Interview mit Chefin von TUI Cruises«Bei Krisen sind Kreuzfahrtschiffe im Vorteil»
Wybcke Meier ist die mächtigste Frau in der europäischen Kreuzfahrtszene. Die Chefin von TUI Cruises erklärt den Expansionskurs ihrer Reederei und verteidigt die Klimaschutzmassnahmen der Branche.
Schwärmten Sie als Kind für Schiffe?
Ich bin zwar auf Helgoland, weit draussen in der Nordsee, aufgewachsen, aber das Schiff war in meiner Jugend nie das Lieblingsfortbewegungsmittel. Denn auf der Überfahrt mit der Fähre nach Cuxhaven wurde mir regelmässig schlecht.
Sie arbeiteten zuvor in der Welt der Reiseveranstalter: War es schwierig, sich in der Kreuzfahrtbranche zurechtzufinden?
In meinem ersten halben Jahr bei TUI Cruises und Mein Schiff kam es mir oft vor, als müsste ich eine neue Sprache lernen. Bei einem Kreuzfahrtunternehmen stossen diverse Fachbereiche zusammen, arbeiten viele Expertinnen und Experten. Aber auch dank tatkräftiger Unterstützung meiner Mitarbeitenden bekam ich schnell grossen Spass am Job.
Sie leiten als einzige und erste Frau eine grosse europäische Reederei. Mussten Sie sich in von Männern dominierten Chefetagen Gehör verschaffen?
Das habe ich nie so empfunden. In den USA lernte ich Frauen kennen, die höchste Positionen in der Branche bekleiden. Aber auch in den Werften in Finnland und selbst in Italien traf ich Frauen in wichtigen Führungsfunktionen.
Machen die verschiedenen Konflikte auf der Welt dem Kreuzfahrtgeschäft gerade einen Strich durch die Rechnung?
Unsere Branche ist es gewohnt, auf unerwartete Situationen zu reagieren. Das betrifft nicht nur politische Konflikte, sondern auch extreme Wettersituationen, die Routenänderungen notwendig machen.
Wie reagieren Sie auf die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen und Mittleren Osten?
Wir hatten im Herbst Anläufe in Haifa und Ashdod in Israel geplant. Diese mussten nach Ausbruch des Gazakrieges aber kurzfristig umgeroutet werden.
Nun ist die Situation im Roten Meer wegen der Angriffe der Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe unsicher – was hat das für Folgen?
Bis die Mein Schiff 2 aus Dubai und die Mein Schiff 5 aus Asien nach Europa zurückkehren, dauert es noch einige Wochen. Falls es die Sicherheitslage dann notwendig macht, werden wir die Route selbstverständlich ändern. Oberstes Gebot bei allem, was wir tun, ist immer die Sicherheit von Gästenund Crew.
Solch schwierige Zeiten wie momentan hat die Kreuzfahrt noch nie erlebt?
Das Anspruchsvollste, was wir je durchmachten, war die Pandemie. Wir mussten bei Ausbruch von Corona das gesamte Geschäft stoppen und dann stufenweise wieder hochfahren. Einmal abgesehen von Corona sind Kreuzfahrtschiffe bei Krisen im Vorteil.
Wie meinen Sie das?
Im Gegensatz zu Hotels an Land sind wir nicht ortsgebunden und können Krisengebieten und ungünstigen Wetterlagen ausweichen. Das ermöglicht grosse Flexibilität. Wenn zum Beispiel ein Mittelmeerhafen ausfällt, suchen wir einen anderen; die Route bleibt mehr oder weniger gleich.
Was ist nach dem guten Jahr 2023 von 2024 zu erwarten?
Unsere Schiffe sind schon hervorragend gebucht, der Trend geht zu langfristigen Reservationen. Die Gäste wünschen Planungssicherheit und fühlen sich eher von Frühbucherangeboten angezogen als von Last-Minute-Schnäppchen. Ich freue mich deshalb, dass wir in den nächsten zwei Jahren unsere Kapazität erhöhen und drei weitere Schiffe in Dienst stellen werden.
Die Gelegenheit, Kreuzfahrtschiffe neu zu konzipieren?
Bald kommt die Mein Schiff 7 aus der Werft. Im Winter 2024/25 sticht die Mein Schiff Relax, das erste Schiff unserer neuen Intuition-Klasse, in See. 2026 folgt ein Schwesterschiff der Mein Schiff Relax. Wir erfinden die Kreuzfahrt nicht neu, aber wir weiten das Wohlfühlkonzept an Bord der Mein Schiff Relax aus. Der Gast soll ein intuitives Erlebnis haben, zwischen ruhigen Zonen und Bereichen mit Unterhaltung und Sport wählen, sich gut orientieren können und noch mehr Raum, beispielsweise für den persönlichen Rückzug, finden.
