Interview mit Umweltexperte«Wir sollten nur noch 50 Gramm Fleisch pro Tag essen»
Damit die Schweiz klimaneutral werden kann, müsste viel mehr Gemüse und Getreide auf unsere Teller, sagt Frank Eyhorn. Er fordert, der Staat müsse handeln und etwa Billigfleischaktionen in Supermärkten verbieten.
Mit einem grossen Paket an Analysen und Massnahmen hat der Bund am Dienstag seine neue Klimastrategie für die Landwirtschaft und die Ernährung vorgestellt. Wesentliche Ziele dabei: Erstens einen Selbstversorgungsgrad von 50 Prozent, zweitens sollen die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft um mindestens 40 Prozent gesenkt werden gegenüber 1990. Drittens soll sich die Bevölkerung «gesund und ausgewogen» ernähren, sodass der Treibhausgasausstoss um zwei Drittel gegenüber 2020 gesenkt werden kann.
Herr Eyhorn, der Bund will, dass wir künftig weniger Fleisch essen. Geht das ohne Verbote?
Die neue Klimastrategie scheint mir diesbezüglich tatsächlich wenig griffig. Wenn wir klimaneutral werden wollen, müssen wir unseren Fleischkonsum drastisch reduzieren. Dabei soll der Staat nicht verbieten, dass wir Fleisch essen. Doch gewisse Regulierungen wären sinnvoll.
Welche zum Beispiel?
Detailhändler sollen keine Aktionen mehr für Billigfleisch machen dürfen. Fast die Hälfte der Fleischmengen wird derzeit durch Aktionen abgesetzt. Diese führen dazu, dass in der Schweiz der Fleischkonsum weiterhin sehr hoch ist. Wahrscheinlich wird kein grosser Detailhändler vorangehen. Und wenn keine Branchenvereinbarung zustande kommt, müsste der Bund Einschränkungen für Fleischwerbung erlassen.
Fleisch ist vergleichsweise günstig. Ein Kilo Cervelats kostet in der Migros 7.50 Franken.
Das ist das Hauptproblem, nicht nur beim Fleisch: Die Preise der Lebensmittel geben derzeit nicht die externen Kosten wieder. Dadurch entstehen falsche Anreize für einen erhöhten Konsum nicht nachhaltiger Produkte.
«Die externen Kosten nicht nachhaltiger Lebensmittel sichtbar zu machen, wäre eine Aufgabe des Staates.»
Was meinen Sie mit «externen Kosten»?
Das sind diejenigen Kosten, die die Allgemeinheit für den individuellen Fleischkonsum bezahlt. Im Grunde zahlen wir Konsumenten viermal: erstens an der Ladenkasse, zweitens über unsere Steuern die Direktzahlungen und Subventionen. Drittens zahlen wir die Schäden, die entstehen und wieder repariert werden müssen – etwa bei der Trinkwasserwiederaufbereitung oder die Kosten, die der Klimawandel verursacht. Und viertens zahlen wir mit höheren Gesundheitskosten, denn zu hoher Fleischkonsum verursacht Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Antibiotikaresistenzen. Viele dieser Kosten vererben wir sogar. Die nächsten Generationen müssen für unseren hohen Fleischkonsum zahlen.
Sie fordern also eine Art «Fleischsteuer»?
Es geht bei weitem nicht nur um das Fleisch. Die externen Kosten nicht nachhaltiger Lebensmittel sichtbar zu machen, wäre eine Aufgabe des Staates. Er muss diejenigen Produkte und Produktionsweisen mit hohen Kosten für die Allgemeinheit besteuern – etwa durch eine Besteuerung des Klimagas-Ausstosses oder von Pestiziden und Kunstdüngern. Gleichzeitig müsste er vermehrt nachhaltige Alternativen subventionieren und Betriebe bei der Umstellung unterstützen. Dadurch entstünde eine grössere Kostenwahrheit, das Marktversagen würde behoben werden.
Wie viel mehr würden dann ein Kilo Rindsfilet oder ein Paar Kalbsbratwürste kosten?
Das lässt sich so pauschal nicht sagen, da es ja auch auf die Herstellungsweise ankommt. Biofleisch von Tieren, die vor allem Gras fressen, hat andere Externalitäten als Fleisch aus intensiver Haltung, das mit Silomais und importierter Soja erzeugt wurde.
Konventionelles Schweizer Fleisch würde sicher teurer. In der Folge würde einfach mehr billiges ausländisches Fleisch importiert.
Wenn auch importiertes Fleisch über Zölle im selben Umfang belastet würde, wären alle Produzenten gleichermassen betroffen. Heisst: Auch Rindfleisch aus Uruguay oder Poulet aus Polen würde teurer. So bliebe die Schweizer Landwirtschaft konkurrenzfähig.
Das dürfte nicht ausreichen.
