Interview mit Werner Bätzing«Wir müssen von der Idee des unendlichen Wachstums Abschied nehmen»
Die Hoffnungen auf grünes Wachstum und technische Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels seien unrealistisch, sagt Kulturgeograf Werner Bätzing.

Sie halten nichts von Klimakonferenzen, Herr Bätzing. Warum?
An den Konferenzen werden Alibimassnahmen beschlossen, die den CO₂-Ausstoss nicht wirklich verringern. Zugleich steigt der Energiebedarf enorm durch die weitere Digitalisierung des Alltags.
Rund zwanzig Staaten sprachen sich in Dubai für die Atomkraft aus. In der Schweiz steht bald wieder eine Abstimmung dazu an. Was ist davon zu halten?
Wenig. Der Mensch hat die Atomtechnik nicht wirklich im Griff. Die Gefahr, dass er sich damit selbst vernichten könnte, ist relativ gross.
Werden die Fusionsreaktoren den Durchbruch bringen?
Der Glaube an einen technischen Durchbruch, der alle Probleme auf einmal löst, ist typisch für die Moderne. Er drückt eine Überheblichkeit aus, weil man meint, ein Recht auf billige Energie zu haben. Aber der Mensch ist nur ein kleiner Teil der Natur, der Energie mühevoll produzieren muss, und kein Gott, dem alles unmittelbar und grenzenlos zur Verfügung steht.
Was halten Sie vom grünen Wachstum?
Dank grünem Wachstum gelingt vielleicht eine effizientere Nutzung von Ressourcen, aber wegen des weiteren Wachstums steigt die Umweltbelastung noch mehr. Ein einzelnes Auto belastet heute die Luft weniger als früher, aber da die Zahl der Autos steigt, nützt das gar nichts. Die Ideologie eines grünen Wachstums hindert Staaten und Unternehmen daran, eine wirkliche Veränderung anzuvisieren. Die Wirtschaft kann auf einer begrenzten Erde nun mal nicht unendlich wachsen.
Aber die erneuerbaren Energien könnten die fossilen doch irgendwann ersetzen?
Ich bin sehr skeptisch, ob der steigende Energiebedarf durch regenerative Energiequellen gedeckt werden kann. Solar- und Windanlagen können nicht unendlich vermehrt werden. Es braucht auch Platz für Landwirtschaft, Freizeit und Naturschutz.
Ab 2024 kann die Schweiz ihr CO₂ exportieren, um es in der Nordsee zu versenken. Ist das die Lösung?
Ich befürchte, dass technischen Lösungen die Motivation stark senken, den CO₂-Ausstoss weiter zu reduzieren.
«Es reicht nicht, bloss die Abschaffung des Kapitalismus zu fordern.»
Im Buch «Homo destructor» zeigen Sie auf, dass der Mensch nur dank der Entwicklung von Kulturtechniken überleben konnte. Damit begann aber doch auch die Zerstörung der Natur?
Nein. In den Jäger- und Sammlergesellschaften gab es die Idee der grossen natürlichen Ordnung, die vom Menschen nicht gestört werden darf. So wurden etwa vor der Jagd Entschuldigungsrituale für das Töten der Tiere durchgeführt. In den Bauerngesellschaften wiederum war man sich bewusst, dass die genutzte Natur ökologisch wieder stabilisiert werden muss, um die eigene Lebensgrundlage nicht zu verlieren. Dieses Bewusstsein ging erst in den letzten 250 Jahren verloren.
Im Buch erhält man den Eindruck, Sie stellten die Stadt als eine Art Herd des Unheils und das Land als Idylle dar. Das klingt sehr voraufklärerisch.
Nein, das ist falsch. Die städtische Kultur ist zwar relativ naturfern, aber wir verdanken ihr zentrale Innovationen wie Schrift und Zahl, also Literatur, Wissenschaft und Kunst. Stadt und Land haben unterschiedliche Stärken, sind jedoch gleichwertig. Sie haben gemeinsam über lange Zeit dafür gesorgt, dass Natur nicht übernutzt wurde.
