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Mobilfunkgegner entdecken Gesetzeslücke
In der Schweiz fehlt eine Aufsicht für Handystrahlung

Wenn das Smartphone beim Telefonieren direkt ans Ohr gehalten wird, ist der Kopf Strahlung ausgesetzt.
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Bislang richtet sich der Widerstand der Mobilfunkgegner in der Schweiz vor allem gegen Mobilfunkantennen, die aus ihrer Sicht gesundheitsschädliche Strahlung aussenden. Doch nun richten die Kritiker ihre Aufmerksamkeit auch auf die nicht ionisierende Strahlung (NIS), die von den Mobiltelefonen selbst ausgeht. 

Abklärungen der Organisation Alerte Phonegate aus Frankreich bei den Bundesbehörden haben ergeben: Hierzulande fehlt ein Aufsichtsorgan, das kontrolliert, ob die Hersteller die gesetzlichen Normen für Handystrahlung einhalten. Vielmehr sind die Produzenten von Mobiltelefonen selbst dafür verantwortlich, in der Schweiz die Sicherheit ihrer Geräte zu gewährleisten.

So antwortete das Bundesamt für Kommunikation am 22. Dezember 2022 auf eine entsprechende Anfrage von Alerte Phonegate, dass «es gemäss heutigem Stand der Gesetzgebung keine Marktüberwachungsbehörde in der Schweiz gibt, die für die gesundheitlichen Aspekte von NIS-Produkten zuständig ist». Dazu zählen nicht nur Smartphones, sondern auch Lampen für ultraviolettes Licht und kosmetische Laser für den Hausgebrauch.

Gegenüber der Redaktion Tamedia bestätigt das Bundesamt den Sachverhalt.

Hinter Alerte Phonegate steht Marc Arazi, ein französischer Arzt und Unternehmer. Er fordert die Schweizer Behörden auf, das Manko rasch zu beheben. Nachdem im Jahr 2015 öffentlich geworden war, dass 9 von 10 der in Frankreich verwendeten Mobiltelefone stärker strahlten als von den Herstellern ausgewiesen, gründete Arazi seinen Verein.

In Anspielung auf den Watergate-Skandal wurde der Zwischenfall bei unserem Nachbarn im Westen als «Phonegate» bekannt. Seitdem engagiert sich Alerte Phonegate europaweit gegen «die Gefahren des Mobiltelefons und von 5G», wie es auf der Website der Organisation heisst.

Anders als in der Schweiz kontrolliert in Frankreich die Agence Nationale des Fréquences (ANFR), ob Mobiltelefone die Grenzwerte bei der Strahlung einhalten. Die Behörde publiziert die Ergebnisse im Internet und hat die Kompetenz, Sanktionen zu verhängen.

Französische Behörden beanstanden 38 Geräte

Bei Tests in den vergangenen acht Jahren ist die ANFR auf 38 Modelle gestossen, die gegen die Auflagen verstiessen. Darunter befanden sich zuletzt Produkte von Samsung und Xiaomi. Die ertappten Hersteller mussten entweder Software-Updates ausspielen, um die Strahlung der Telefone zu verringern, oder beanstandete Geräte in Frankreich vom Markt nehmen.

Bei den Tests halten sich die französischen Behörden an die vorgegebenen Grenzwerte der Europäischen Union. Gemessen wird dabei die sogenannte spezifische Absorptionsrate, die in Watt pro Kilogramm angegeben wird. Wird das Smartphone ans Ohr gehalten, ist in Frankreich ein Grenzwert von höchstens 2 Watt pro Kilogramm erlaubt. Dieselbe Vorgabe gilt auch für die Schweiz – nur wird das hierzulande nicht kontrolliert. 

Darüber hinaus messen die Franzosen die Strahlung, wenn das Gerät in einer Hosentasche steckt. Hier beträgt der Grenzwert ebenfalls 2 Watt pro Kilogramm. Trägt der Nutzer das Mobiltelefon auf Hüfthöhe in einer Hand, dürfen 4 Watt pro Kilogramm nicht überschritten werden.

Gut möglich, dass Schweizer Behörden bald ähnliche Testreihen durchführen werden. Das Innenministerium von SP-Vorsteher Alain Berset hat vom Bundesrat den Auftrag erhalten, die Situation zu klären. Wie diese Redaktion weiss, ist dazu unter Federführung des Bundesamts für Gesundheit eine departementsübergreifende Arbeitsgruppe ins Leben gerufen worden.

Aus dem Kommunikationsdepartement des neuen SVP-Bundesrats Albert Rösti arbeiten das Bundesamt für Kommunikation, das Bundesamt für Energie und das Starkstrominspektorat mit der Taskforce zusammen. Ihre Aufgabe ist es, die Zuständigkeiten zu prüfen und zu schauen, inwiefern Kontrollen für Handystrahlung notwendig sind. Weiter muss das Gremium bestimmen, welche personellen Ressourcen dafür nötig sind.

Wann erste Ergebnisse vorliegen, war beim Bundesamt für Kommunikation nicht zu erfahren. Derzeit beschäftige sich die Taskforce mit der Frage, wer für die Aufsicht zuständig sei, heisst es dazu einzig.

«Kurzfristige negative gesundheitliche Auswirkungen sind keine zu erwarten.»

Bundesamt für Gesundheit in einem Faktenblatt

Auslöser für den Auftrag des Bundesrats an das Innendepartement waren zwei politische Vorstösse aus dem Jahr 2019 und nicht die aktuellen Enthüllungen von Phonegate. Damals verlangten die SP-Nationalrätinnen Silvia Semadeni und Martina Munz in zwei Interpellationen Klarheit über die Ausgangslage in der Schweiz. Und sie fragten, inwiefern der Staat die Bevölkerung korrekt über die Risiken von Handystrahlung informiere.

Zu den Gefahren schreibt das Bundesamt für Gesundheit in einem Faktenblatt: «Bezüglich gesundheitlicher Auswirkungen bei langfristiger Belastung durch hochfrequente Strahlung von Mobiltelefonen bestehen noch Unsicherheiten, kurzfristige negative gesundheitliche Auswirkungen sind keine zu erwarten.»

Um unnötige Strahlenbelastung am Kopf zu vermeiden, empfiehlt die eidgenössische Stelle, beim Telefonieren Kopfhörer und eine drahtlose Freisprecheinrichtung mit einem schwachen Bluetoothsender zu verwenden.

Bald ein Schweizer Ableger von Alerte Phonegate?

In der Schweiz verfolgen Mobilfunkkritikerinnen mit Interesse die Aktivitäten von Alerte Phonegate. Eine davon ist Chantal Blanc, Präsidentin des Vereins Stop 5G Glâne. Sie enthüllte im vergangenen Sommer öffentlichkeitswirksam, dass Bundesrat Berset als Privatperson Einsprache gegen eine Mobilfunkanlage eingelegt hat.

Die französischen Testergebnisse bei den Handys liessen befürchten, dass auch bei den Mobilfunkantennen die Grenzwerte nicht eingehalten würden, sagt Blanc. Sie will mit Alerte Phonegate zusammenarbeiten und einen Schweizer Ableger gründen.