Druck auf soziales NetzwerkInstagram-Chef windet sich im Kreuzverhör
Adam Mosseri musste vor dem US-Kongress antraben. Sein Standardspruch: «Das muss ich mit meinem Team besprechen, ich komme dann auf Sie zurück.»
Ungenau, vage, oder auch: Stimmt ja gar nicht! So lässt sich der Begriff «not accurate» übersetzen, den Meta – der Konzern, der bis vor kurzem noch Facebook hiess – gern verwendet, wenn etwas veröffentlicht wird, was den Konzern schlecht aussehen lässt. Der Film «The Social Network» zum Beispiel, der die Entstehungsgeschichte von Facebook nachstellt, ist laut Gründer Mark Zuckerberg: «not accurate». All die Vorwürfe, wonach die Algorithmen der Netzwerke hitzige Debatten nur fördern und damit zur Spaltung der Gesellschaft beitragen? «Not accurate.» Das «Wall Street Journal», das im September unter Berufung auf interne Dokumente der ehemaligen Mitarbeiterin Frances Haugen berichtete, das Unternehmen habe gewusst, die Nutzung von Instagram habe schlimme Folgen auf die geistige Gesundheit von Millionen von Teenager? «Not accurate.»
In dieser Woche nun veröffentlichte die Initiative Reset eine Analyse zu «Thinstagram», jener Nische der Plattform also, in der Magersucht glorifiziert wird. Die Vorwürfe: Instagram lösche Inhalte nicht, die gegen Richtlinien verstiessen, sondern verbreite sie gar weiter. Die Reaktion auf die Analyse lässt sich zusammenfassen mit: «Not accurate.»
Offen bleibt dabei, was dann aus Sicht des Konzerns von Mark Zuckerberg «accurate» wäre. Wie die Algorithmen wirklich aussehen, zum Beispiel. Oder wie viel Instagram über seine Nutzer weiss, wenn das Geschäftsprinzip doch darin besteht, möglichst viel zu erfahren über die Leute, die es Nutzer nennt. Wenn nun ein Drittel der Nutzerinnen im Teenageralter angeben, sie würden sich durch die Nutzung unglücklicher mit ihrem Körper fühlen, wären Antworten angebracht auf die Frage, ob die Algorithmen Jugendliche in Richtung schädlicher Inhalte schleusen.
Mosseri kündigt Massnahmen zum Schutz von Teenagern an
Es sind diese Fragen, die inzwischen auch den US-Kongress beschäftigen, und die die Abgeordneten am Mittwoch auch Instagram-Chef Adam Mosseri, 39, stellten. Das amerikanische Parlament ist sich ausnahmsweise einig – was selten genug vorkam in den vergangenen zehn Jahren –, dass es nicht in Ordnung ist, was Instagram und der Mutterkonzern Meta da tun. Diese Anhörungen sind oft Schauspiele, bei denen sich Politiker mit Suggestivfragen profilieren und sich Konzernchefs als nachdenkliche, einsichtige und reumütige Weltverbesserer geben.
Das war durchaus auch am Mittwoch so. Nur hatte Mosseri schon einen Tag zuvor quasi einen Prolog geliefert zu seinem Auftritt in Washington: Er kündigte Massnahmen an zum Schutz von Teenagern auf Instagram. Von März an sollen so zum Beispiel Erziehungsberechtigte die Nutzungsdauer überprüfen und auch regulieren können, die Jugendlichen sollen ihre Eltern benachrichtigen können, sollten sie einen anderen Nutzer melden. Das ist allerdings weder eine neuartige noch eine sonderlich weitreichende Massnahme. Der Konkurrent Tiktok beispielsweise geht bereits weiter, Eltern können hier die Sichtbarkeit des Teenagerprofils limitieren. Und vor allem ist das, was Mosseri ankündigte, ein «Opt-in»: Man muss die Grundeinstellungen dafür aktiv ändern. Von selbst ändert sich nichts.
