Rekordteuerung in den USAInflation könnte Joe Biden die Wiederwahl kosten
Es könnte die grösste Fehlkalkulation seiner Karriere sein, sollte der US-Präsident nicht wie versprochen die Teuerung unter Kontrolle bringen.
Vor drei Monaten versicherte Präsident Joe Biden den US-Amerikanern, dass die steigende Teuerung nur vorübergehend sei. Sorgen seien nicht angebracht. Die Notenbank und das Finanzministerium teilten diese Meinung. Man habe genug Zeit, die Preise unter Kontrolle zu bringen, sagte Notenbankchef Jerome Powell.
Doch nun stellt sich die Frage: Hat sich der Präsident verkalkuliert? Entweder muss er «vorübergehend» neu definieren – oder eine bessere Erklärung dafür finden, warum die Teuerung auf den höchsten Stand seit 31 Jahren explodiert ist.
Der Preisschub hatte sich seit Monaten abgezeichnet. Am augenfälligsten im Automarkt, wo Kunden neue Modelle bestellten, auf die sie noch immer warten, und deshalb Occasionen über dem Verkaufspreis erstanden. Hotels und Restaurants schlugen die Preise seit dem Frühjahr um mehr als 20 Prozent auf und machten die Ausfälle, die sie im Lockdown erlitten hatten, zum Teil wett.
Am verrücktesten spielt der Benzinmarkt. Während eine Tankfüllung vor vier Wochen noch 36 Dollar kostete, mussten diese Woche 51 Dollar bezahlt werden. In einem Land, in dem mehr als 90 Prozent der Arbeiter und Angestellten ein Auto brauchen, um zur Arbeit zu fahren, die Kinder von der Schule abzuholen und einzukaufen, ist der Benzinpreis ein Politikum. An ihm messen die US-Amerikaner die Teuerung.
Ein Aufschlag von 50 Prozent in einem Jahr ist deshalb eine hoch brisante Frage für einen Präsidenten, der einen Wirtschaftsaufschwung für alle, nicht nur die Vermögenden, versprochen hatte.
Unglückliches Timing
Das Problem ist, dass die Agenda des Präsidenten mit der Teuerung kollidiert. Als Vizepräsident der Regierung Obama war er nach der Wirtschaftskrise von 2009 für das dringende Ankurbelungspogramm mitverantwortlich. Allerdings fiel es so mager aus, dass sich die Wirtschaft nur langsam über fünf Jahre hinweg erholte und den Demokraten grosse Sitzverluste in den Bundesstaaten eintrug.
Deshalb forcierte Biden in diesem Jahr das grösstmögliche Investitionspaket. Den Vorwurf, erneut zu wenig getan zu haben, wollte er sich ersparen. Zwar müssten die riesigen Staatshilfen von mehr als drei Billionen Dollar die Teuerung nicht zwingend anheizen. Voraussetzung ist aber, dass die Nachfrage dafür besteht.
Doch in diesem Punkt steht Biden nun vor einem Dilemma. Die Corona-Epidemie, die unterbrochenen Lieferketten und die Rekordzahl von US-Amerikanern, die vorzeitig aus dem Arbeitsmarkt aussteigen, haben die Nachfrage gedrückt. Das ist ein unglückliches Timing, ist aber trotzdem das Problem des Präsidenten. Aktuellen Umfragen zufolge ist die Teuerung auf der Liste der Sorgen der US-Amerikaner rasch nach oben gestiegen.
Rücksichtnahme auf Biden sinkt
Noch nie wurde ein Präsident wiedergewählt, wenn die Wirtschaft in einer Rezession steckte oder sich die Inflationsspirale in die Höhe schraubte.
Noch hat Biden etwas Zeit, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Wenn aber der Wahlkampf für die Senatswahlen von 2022 einmal in Fahrt gekommen ist, also im nächsten Sommer, ist es zu spät. Die meisten Wähler haben ihre Meinung dann gemacht. Deshalb glauben Ökonomen, dass die Notenbank spätestens im Juni die Zinsen anheben wird, falls die Teuerung vorher nicht gestoppt wurde.
Damit kommt Senator Joe Manchin ins Spiel, der konservative Demokrat, von dessen Stimme alles abhängt, was Biden mit seinem Sozialprogramm erreichen will. Mit der Inflation hat die Schlagkraft von Manchin noch mehr zugelegt. Nun hat er nämlich das perfekte Argument dafür gefunden, das Programm von rund 1800 Milliarden Dollar aufzuschieben.
Schon vor Monaten warnte er vor einem Inflationsschub – und sollte recht behalten. Mehrere Demokraten im Senat denken gleich wie Manchin, aber sie sagten bisher nichts, um den Präsidenten nicht weiter zu schwächen. Solche Rücksichtnahmen fallen in einem Wahljahr dahin, und das erst recht, wenn die Republikaner auf breiter Front zu gewinnen drohen, wie Umfragen zeigen.
Reallöhne sind in diesem Jahr gesunken
Daran können die boomende Börse und die sinkende Arbeitslosigkeit nichts ändern. Denn die Durchschnittsfamilie hat bisher nichts von den Versprechen der Regierung gespürt.
Im Gegenteil: Die Reallöhne seit Anfang Jahr sind um 2,2 Prozent gesunken. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Wertschätzung des Präsidenten durch die Wähler nicht mehr weit von den tiefen Werten Donald Trumps entfernt ist.
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