Sie schreiben: «Die Hoffnung, mit vernünftigen Prinzipien die Welt verbessern zu können, ist völlig irreal.» Womit soll man sie denn sonst verbessern?
Unser Verständnis von Vernunft geht heute fälschlicherweise davon aus, dass der Mensch ein reines Kopfwesen ist. Der menschliche Geist ist aber eng an Körper und Emotionen gebunden. Bezieht sich der Mensch auf die reine Kopf-Vernunft der Aufklärung, wird dies weder der Realität des Menschen noch der Erde gerecht. So wird Vernunft selbstzerstörerisch.
Aber die Emanzipation des Individuums im Zuge der Aufklärung hat zu den Menschenrechten geführt. Das ist unverzichtbar.
Nein – das ist das moderne Denken. Es gab schon vor der Aufklärung Traditionen wie etwa den europäischen Kommunalismus, in denen der Einzelne Rechte hatte. Damit sind bäuerliche Gemeinschaften wie zum Beispiel der Rätische Freistaat der drei Bünde im 16. Jahrhundert gemeint, die sich wegen der Auflösung feudaler Strukturen weitgehend selbst organisieren konnten. In den Städten gab es in dieser Periode ähnliche Entwicklungen in Bezug auf die Zünfte und die Bürgerschaft, die das «alte» Patriziat zurückgedrängt haben. In diesen Gemeinschaften emanzipierte sich der Mensch aber nicht zulasten der Gruppe. Er wurde zu einem gleichberechtigten Wesen im Rahmen einer Gruppe.
Kann man Tugenden traditioneller Gemeinschaften neu erfinden, ohne in ein autoritäres Regelwerk zurückzufallen?
Das ist möglich. Der entscheidende Punkt ist: Die Autonomie des Einzelnen darf nicht zulasten der Gruppe gehen. Die Menschen können nur gemeinschaftlich Verantwortung für den Umgang mit der Natur übernehmen. Das müsste aber von unten aufgebaut werden. Die «unsichtbare Hand» des freien Marktes, die dafür sorgt, dass das Vorteilsstreben jedes Einzelnen zum Wohl der gesamten Gesellschaft führt, ist ein Märchen.
Das Übel entsteht also mit dem kommerziellen Getreidehandel?
Das ist die klassische Position: Mit der Entstehung der Landwirtschaft und der ersten flächenartigen Veränderung der Natur geht deren Zerstörung voran. Dabei erscheint ein Zurück in eine Jäger- und Sammlergesellschaft als einzige Alternative, was natürlich unrealistisch ist. So wird die aktuelle Entwicklung als alternativlos dargestellt. Ich habe eine andere Sichtweise. Solange die Bauerngesellschaften egalitär organisiert waren, waren sie auch in der Lage, Verantwortung für ihre Umwelt wahrzunehmen.
«Im Laufe der Menschheitsgeschichte gab es andere Formen von Wohlstand – wie zum Beispiel Zeit haben.»
Sie betreiben eigentlich Kapitalismuskritik?
Richtig. Eine Wirtschaft, deren Ziel es ist, aus Geld mehr Geld zu machen, besitzt ein «kaltes Herz» und hat mit menschlichen Werten wenig zu tun. Aber es reicht nicht, bloss die Abschaffung des Kapitalismus zu fordern, und dann wird alles gut. Es geht auch darum, von der Idee des unendlichen Wachstums Abschied zu nehmen. Das betrifft auch die menschlichen Bedürfnisse, die seit den Sechzigerjahren derart stark gewachsen sind, dass dieses Wachstum heute als Ausdruck von Freiheit erscheint.
Wo liegt die Ursache dieser Entwicklung?
