Medienrechtsprofessor zum Vincenz-Prozess«Ich finde die neun Monate Strafmilderung nicht angemessen»
Pierin Vincenz’ Strafmass wurde aufgrund der medialen Vorverurteilung verringert. Der Rechtsanwalt und Professor für Medienrecht, Urs Saxer, findet den Umfang der Strafmilderung nicht sachgerecht.
Herr Saxer, Pierin Vincenz’ Gefängnisstrafe wurde um neun Monate verringert aufgrund der medialen Vorverurteilung. Zu Recht?
Es ist zwar nicht das erste Mal, dass es eine Strafmilderung aufgrund der medialen Berichterstattung gibt. Ich würde jene im Fall von Vincenz dennoch als aussergewöhnlich bezeichnen.
Warum?
Weil es keinen sachgerechten Grund für die Strafminderung gibt, auch aus Gründen der Gleichbehandlung nicht. Es sind ja letztlich prominente Opfer, die diesen Bonus bekommen. Und hier hat es sich nun mal um den grössten Wirtschaftsfall der Schweiz gehandelt. Es war ja klar, dass es zu so einer breiten medialen Berichterstattung kommt.
Können nur prominente Beschuldigte von diesem Medienbonus profitieren?
Den normalen Straffall betrifft es generell nicht. Es gibt aber durchaus Fälle, bei denen unbekannte Personen, die nicht in der Öffentlichkeit oder einer relevanten Funktion stehen, durch den betreffenden Fall ins Licht der Öffentlichkeit geraten. Solche Fälle können aber anders gehandhabt werden.
Inwiefern?
Das Gericht muss sich von Fall zu Fall die Frage stellen, ob die mediale Vorverurteilung ein sachgemässes Kriterium für eine Linderung des Strafmasses ist. Bei Pierin Vincenz handelt es sich um eine Person, die eben nicht erst aufgrund des Strafprozesses in die Medien gelangte. Denn er selbst suchte immer stark die Öffentlichkeit.
«Gewisse Medien hätten in der Berichterstattung zurückhaltender sein können und sich das eine oder andere genüssliche Detail sparen können.»
Sind solche Strafmilderungen wegen medialer Vorverurteilung üblich?
Nein, von einer Usanz kann man hier nicht sprechen, das kommt selten vor.
Ist bei dieser Frage auch die Medienkompetenz einer beschuldigten Person relevant?
Ja, je nach Öffentlichkeitsstatus einer Person. Vincenz wusste, wie er mit den Medien umgehen musste. Beim armseligen Straftäter, der durch die boulevardeske Berichterstattung über seinen Fall in die Medien katapultiert wird, ist die Ausgangslage eine andere.
Wie beurteilen Sie die Höhe der Strafmilderung?
Ich finde den Umfang von neun Monaten, was ja 20 Prozent des ganzen Strafmasses entspricht, als hoch.
Wurde Vincenz Ihrer Ansicht nach in den Medien tatsächlich vorverurteilt?
Ja, es ist schon zu Vorverurteilungen gekommen. Das Ausbreiten gewisser Details bewerte ich als Medienrechtsexperte als eine Persönlichkeitsverletzung. Dennoch finde ich es zwiespältig, dass dies im Fall des prominenten Bankmanagers Vincenz zu einer erheblichen Reduktion der Strafe geführt hat. Denn es gab durchaus prominente Fachleute, welche in der Öffentlichkeit zugunsten von Vincenz ihre Skepsis gegenüber der Anklage äusserten. Vincenz wurde nicht einfach nur vorverurteilt.
Was hätten die Medien besser machen können?
Die Medien behandelten dies sehr unterschiedlich, in Art und Qualität. Gewisse Medien hätten in der Berichterstattung zurückhaltender sein können und sich das eine oder andere genüssliche Detail sparen können. Aber man hat natürlich auch wegen seiner Bekanntheit gern auf ihm herumgetrampelt.
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