Mamablog: Kleinkinder im KrawallmodusIn der Kita ein Engel, daheim ein Bengel
Der Kontrast zwischen dem Verhalten eines Kindes in verschiedenen Umgebungen kann irritieren – ist letztlich aber auch ein Zeichen von Vertrauen.
Kürzlich rief mich eine Freundin an, deren erschöpfte Ratlosigkeit schon beim ersten Satz deutlich wurde, wie auch der Selbstvorwurf, der in ihrer Stimme mitschwang, sodass ich den Sparschäler auf die Gurke senkte und mich aufs Sofa setzte, um ihr zuzuhören.
«Kaum ist er zu Hause, ist die Hölle los.»
«Ich weiss einfach nicht, was ich falsch mache!», begann sie über sich und ihren Zweijährigen zu reden. «Überall benimmt sich Tim wie ein Engel. In der Kita schwärmen sie regelrecht davon, wie geschmeidig er sich ins Gefüge einpasst und wie selig er jeweils in den Mittagsschlaf fällt. Doch kaum ist er zu Hause, ist die Hölle los. Er dreht durch, macht nur Unfug, hört nicht auf mich und der Mittagsschlaf wird zum ausgedehnten Schrei: ‹Tim-nicht-slafen!›»
«Ich bin wohl einfach keine gute Mutter»
Ich schwieg, strich der Katze übers Fell und fühlte mich zurückversetzt in meine Jahre als Kleinkindmutter. In dieser Zeit hätte ich die Kita-Leiterin oft am liebsten gefragt, ob sie meinen Jungen vielleicht mit einem anderen Kind verwechselt, da der Beschrieb dieses braven Wesens so gar nicht auf meinen kleinen Rabauken passte, dessen Widerspenstigkeit mich an manchen Tagen an den Rand des Wahnsinns trieb.
«Gestern hat die Schwiegermutter Tim nach einem Wochenende bei ihr nach Hause gebracht», fuhr meine Freundin fort. «Und sie konnte nicht aufhören zu schwärmen, wie pflegeleicht der Kleine doch sei, wie gut er auf sie höre und dass er natürlich die ganze Nacht durchgeschlafen habe. Nicht so wie zu Hause, wo er nachts doch ständig aufwache!»
Sie ist eine grossartige Mutter, weil sie ihrem Kind so viel sicheren Raum bietet, dass es sich traut, all die unterdrückten Gefühle aus ihrem Versteck zu holen.
Meine Wut über solch übergriffige Bemerkungen liess mich die Katze etwas heftiger streicheln. Und obwohl diese Freundin zehn Jahre nach mir Mutter geworden war, fürchtete ich, dass sie aus diesem Engel-Bengel-Phänomen die gleichen Schlussfolgerungen gezogen hatte wie ich damals. Und tatsächlich:
«Scheinbar mache ich alles falsch. Alle schaffen es, mein Kind zu führen, nur mir, seiner Mutter gelingt das nicht. Wahrscheinlich hat die Schwiegermutter recht damit, dass ich Tim einfach zu wenig Grenzen setze und ihn verziehe. Ich bin wohl einfach keine gute Mutter.»
Als junge Mutter hatte ich mich genug in Unsicherheit gewälzt und mich ausgiebig mit diesem Thema auseinandergesetzt, um meiner Freundin aus vollem Herzen sagen zu können, dass ich glaube, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Tims Verhalten zeigt, dass sie unter anderem eine so grossartige Mutter ist, weil sie ihrem Kind offensichtlich so viel sicheren Raum bietet, dass es sich traut, all die unterdrückten Gefühle vom Tag aus ihrem Versteck zu holen, die es in der Kita oder bei der Schwiegermutter weggedrückt hat.
Ein Zeichen des Vertrauens
Das tun nicht alle Kinder. Aber einige tun es. Doch warum? Unter anderem, weil angepasste Kinder gern gesehen und gelobt werden, während Eigensinn und Kreativität eher negative Reaktionen hervorrufen. Schon kleine Kinder verstehen schnell, dass widerspenstige Kolleginnen und Kollegen aus der Sicherheit der Gruppe herausgenommen werden und die Erzieherin ein ernstes Wort mit ihnen spricht. Das ist für so schlaue Wesen wie Kinder Antrieb genug, schwierige Emotionen zurückzustellen und sich so zu benehmen, wie von ihnen erwartet wird. Die Kehrseite dieses «Wohlverhaltens» ist jedoch, dass schwierige Gefühle des Tages nicht durchlebt und verarbeitet, sondern nur weggeschoben werden.
Sobald solche Kinder jedoch eine so sichere Zone wie die elterliche Wohnung betreten, können unterdrückte Gefühle wie Unmut, Wut, Enttäuschung hervorbrechen, ohne dass jemand versteht, was los ist. In der Sicherheit der elterlichen Liebe, trauen sie sich anzuecken und zu zeigen, was sie wirklich alles bewegt. Und das ist so viel mehr als nur: «Er hat es so gut gemacht!»
Ein schwieriges Kind zu Hause ist manchmal das grösste Kompliment an seine Eltern.
Darum, liebe Freundin, machst du ganz bestimmt nichts falsch, wenn dein Kind dir seine angestauten Gefühle zeigt. Es liegt nicht daran, dass du zu wenige Grenzen setzt, wenn es in deiner Gegenwart zu einem emotionsgeladenen Rumpelstilzchen wird und es für dich unvorstellbar ist, wie bilderbuchmässig er sich bei der Grossmutter benommen hat. Es ist ein riesiges Zeichen von Vertrauen, dass dein Kind sich bei dir genug sicher fühlt, um sich so ehrlich zu zeigen, während es bei der Schwiegermutter und in der Kita als Herrn Knigges Nachwuchs höchstpersönlich durchgehen könnte.
Es ist eine Geschichte, die von Vertrauen und sicherer Bindung erzählt. Und jaa, ich weiss, liebe Freundin, wie anstrengend das manchmal ist. Wie selten man im Tohuwabohu an solche Zusammenhänge denkt. Doch so eigenartig es auch klingen mag: Ein schwieriges Kind zu Hause ist manchmal das grösste Kompliment an seine Eltern.
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