Eurovision: Interview mit Sven Epiney«Die drängende Frage ist: Wo soll der Schweizer ESC stattfinden?»
Sven Epiney moderiert seit Jahren den ESC für SRF. Wie er Nemos Sieg erlebt hat – und ob die Schweiz den Eurovision Song Contest austragen kann, sagt er im Interview.
Herr Epiney, Sie mussten auf der Bühne auf Nemo warten, um das Sieginterview zu führen, weil Nemo die Trophäe beschädigte. Wie schlimm waren Schaden an Mensch und Trophäe?
Beim Abstellen der Siegertrophäe aus Glas ist diese an der dünnsten Stelle beim Sockel in zwei Teile gebrochen. Dabei hat sich Nemo in den Daumen geschnitten. Die Blutung musste zuerst von Sanitätern gestoppt und die Schnittwunde verbunden werden. Nemo geht es aber gut, und die Ersatztrophäe war innert Minuten da.
Und welcher Moment des gestrigen Abends bleibt Ihnen sonst besonders in Erinnerung?
Das war der Moment, als das Publikumsvoting für Nemo bekannt gegeben wurde und der Sieg feststand. Dass die Jury-Wertung hoch ausfallen würde, war für mich naheliegend. Da konnte es nur Bestnoten geben. Denn Nemos Darbietung war ein perfektes Gesamtpaket: Song, Auftritt, Botschaft, Authentizität. Da gibt es nicht allzu viel, was man bemängeln könnte. Doch das Publikumsvoting war bis zuletzt eine Blackbox. Umso schöner war der Moment, als auch dieses hoch ausfiel.
Wieso sahen das die Wettbüros anders? Nemo lag bei den Prognosen ja nur auf Platz drei vor dem Finale.
Am Finaltag kam nochmals richtig viel Bewegung rein, Israel lag plötzlich auf Platz 2. Die Situation war dermassen unberechenbar, dass man sich in der Schweizer Delegation sagte: ignorieren und einfach weitermachen wie geplant, denn wer weiss schon, was die Quoten genau zu bedeuten haben. Ex-Siegerin Conchita Wurst lag auch hinten und rollte das Feld von hinten auf. Die Wettbüros liegen nicht immer richtig. Ich denke, das könnte auch daran liegen, dass die Menschen, die wetten, nur zum Teil abbilden, was der grossen Masse gefällt. Dazu kommt, dass nicht in jedem Land gleich viel gewettet wird.
Wie war die Stimmung in der Halle? Am TV hatte man das Gefühl, Baby Lasagna habe den lauteren Applaus erhalten.
Baby Lasagna hatte mit seiner Uptempo-Nummer einen totalen Mitsingsong am Start. Da war die Stimmung natürlich sehr gut. Nemos Applaus war auch sehr gross, Nemo hat zusätzlich auf einer emotionalen Ebene gepunktet. Ausserdem sind die Songs nicht direkt miteinander vergleichbar, bedienen sie doch verschiedene musikalische Genres.
Nemo bot auch eine gesellschaftspolitische Botschaft. Obwohl der ESC eigentlich unpolitisch sein soll.
Die Frage ist, wo man die Abgrenzung macht. Es ist am Veranstalter EBU zu entscheiden, was politisch ist und was nicht.
Nemo lief mit der Flagge der Nonbinären auf die Bühne. Das wurde von einigen Fans, aber auch Politikern in den sozialen Medien kritisch kommentiert.
Man kann alles kritisch sehen. Am Schluss entscheidet auch hier die EBU.
Wie wird sich Nemos Auftritt auf die Nonbinär-Debatte in der Schweiz auswirken? Nemo sagte ja, als Erstes nach dem ESC mit Bundesrat Jans über Nonbinäre reden zu wollen.
Nemos Anliegen ist es, Akzeptanz für das dritte Geschlecht zu fördern. Und so verstand Nemo auch den Sieg: dass sich in dieser Hinsicht offenbar etwas getan hat. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer kamen durch Nemo und den ESC wohl zum ersten Mal mit Nonbinarität in Kontakt.
Wie gehts mit Nemos Karriere nun weiter? Ist «The Code» der nächste Sommerhit?
Es ist vieles möglich, klar. Die Popularität ist gestiegen und die Anzahl Follower auf den sozialen Medien auch. Nemo wird jetzt bestimmt auch Möglichkeit erhalten, auch im Ausland aufzutreten. ESC-Gewinner bleibt man ja ein Leben lang. Das ist etwas, das einem über Jahre Auftritte bescheren kann. Nicht zuletzt ist der ESC ausserdem ein guter Ort, um Kontakte zu knöpfen. Das ist sicher auch geschehen.
Wird die Schweiz den nächsten ESC austragen?
Wieso nicht? Das Gewinnerland trägt den ESC traditionellerweise stets aus.
Nun, gerade in der Schweiz gibt es viele, die nach dem ESC monierten, dass sie für solchen Kitsch keine Gebühren zahlen wollen.
Das ist wie beim Sport, zum Beispiel im Fussball: Wenn wir schlecht spielen, dann ist Katzenjammer angesagt. Wenn die Nati gewinnt, herrscht Euphorie. Die Akzeptanz für den ESC ist in den letzten Jahren ausserdem gestiegen, die Schweiz hatte da regelmässige Finaleinzüge. Die «Zero points»-Phase ist schon lange vorbei. Ich gehe davon aus, dass wir den ESC austragen. Der Prozess ist spätestens gestern gestartet.
Hat SRF das Know-how für eine solche Riesenkiste?
Jedes Land, das bisher gewann, musste sich diese Fragen stellen. Auch kleine – und auch die haben es angepackt und geschafft. Denn das Know-how beginnt ja nicht bei null. Die EBU arbeitet mit dem Austragungsland zusammen und unterstützt dieses.
Wer moderiert den Schweizer ESC?
Die drängendere Frage ist: Wo soll der Schweizer ESC stattfinden?
Trotzdem: Sie wären für die Moderation doch prädestiniert.
Es wäre natürlich etwas Unglaubliches und eine Ehre, einen solchen Anlass moderieren zu dürfen.
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