AboAfghanistans Präsident im Exil Der gescheiterte Staatsmann
Ashraf Ghani passte nie in die Welt der Stammesfürsten, Kriegsherren, Drogenbarone und Taliban-Islamisten. Doch er hat auch selber schwere Fehler gemacht.

Im Nachhinein erscheint es als tragikomische Schlusspointe im Leben eines gescheiterten Staatsmanns. Lange bevor er Präsident von Afghanistan wurde, hatte Ashraf Ghani als Co-Autor ein Buch geschrieben: «Fixing Failed States». Der Mann, der in der Theorie zu wissen glaubte, wie man zerfallende Staaten wieder zusammenfügt, wurde nun von seinen Feinden aus Regierungspalast und Heimatland vertrieben. Was Ghani zurücklässt, ist genau so ein «failed state» – mit einer Zukunft als «Islamisches Emirat» der Taliban oder als Bühne eines neuen Bürgerkriegs.
Aus dem Exil hat sich der Ex-Präsident nun gemeldet: «Ich musste gehen, um ein Blutbad und Zerstörung zu vermeiden.» Die Taliban standen vor Kabul, Ghanis Soldaten waren nicht bereit, für den Staat oder für seinen obersten Repräsentanten ihr Leben aufs Spiel zu setzen. «Ich wurde so schnell ausser Landes gebracht, dass nicht einmal Zeit blieb, meine Sandalen auszuziehen und nach meinen Schuhen zu greifen», sagte er.
Die Taliban pochten da schon an die Palasttür. Der 72-Jährige wird gewusst haben, warum er seine Strassenschuhe hat stehen lassen: Ein anderer gescheiterter Präsident Afghanistans, Mohammed Najibullah, war von den Taliban 1996 abgeschlachtet und an einer Verkehrsinsel aufgehängt worden.
6000 Bücher in der privaten Bibliothek
Ghani ist Sohn eines Beamten aus der friedvolleren Zeit der afghanischen Monarchie. Er ist hochgebildet, hat in Beirut Kulturwissenschaften studiert, in New York promoviert. Er war 15 Jahre bei der Weltbank, hat in den USA, Russland, Indien und China gelebt. Verheiratet ist Ghani mit einer libanesischen Christin, die zwei Söhne leben in den USA. Seine Leidenschaft sind die Bücher: Seine private Bibliothek soll 6000 Bände umfassen.
Das sind alles Qualitäten, die in der Welt der Stammesfürsten, Kriegsherren, Drogenbarone und Taliban-Islamisten wenig zählen. Trotzdem hatte es Ghani geschafft, 2014 und 2019 zum Präsidenten gewählt zu werden, nach den in Afghanistan üblichen Loyalitätskäufen zwischen Stammesführern und regionalen Schwergewichten.
Seine Aufgabe war eigentlich immer fast unlösbar: Frieden bringen in ein Land, das seit 40 Jahren nur Krieg kennt. Das von ethnischen Konflikten zwischen Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Hazara und anderen Volksgruppen geplagt wird. Und das von der Einmischung aus dem Ausland gezeichnet ist: Sowjets, Amerikaner, Pakistaner, Inder, Europäer. Ghani sagte schon 2017: «Ich habe den schlimmsten Job der Welt.»

Der als Choleriker verrufene Ghani kannte die Abgründe der afghanischen Politik, er war Finanzminister unter seinem Vorgänger Hamid Karsai. Dennoch hat er schwere Fehler gemacht. Ihm gelang es nicht, die verfeindeten Volksgruppen auszubalancieren. Der Paschtune pflegte einen persönlichen Dauerkonflikt mit seinem tadschikischen Gegenspieler Abdullah Abdullah. Er hatte sich umgeben mit im Ausland aufgewachsenen Beratern, falsche Personalentscheidungen bei Armee und Polizei getroffen, war Korruption und Opiumindustrie nicht Herr geworden.
Das Messer in den Rücken gestossen hat dem glücklosen Ghani Donald Trump. Der hatte als US-Präsident im Golfstaat Katar mit den Taliban eine fatale Einigung getroffen: Bis Mitte 2021 sollten die seit 2001 im Land stehenden US-Truppen abgezogen sein – was den Abzug aller westlichen Soldaten bedeutete. Ohne deren Schutz konnte Ghani die immer weiter vordringenden Taliban aber weder lange in Schach halten noch sich mit ihnen auf eine Machtteilung einigen.
Nun ging alles noch schneller als gedacht. Schon bevor der letzte US-Soldat Afghanistan verlassen hat, ist die Washington-treue Regierung Ghani aus Kabul verjagt worden. Wenige Tage zuvor hatte er noch gesagt: «Ich werde nicht fliehen. Ich diene dem Volk.»
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