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Wende in der Geldpolitik
Die Leitzinsen dürften bald wieder sinken

Im letzten Licht des Tages hebt sich die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) am 01.11.2017 vor der Bankenskyline von Frankfurt am Main (Hessen) ab, wobei auch das Gebäude der ehemaligen Großmarkthalle hell beleuchtet ist. (KEYSTONE/DPA/Boris Roessler)
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Es sei «aus heutiger Sicht nicht auszuschliessen, dass eine weitere Straffung der Geldpolitik nötig werden könnte», sagte Nationalbankpräsident Thomas Jordan an der Lagebeurteilung im September. Was damals als ausgewogener Ausblick herüberkommen sollte, klingt zwei Monate später ziemlich realitätsfremd.

Kaum ein Finanzexperte rechnet heute noch damit, dass die Nationalbank noch einmal den Leitzins erhöhen wird. Im Gegenteil: Vieles deutet darauf hin, dass es mit den Leitzinsen im Verlauf des kommenden Jahres abwärtsgeht.

Seit dem Sommer steht der Leitzins der Nationalbank bei 1,75 Prozent. Die UBS rechnet damit, dass sich dies im Verlauf des nächsten Jahres ändert. Ihrer Einschätzung nach macht die SNB im September einen Schritt nach unten, und bis Ende 2024 sollen die Leitzinsen um total 0,5 Prozentpunkte fallen. Das entspricht auch ungefähr den Erwartungen, die sich aus dem Preis von börsengehandelten Finanzprodukten ableiten lassen (sogenannte Zinsfutures).

Kaum ist der Zinsgipfel erreicht – die Leitzinsen sind von Mitte 2022 bis Mitte 2023 um 2 Prozentpunkte gestiegen –, wird wieder über Senkungen spekuliert.

«Higher for longer» ist überholt

Noch schärfer ist die Kehrtwende, die sich anbahnt, bei anderen Notenbanken. Gemäss den Markterwartungen dürfte etwa die Europäische Zentralbank die Leitzinsen im kommenden Jahr um einen Prozentpunkt senken. Manche Institute gehen sogar noch weiter: Die liechtensteinische VP Bank rechnet etwa damit, dass der Leitzins in der Eurozone 2024 um 1,5 Prozentpunkte herunterkommt.

Auch das steht in auffälligem Kontrast zur offiziellen Rhetorik. «Über Zinssenkungen zu diskutieren, wäre völlig verfrüht», sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde noch Ende Oktober. Die Europäische Zentralbank hatte an ihrer damaligen Sitzung – ähnlich wie die SNB – nach einer längeren Serie von Anhebungen erstmals beschlossen, die Zinsen unverändert zu lassen.

In den USA hat die Federal Reserve ebenfalls bis im Sommer die Zinsen erhöht. Seither hält sie still – und verbreitet eine ähnliche Botschaft wie ihre Pendants: dass die Leitzinsen «higher for longer» bleiben würden, also länger auf einem hohen Niveau. Dies sei nötig, um die Inflation nachhaltig zu bekämpfen. «Das Komitee denkt nicht einmal über Zinssenkungen nach», sagte Fed-Chef Jérome Powell etwa Anfang November, als er mit seinen Kollegen im geldpolitischen Ausschuss der amerikanischen Notenbank zuletzt eine Sitzung abhielt.

Freilich erwartet man an den Märkten, dass auch die US-Notenbank ihre Leitzinsen im Verlauf des kommenden Jahres um gut einen Prozentpunkt senkt. Dabei variieren die Schätzungen: Die UBS rechnet mit 0,5 Prozentpunkten; die VP Bank, die die US-Wirtschaft schwächer einschätzt, mit 1,25 Prozentpunkten.

Geldpolitik bremst die Wirtschaft

Ein wichtiger Grund dafür, dass die Notenbanken weltweit bald umschwenken dürften, ist die Konjunktur. Die Wirtschaft schwächelt – das verlangt generell nicht nach einer straffen, sondern nach einer lockeren Geldpolitik. Besonders in Europa sind die Aussichten von Unternehmen schon seit Monaten getrübt. Doch auch in den USA, wo sich die Wirtschaft nach der Pandemie erstaunlich robust gezeigt hat – auch dank grosszügiger staatlicher Unterstützung –, dürfte das Wachstum im kommenden Jahr deutlich tiefer ausfallen als dieses Jahr.

Derweil ist die Inflation im Rückgang. Ausgehend von den Spitzenwerten, die 2022 erreicht wurden, steuert sie sowohl in den USA als auch in Europa wieder auf den Bereich von rund 2 Prozent zu, den die Notenbanken anstreben.

Das liegt zum einen an purer Mathematik. «In den USA war die Inflation zuletzt stark durch höhere Mietpreise getrieben und in der Eurozone durch höhere Lebensmittelpreise», sagt Thomas Gitzel, Chefvolkswirt bei der VP Bank. «Es genügt, dass die Preise in diesen beiden Bereichen weniger rasch steigen – und schon geht die Inflation in den jeweiligen Volkswirtschaften insgesamt zurück.»

Zum andern haben die Notenbanken selbst dazu beigetragen, dass die Inflation gesunken ist. Nach einer Serie von Zinserhöhungen ist ihre Geldpolitik in der Zwischenzeit ziemlich restriktiv. Das bremst die Wirtschaft bereits heute – und dürfte mit der üblichen Verzögerung von ein bis zwei Jahren auch in Zukunft eine dämpfende Wirkung auf die Konjunktur und die Inflation entfalten.

Gelernt aus den Erfahrungen von 2022

Je mehr die Inflation dabei zurückgeht, desto straffer wird automatisch auch die Geldpolitik werden – sofern sie nicht angepasst wird. Auch das liegt an einem simplen mathematischen Zusammenhang: Ein Leitzins von 4 Prozent ist bei einer Inflation von 3 Prozent real restriktiver als bei einer Inflation von 4 Prozent. Allein schon aus diesem Grund dürften die Notenbanken im Verlauf des kommenden Jahres zunehmend unter Druck geraten, die Zinsen zu senken.

Dass die Notenbanken jetzt noch nicht darüber sprechen wollen, liegt an den Erfahrungen von 2022. Der scharfe Inflationsanstieg hat die Geldpolitik damals auf dem falschen Fuss erwischt. Zu früh Entwarnung zu geben – und danach erneut dumm dazustehen, wenn man den Ernst der Lage unterschätzt hat: Das ist ein Fehler, den Jordan, Lagarde und Powell auf keinen Fall machen wollen.

Kommen sie dereinst doch aus der Deckung, dann bestätigt sich, was viele vermuten: Die Leitzinsen sind jetzt zwar höher – aber nicht für sehr lange.