Die zweite Massnahme ist eine sogenannte «Take a Break»-Funktion, bei der Jugendlichen nach 10, 20 oder 30 Minuten auf der Plattform geraten wird, doch bitteschön eine Pause einzulegen. Ein wenig klingt das nach Peter Lustig, der Kindern am Ende einer «Löwenzahn»-Folge stets riet, nun doch bitte den Fernseher auszuschalten. Und: Es ist wieder nur «Opt-in», ausserdem wird die Funktion im Januar erst einmal nur in ein paar Ländern wie den USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Grossbritannien eingeführt.
Nur eine drastischere Massnahme hat Mosseri angekündigt: Die Grundeinstellungen werden so geändert, dass Teenager-Accounts von vornherein als «privat» definiert sind, die Inhalte also nicht von allen Nutzern aufgefunden werden können. Erwachsene können Jugendliche, die nicht bewusst mit ihnen vernetzt sind, so nicht kontaktieren oder sie in ihren Beiträgen erwähnen. Instagram will ausserdem «möglicherweise verdächtiges Verhalten» präziser identifizieren und es Teenagern erleichtern, diese verdächtigen Nutzer zu melden und zu blockieren. Mosseri schreibt zu alldem in einem Blogeintrag: «Wir bei Instagram arbeiten seit langer Zeit daran, junge Leute auf der App sicher sein zu lassen.»
Kritiker sagen, die Massnahmen kämen viel zu spät und reichten nicht aus
Da wiederum würden nun viele Kritiker sagen: «Not accurate.» Mariana Ruiz Firmat von der Non-Profit-Organisation Kairos Action zum Beispiel sagte vor der Anhörung: «Sie verdienen zu viel Geld mit ihnen – es ist deshalb schwer vorstellbar, dass sie wirklich etwas was ändern werden.» Und auch drinnen im Kongress erwarten Mosseri Vorwürfe: «Wir müssen etwas tun. Big Tech giesst Öl ins Feuer mit süchtig machenden Produkten und raffinierten Algorithmen, die Unsicherheiten und Ängste Jugendlicher ausnutzen und davon profitieren», sagt etwa der demokratische Abgeordnete Richard Blumenthal, der Leiter des Ausschusses. «Die Big-Tech-Unternehmen sagen: Vertraut uns! Dieses Vertrauen ist aufgebraucht, die Zeit der Selbstkontrolle ist vorbei.» Die Massnahmen, die der Konzern nun angekündigt habe, kämen Jahre zu spät und reichten nicht aus. «Der Mangel an echten Antworten macht mir Sorgen. Wir brauchen echte Lösungen.»
Mosseris Reaktion auf solche Vorwürfe: Er lobt die Vorzüge sozialer Medien und erklärt, dass es nicht nur um Instagram gehe, sondern auch um Konkurrenzplattformen wie Youtube oder Tiktok: «Es braucht Veränderungen, die die ganze Branche betreffen.» Dann zählt er noch einmal all die Massnahmen auf, die Blumenthal zuvor bereits kritisiert hat. Auf jede harte Frage, etwa ob der Konzern unabhängigen Experten erlauben würde, Algorithmen und Daten zu untersuchen, antwortet der Instagram-Chef so, wie schon andere Manager aus dem Silicon Valley bei solchen Anhörungen geantwortet haben: Bloss keine festen Zusagen, bloss keine klaren Antworten – aber natürlich die grundsätzliche Bereitschaft, bei Verbesserungen mithelfen zu wollen.
Seine häufigste Antwort in der Anhörung: «Das muss ich mit meinem Team besprechen, ich komme dann auf Sie zurück.» Selbst auf die Frage, in wie vielen Ländern Instagram denn eigentlich verfügbar sei, antwortet Mosseri, dass er das nicht genau wisse und erst sein Team fragen müsse. So geht es zweieinhalb Stunden lang, ein Pingpongspiel aus Anklage und Ausweichen. Für alle, die sich wirklich Sorgen machen um die jugendlichen Nutzer sozialer Medien, dürfte die Anhörung vor allem eines gewesen sein: «Not accurate.»
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