Fuss-Container fast viermal so viel wie vor den Angriffen, gemäss dem Index des Beratungsunternehmens Drewry.

Die Huthi sind jedoch längst nicht das einzige Problem für die Schifffahrtsrouten und den Welthandel. Nur wenige Stunden bevor Taiwans Bevölkerung am Samstag an die Urnen ging, um einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament zu wählen, hat China seine Drohungen bekräftigt. Das Militär werde «alle notwendigen Massnahmen ergreifen, um separatistische Bestrebungen zur ‹Unabhängigkeit Taiwans› in jeder Form entschlossen zu zerschlagen», sagte ein Sprecher des chinesischen Verteidigungsministeriums.

Peking hat die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP), die sich weigert, das Land als Teil Chinas zu bezeichnen, als gefährliche Separatisten angeprangert und die Wähler davor gewarnt, ihren Kandidaten, den derzeitigen Vizepräsidenten Lai Ching-te, zu wählen. Nun wählte ihn Taiwan mit mehr als 40 Prozent der Stimmen für eine historische dritte Amtszeit der DPP. Das Ergebnis wird Peking verärgern und die Spannungen an der Taiwanstrasse erhöhen.

Zudem füllt sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs das Schwarze Meer mit Minen. In der Ost- und der Nordsee kam es zu Sabotageakten gegen Pipelines. Anfang Jahr wurde bekannt, dass die deutsche Bundesanwaltschaft wegen Sabotage an einer im Bau befindlichen Flüssiggas-Pipeline an der Elbe ermittelt.

Im Oktober letzten Jahres beschädigte ein chinesisches Schiff mit seinem Anker die Erdgas-Pipeline Balticonnector im Meer zwischen Finnland und Estland. Im September 2022 war die Nordstream-Gaspipeline in der Ostsee gesprengt worden. Eine Dürre am Panamakanal führte Ende letzten Jahres ebenfalls zu Verzögerungen im Schiffsverkehr und zu höheren Frachtkosten.

Gewichtsmässig werden etwa vier Fünftel des Welthandels mit Frachtschiffen auf den Weltmeeren abgewickelt, wertmässig ist es etwa die Hälfte. Um ein modernes Containerschiff zu ersetzen, brauche es einen etwa 60 Kilometer langen Güterzug oder eine Flotte von 6500 Lastwagen, rechnet der amerikanische Geopolitiker Peter Zeihan.

US-Marine sichert Seerouten

Der UNO-Sicherheitsrat sieht denn auch durch die Angriffe der Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe die weltweite Nahrungsmittelversorgung in Gefahr. Gemäss einer Simulation der Nachrichtenagentur Bloomberg würden eine Blockade Taiwans und westliche Gegenmassnahmen die Weltwirtschaftsleistung um 5 Prozent senken.

Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die USA als Weltpolizist Staaten wie Piraten erfolgreich davon abgehalten, diese lebenswichtigen Transporte ernsthaft zu gefährden. Die US-Marine gewährleistet die Sicherheit der Seerouten mit rund 300 einsatzbereiten Kampfschiffen, etwa 4000 einsatzbereiten Flugzeugen und rund 340’000 aktiven Soldaten.

Doch nun verschärfen der Machtkampf zwischen den USA und China und der zunehmende Zerfall globaler Regeln die geopolitischen Spannungen. Zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg sind die Weltmeere wieder umkämpft. China baut seine Flotte rasch aus und greift die Vormachtstellung der US-Marine im Pazifik an. Es ignoriert Gerichtsurteile zum internationalen Seerecht. Die USA selber haben das UNO-Seerechtsübereinkommen nicht ratifiziert. Rebellen wie die Huthi nutzen nicht nur billige Drohnen, sondern kommen auch an moderne Lenkwaffen, die bis vor kurzem nur Staaten vorbehalten waren.

Gleichzeitig schwindet die politische Unterstützung für die Rolle des Weltpolizisten in den USA selber. Mit der möglichen Wiederwahl von Donald Trump droht ein Rückzug. Diese Woche erzählte der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton an einer Podiumsdiskussion im EU-Parlament, wie der frühere US-Präsident Donald Trump gesagt habe, die USA würden der EU nicht zu Hilfe kommen, wenn sie militärisch angegriffen würde.