Die Schweiz muss neben ihrer Zollpolitik auch die Subventionspolitik überarbeiten. Nicht nur der Tierbestand, sondern auch die Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln muss gefördert werden. Vor allem die Direktzahlungen müssen konsequent an den Zielsetzungen der Klimastrategie ausgerichtet werden. Die Lebensmittelpreise werden nicht zwangsläufig steigen. Es gäbe vielmehr eine Verschiebung bei Produktion und Konsum, und zwar gleichzeitig.
«Die einen essen sehr viel weniger Fleisch, andere dagegen essen so viel Fleisch wie die Amerikaner.»
Viele Bauern können es nicht mehr hören: Sie sollten sich dauernd anpassen, Geld investieren, und schliesslich fehlt der Absatz. Verstehen Sie, dass viele frustriert sind?
Absolut. Die Transformation des Ernährungssystems ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und darf nicht allein auf dem Rücken der Bauernbetriebe abgeladen werden. Was es braucht, ist eine langfristig ausgerichtete Ernährungspolitik, die auch den Handel und den Konsum in die Pflicht nimmt.
In der Schweiz leben immer mehr Leute vegetarisch. Warum ist der Fleischkonsum trotzdem seit Jahren relativ stabil?
In der Gesellschaft bewegt sich derzeit sehr viel, das merkt man vor allem, wenn man mit jungen Menschen redet. Viele sind Vegetarier oder essen gar keine tierischen Produkte. Doch in den Zahlen zeigt sich das bislang noch kaum: Letztes Jahr lag der Pro-Kopf-Konsum bei 50,8 Kilogramm, vor zehn Jahren war es nur gerade 1 Kilogramm mehr. Das heisst: Die einen essen sehr viel weniger Fleisch, andere dagegen essen so viel Fleisch wie die Amerikaner. In den USA liegt der Pro-Kopf-Verbrauch bei über 100 Kilogramm – in Kenia dagegen nur bei 10 Kilogramm.
Warum essen wir weiterhin so viel Fleisch?
Die Ausserhaus-Verpflegung hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Kantinen und Take-away sind sehr fleischlastig, dort gibt es häufig Bratwürste, Kebab und Chicken-Nuggets. Dabei könnten die Kantinen vorausgehen und attraktive pflanzliche Menüs anbieten. Das wäre ein wichtiges Signal und bringt viele Menschen dazu, ihren Fleischkonsum zu reduzieren. Im Laden schauen viele Menschen auf Nachhaltigkeitslabels und Saisonalität, aber im Restaurant oder beim Take-away fehlt dieses Bewusstsein meist.
«Statt 100 Gramm Fleisch pro Tag sollten wir nur noch 50 Gramm Fleisch pro Tag essen.»
Wie viel Fleisch dürfen wir essen, wenn wir klimaverträglich leben wollen?
In der Schweiz müsste der Fleischkonsum laut einem wissenschaftlichen Expertenpanel mittelfristig auf etwa 25 Kilogramm pro Jahr gesenkt werden. Das heisst für jeden Einzelnen: Statt 100 Gramm Fleisch pro Tag, sollten wir nur noch 50 Gramm Fleisch pro Tag essen. Sie denken nun vielleicht «50 Gramm, das ist nur ein sehr kleines Plätzli». Das mag stimmen. Doch es geht auch darum, nicht jeden Tag Fleisch zu essen. Wichtig wäre, die Gewohnheit «eine Mahlzeit = Fleisch» zu durchbrechen und etwa im Restaurant nicht immer das Fleischmenü zu bestellen. Es ist nicht gottgegeben und immer schon so gewesen, dass wir viel Fleisch essen. 1950 etwa lag der Fleischkonsum in der Schweiz bei etwa 30 Kilogramm pro Kopf.
Woher kommt diese Gewohnheit?
In der Nachkriegszeit galt lange «Fleisch, Fleisch, Fleisch – jeden Tag Fleisch» – unterstützt mit staatlichen Subventionen und von einer Industrie, die mit dem Fleischkonsum viel Geld verdient. Auch hat die Branche in der Schweiz realisiert, dass sie nicht konkurrenzfähig ist mit ausländischem Getreide. Hier hat der Staat sehr stark eingegriffen. Die Rahmenbedingungen wurden so gesetzt, dass die tierische Produktion gedeihen konnte. Allerdings mit beträchtlichen negativen Folgen für Klima, Gesundheit und Umwelt. Nun geht es darum, die Rahmenbedingungen wieder anders zu setzen. Und die Konsumenten müssen ihre Gewohnheiten überwinden -- das ist schwierig und braucht viel Zeit, aber es funktioniert.
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Derzeit werden in der Schweiz 60 Prozent der Ackerfläche für den Anbau von Tierfutter genutzt, das Grasland ist hier nicht mit eingerechnet. Die Strategie anerkennt zwar das wichtige Ziel, die Ackerflächen vermehrt für die menschliche Ernährung zu nutzen. Die Massnahmen beschränken sich bis 2030 aber lediglich auf Forschung und Dialog. Erst danach sollen allenfalls die Direktzahlungen und Marktzulagen angepasst werden – eine heilige Kuh, die man lieber nicht anrührt.
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