Papablog: Der Coronaherbst ist daHört auf mit eurem Panikgerede!
Die Coronakrise ermüdet und nervt. Aber jegliche Massnahmen als Panikmache zu bezeichnen, bringt uns nicht weiter.
Ach guck an, da ist er ja der Coronaherbst. Fallende Blätter, steigende Fallzahlen, rote, tiefrote, total rote und extra rote Zonen mit immer noch mehr Infizierten. Und über allem schwebt der Lockdown oder vielmehr – bevor wir hier wieder irgendeine Metadiskussion vom Zaun brechen, welches partielle Runterfahren des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens wir wie nennen – ein mehr oder minder ausgeprägter Shutdown.
Der Lack ist ab
Beschränkungen also, die dazu führen, dass wir wohl mehrheitlich wieder mit unseren Kindern zu Hause sitzen, während über dutzende Plattformen Schulaufgaben auf die Grossen hereinregnen, und die Kleinen vor Langeweile im Viereck springen, weil sie bei dem Mistwetter nicht mal richtig nach draussen gehen können. Rettungsfonds sind längst so aufgebraucht wie die Geduld mit den Massnahmen zur Pandemiebekämpfung und werden, wenn überhaupt, nur an Grosskonzerne ausgegeben.
Der Lack von den ersten Zoom-Konferenzen mit Freunden und Familie ist längst ab, die digitalen Hintergrundmotive alle durchgespielt und über den Witz, dass wir uns für den Job nur oberhalb der Schreibtischplatte businessmässig in Schale werfen, während wir untenrum eher auf Haushosenniveau absinken, haben wir auch die längste Zeit gelacht.
Lüften ist geiler
Wobei wir da ja noch nicht sind. Noch dürfen die Kinder mit Schal und Heizdecke bewaffnet in völlig überfüllte Schulen gehen, für die innerhalb von sechs Monaten als Strategiehammer die hohe Kunst des «Lüftens» entwickelt wurde. Wieso hätte die Zeit auch dazu genutzt werden sollen, um mit Lehrkräften Lerninhalte zu digitalisieren, Prüfungen zu virtualisieren und alle Beteiligten darin zu schulen und daran zu gewöhnen, dass E-Learning das neue Normal und nicht das alte «Huch, was muss ich jetzt noch mal drücken» ist. Oder für Lehrkonzepte mit geteilten Klassen in Vormittags- und Nachmittagsunterricht. Oder zur Produktion von mobilen Raumlüftern, die in der Lage sind, dass Ansteckungsrisiko auf ein Minimum zu senken. Lüften ist einfach so viel geiler.
Ausserdem will man ja mit Hinweisen auf derlei (versäumte) Möglichkeiten nicht gleich als «Panikmacher» gelten. Das droht mittlerweile nämlich denjenigen, die mit Hinweisen auf die Fallzahlen auf Optionen verweisen, die die Situation verbessern würden. Der deutsche SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach beispielsweise macht genau das seit Wochen und Monaten: Er prognostiziert anhand der Datenlage wie sich die Zahlen entwickeln werden und macht Vorschläge. Dafür muss er sich regelmässig «Panikmache» vorwerfen lassen.
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Panik mit Panikmache
Zur Klarstellung: Wenn jemand laut schreit, dass das alles keinen Sinn mehr hat, das Ende nah ist und wir alle sowieso sterben werden – das ist Panik. Als Epidemiologe das Geschehen zu bewerten und Massnahmen zu skizzieren, ist das Gegenteil davon. Das ist ein bisschen so als würde ich mich beim Kochen schneiden und meine Nachbarin, die Ärztin ist, würde mir empfehlen, die Wunde zu desinfizieren, die Blutung zu stillen und den Schnitt gegebenenfalls nähen zu lassen. Woraufhin ich sie anbrülle, dass das nur ein kleiner Kratzer sei und sie mal nicht so eine Panik schieben soll. Mittlerweile wird Panik mit dem Wort «Panikmache» betrieben.
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Ich kann das nicht mehr hören. Selbst die deutsche Kanzlerin hat keinen Bock mehr. In ihrem letzten Podcast hat sie einigermassen freundliche Umschreibungen dafür gefunden, dass es nun einmal leider so gekommen ist, wie sie im Detail und wissenschaftlich abgesichert bereits erklärt hat, und dann einfach zum Podcast der letzten Woche übergeleitet.
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Sie hat gesagt, was sie gesagt hat, die Faktenlage hat sich nicht geändert, ist halt so. Was für eine panische Reaktion aber auch. Einfach zu sagen, dass Kontakte minimiert werden müssen, weil die Situation beschissen ist und wir längst nicht über den Berg sind. Mir ist klar, dass das niemand mehr hören kann oder will. Aber wenn wir nicht alle miteinander mehr darauf achten, dass sachlich vorgetragene Beobachtungen und Vorschläge nicht als «Panikmache» deklariert werden, dann verfallen wir zusätzlich zu all den Problemen, die wir haben tatsächlich noch in Panik. Und damit ist niemandem geholfen. Am wenigsten uns selbst.
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