Verunsichern Sie mit diesem Konzept nicht die Stammkunden?
Ich denke nicht. 70 Prozent entsprechen Bewährtem, das die Gäste schätzen, 30 Prozent Weiterentwicklungen, auch solchen, die die Gäste sich wünschen. Auf den neuen Schiffen sind 85 Prozent der Unterkünfte Balkonkabinen. Die Suiten sind neu am Heck gruppiert, deren Gäste bekommen nun zwei Restaurants mit unterschiedlichen Konzepten.
Und worauf dürfen sich die Gäste der übrigen Kabinenkategorien freuen?
Zum Beispiel auf eine Fass-Sauna mit Meerblick auf dem höchstgelegenen Deck, auf zusätzliche Liege- und Sitzflächen und eine neuartige Dachkonstruktion, die das Pooldeck zur Hälfte überspannt. Neu ist auch ein Infinity-Pool.
Wie entwickelt man Schiffskonzepte?
Wir begannen 2018 auf einem weissen Blatt Papier, arbeiteten mit Trendforschern und internen und externen Fachleuten aus Bereichen wie Gastronomie, Unterhaltung oder Sport. Die wichtigsten Fragen lauteten: Was schätzen die Gäste auf unseren Schiffen, was wünschen sie sich?
Wie wichtig sind Schweizer Passagiere für Mein Schiff?
Die Anzahl Ihrer Landsleute an Bord ist ausbaufähig. Wir waren im deutschen Markt so gefragt, dass uns schlicht die Kapazitäten fehlten für die ausländischen Märkte. Dank der drei neuen Schiffe ändert sich das, der Anteil an Schweizer Gästen wird steigen. Wir sehen, dass Schweizerinnen und Schweizer gern früh und den grösstmöglichen Komfort buchen.
Stört es Sie, dass Kreuzfahrtschiffe als Umweltsünder gelten?
Die Branche hat sich schon vor langem auf den Weg gemacht, Kreuzfahrten so emissionsarm wie möglich zu gestalten. Sie hat die gesamte Schifffahrt beeinflusst, etwa mit Abgasnachbehandlungen oder der Förderung von Landstrom. Wichtig ist auch der Treibstoff: Bei der Mein Schiff Relax setzen wir erst mal auf LNG (Flüssigerdgas), sie kann sobald verfügbar jede Form von synthetischem Treibstoff, sogenannten E-Fuels, nutzen. Die Mein Schiff 7, die in ein paar Monaten auf Jungfernfahrt geht, ist ausgerüstet für den vollständigen Antrieb mit Methanol und später mit E-Methanol. Methanol verursacht um 95 Prozent weniger CO₂-Emissionen als fossile Kraftstoffe.
Hat die Kreuzfahrtbranche zu lange um die Umweltthemen herumnavigiert?
Wir müssen uns tatsächlich an die eigene Nase fassen. In der Expansionsphase haben wir es verpasst, unsere Bemühungen um Nachhaltigkeit und Umweltschutz wirkungsvoll zu kommunizieren. Bei TUI Cruises etwa verfolgen wir ambitionierte Ziele.
Welche?
Wir wollen bis 2030, Wachstum eingerechnet, 27,5 Prozent CO₂-Emissionen einsparen. Ausser mit technologischen Massnahmen etwa mit optimierter Routenplanung und gemächlicherem Tempo. Wir müssen ja keine Schiffsrennen gewinnen. Landstrom, der die Emissionen der Schiffe in den Häfen enorm senken würde, ist leider noch nicht überall verfügbar. Natürlich geht es beim Thema Nachhaltigkeit auch um den Betrieb an Bord, um Wasseraufbereitung, Abfallentsorgung oder Food-Waste. Da sind wir gut aufgestellt.
Kreuzfahrtreedereien geniessen nicht den besten Ruf als Arbeitgeber.
Wir kooperieren mit externen Dienstleistern. Ein Grossteil der Crew ist nicht direkt bei uns angestellt. Aber wir bemühen uns um gute Arbeitsplätze, möglichst viel Freiraum für die Crew, bieten Schulungen und Aufstiegschancen. Die Löhne sind mit den Gewerkschaften ausgehandelt worden. Die Menschen arbeiten gern auf unseren Schiffen, sonst läge die Wiederholerquote der Crew nicht bei 79 Prozent.
Zum Schluss: Wie schalten Sie in der Freizeit ab?
Ich lese gern. Da ich bei der Arbeit meistens sitze, treibe ich zum Ausgleich Sport. Am liebsten bei freiem Horizont. Da schlägt mein norddeutsches Naturell durch.
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