«Die von Amerika geführte Ordnung weicht der Unordnung»

Was passiert, wenn sich die USA unter Trump als Weltpolizist zurückziehen sollten, hat Peter Zeihan, ehemaliger Analyst des Sicherheitsberatungsinstituts Stratfor, in seinem Buch beschrieben: «The End of the World is Just the Beginning» (Das Ende der Welt ist nur der Anfang). Er prophezeit nichts weniger als den Kollaps der Globalisierung.

Die letzten Jahrzehnte seien eine Anomalie in der Geschichte der Menschheit gewesen, eine Ära des Überflusses, der Zuverlässigkeit und der relativen Stabilität. Selbst militärisch schwache Staaten und abgelegene Regionen konnten mit der ganzen Welt Handel treiben, weil die Schifffahrt immer billiger und sicherer wurde.

Diese goldene Zeit des einfachen Zugangs zu Energie, Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Industrieprodukten gehe zu Ende. «Wir haben in einem perfekten Moment gelebt. Und der geht nun vorbei», schreibt Zeihan, «die von Amerika geführte Ordnung weicht der Unordnung.»

Um die moderne Wirtschaft in Gang zu halten, braucht es grosse Märkte, Kapital und viele qualifizierte Arbeitskräfte – und in all diesen Punkten sieht Zeihan schwarz. Die Verteuerung der Transportwege und die Aufspaltung in geopolitische Blöcke lasse die Märkte schrumpfen, der Klimawandel bedrohe die Nahrungsmittelproduktion in wichtigen Teilen der Welt. Neben den hohen Kosten für die Dekarbonisierung belasten die steigenden Ausgaben für Verteidigung, Gesundheit, Altersrenten und Schuldzinsen die staatlichen Kassen.

Gleichzeitig hat die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zu schrumpfen begonnen, vor allem in Europa und in China.

Ein Grund für das schwindende Interesse der USA an der Welt sei ihre günstige Ausgangslage, argumentiert Zeihan. Die USA sind weitgehend autark. Sie exportieren mehr Öl und Gas, als sie importieren, und sie können genügend Nahrungsmittel selber produzieren.

Die USA haben die Märkte und das Kapital. Dank Mexiko und Kanada sind sie auch für den Grossteil ihrer internationalen Lieferketten nicht vom internationalen Seehandel abhängig. Und ihre Bevölkerung wächst. «Das eigentliche amerikanische Jahrhundert beginnt erst jetzt.»

Für viele handelsabhängige Staaten sei eine drohende Deglobalisierung dagegen «eine Katastrophe». «Der grösste Teil der Welt kann sich ohne direkte Importe weder ernähren noch mit Energie versorgen», so Zeihan.

«Der mit Abstand grösste Verlierer» sei China, glaubt Zeihan. Nicht nur wegen der Import- und Exportabhängigkeit, sondern auch wegen des raschen Geburtenrückgangs. China befinde sich «im fortgeschrittenen Stadium des demografischen Zusammenbruchs».

Aber auch für Südkorea und grosse Teile Europas sieht er schwarz. Hohe Energiekosten, die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten und eine schrumpfende Bevölkerung gefährden vor allem das deutsche Industriemodell.

Zeihan macht kühne, teils extreme Vorhersagen. Betreffend Russland und Ukraine, die wachsenden Konflikt zwischen den USA und China, die Angriffe auf Frachtschiffe oder die Anfälligkeit der Wirtschaft auf Lieferkettenengpässe lag er weitgehend richtig, nicht so aber mit seiner extrem negativen Einschätzung Chinas. 

Möglicherweise unterschätzt er die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft. Die Covid-Pandemie hat zwar grosse Lieferkettenprobleme verursacht, aber das bedeutet nicht «das Ende der Globalisierung», ganz zu schweigen von Hungersnöten, wie von Zeihan vorausgesagt.

Die jüngsten Angriffe gegen die Huthi-Rebellen im Jemen deuten auch nicht darauf hin, dass die USA ihre Rolle als Weltpolizist aufgeben wollen – zumindest unter dem Präsidenten Joe Biden. Ob das unter Donald Trump so bleibt, wird sich weisen. Zeihans Thesen fördern das Verständnis dafür, was die moderne Welt möglich macht und was passieren könnte, wenn die Grossmächte den Zusammenbruch der Globalisierung zulassen.