Zu einem bestimmten Zeitpunkt passt sich der Mensch nicht mehr in die Natur ein, sondern er abstrahiert vom konkreten Raum und von der konkreten Zeit und verfolgt das Ziel eines unendlichen, grenzenlosen Wachstums. Damit versucht er, eine Position ausserhalb unserer Erde einzunehmen, und das wird dann schnell zerstörerisch.
Aber damit beginnt doch die Entwicklung der Wissenschaft.
Richtig. Mit der Naturwissenschaft beginnt die Quantifizierung der Natur und der Welt. Wir können uns Raum gar nicht mehr anders vorstellen als ein dreidimensionales, leeres Gitternetz mit Länge, Breite und Höhe, in dem es keinerlei Qualitäten – gute oder schlechte Orte, schöne oder öde Gegenden, wichtige oder unwichtige Stellen – mehr gibt. Genauso die Physik: Ein Körper kann sich überall im Raum befinden – es gibt keinen «richtigen» Ort mehr für ihn. Mit diesem Naturverständnis kann man Natur als «Material» behandeln, wie der Philosoph Martin Heidegger richtig sagt.
Die quantifizierende Wissenschaft hat Wohlstand aber erst ermöglicht.
Sie hat einen ganz bestimmten, materiell geprägten Wohlstand hervorgebracht. Er erscheint oft nur deshalb so gross, weil wir die damit verbundenen Belastungen auf die nächsten Generationen verschieben. Im Laufe der Menschheitsgeschichte gab es andere Formen des Wohlstands – wie zum Beispiel Zeit haben.
Eine weitere Ursache der zerstörerischen Dynamik sehen Sie beim Geld. Sie sagen, dass Geld nicht mehr der Geldvermehrung dienen darf. Wie meinen Sie das genau?
Geld sollte nicht mehr als Ware betrachtet werden, die der Geldvermehrung dient, sondern nur noch als Tauschmittel, das den Austausch von Waren und Dienstleistungen erleichtert. Denn der Geld- und Finanzmarkt ist extrem labil: Der Wert des Geldes hängt an der Hoffnung, dass die heute getätigten Investitionen in der Zukunft Gewinn bringen werden. Platzt diese Hoffnung, etwa durch Kriege, Pandemien, Naturkatastrophen, dann verliert das Geld sofort seinen Wert, und die Wirtschaft bricht zusammen.
«Ich halte es nicht für realistisch, dass die Menschheit durch Klimaerhitzung ausstirbt.»
Im Buch prognostizieren Sie «Teilzusammenbrüche» und verknüpfen Hoffnung damit. Wie meinen Sie das?
Die üblichen Szenarien gehen davon aus, dass die Menschheit durch Atomkrieg oder Klimaerhitzung ausstirbt. Das halte ich nicht für realistisch. Wie Corona gezeigt hat, reichen Kleinigkeiten, damit unsere globalisierte Welt nicht mehr funktioniert. Vor dem Corona-Ausbruch konnten wir uns so etwas gar nicht vorstellen. Nach dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und nach einer Reihe von Klimaextremen ahnen wir, wie störungsanfällig unsere vernetzte Welt geworden ist. Ich halte es für wahrscheinlich, dass in Zukunft bestimmte Regionen unbewohnbar werden. Das würde gleichzeitig den Zusammenbruch der meisten globalen Vernetzungen bedeuten. Dies könnte zur Dominanz von Gewaltherrschaften führen, aber es könnten auch Freiräume für neue positive Entwicklungen entstehen.
Worauf darf man denn hoffen?
Mit der Jäger- und Sammlergesellschaft und der Bauerngesellschaft gab es zweimal in der Geschichte der Menschheit Epochen, in denen die Menschen Natur nutzten, ohne sie zu zerstören. Die moderne Entwicklung dauert erst 250 Jahre. Und die globalen Umweltzerstörungen setzten sogar erst in den 1950er-Jahren ein. Das ist eine sehr kurze Zeit. Meine Hoffnung ist es, dass die Menschen sich wieder auf frühere Leitideen besinnen, weil sie sich bewährt haben.
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