Überschwemmungen im ThurgauHöchste Hochwassergefahrenstufe am Bodensee
Die Lage am Untersee verschärft sich. Es werden Schlauchdämme verlegt. Die Schifffahrt ist eingeschränkt. Die Bevölkerung muss Keller räumen.

Der Bund hat am Dienstag für den westlichen Teil des Bodensees die höchste Gefahrenstufe ausgerufen, die auch am Mittwoch gilt. Uferpromenaden, Parkplätze, Gartenrestaurants und Strassenabschnitte stehen unter Wasser. Noch ist der Seepegel jedoch deutlich unter dem Stand des Hochwassers von 1999.
Der Aufenthalt im Bereich von Fliessgewässern ist bei Gefahrenstufe 5 gemäss Bund «äusserst gefährlich». Die Bevölkerung soll sich von Flüssen und Bächen fernhalten und das gefährdete Gebiet verlassen.

Für den Obersee gilt weiterhin Gefahrenstufe 4, wobei es am gesamten Bodenseeufer zu Überschwemmungen kommt. Für den Rhein vom Bodensee bis Mündung Thur gilt die Gefahrenstufe 3.

Der Pegel des Obersees blieb von Dienstag auf Mittwoch konstant, jener vom Untersee stieg um einige Zentimeter an. Das Maximum soll ungefähr am Mittag erreicht werden.
Der Zufluss des Alpenrheins zum Bodensee liegt derzeit deutlich über dem langjährigen Mittel, wie es im aktuellen Lagebericht zum Wasserstand des Bodensees heisst.

Gemäss Prognose des Bundes wird der Pegel des Bodensees in den nächsten Tagen langsam sinken. «Relevante Niederschlagsmengen» seien in den nächsten Tagen nicht mehr zu erwartet. Die Hochwassersituation am Bodensee bleibe jedoch wegen der hohen Pegelstände und der nassen Böden angespannt.
Zivilschutz betreibt Abfüllanlage für Sandsäcke
In verschiedenen Gemeinden am Untersee stehen Uferpromenaden, Parkplätze und Gartenrestaurants unter Wasser. Mit mobilen Deichsystemen – aus Wasser gefüllte Schläuche – wird versucht, das Wasser des Sees zurückzuhalten, wie ein Vertreter des regionalen Führungsstabs Kreuzlingen erklärt.

Ausserdem kommen Sandsäcken zum Einsatz. Der Zivilschutz des Kantons Thurgau betreibe derzeit eine Abfüllanlage für Sandsäcke, um die leeren Depots der Gemeinden wieder aufzufüllen, hiess es beim regionalen Führungsstab weiter.
In Berlingen TG ist die Hauptstrasse durchs Dorf gesperrt. Am Sonntag traten dort nach einem heftigen Gewitter zwei Bäche über die Ufer. Sie hinterliessen eine Schicht aus Wasser und Schlamm im Dorf. Am Dienstag standen Teile der Strasse erneut unter Wasser. Diesmal aufgrund des kontinuierlich angestiegenen Seepegels.

Im Vergleich zum extremen Hochwasser im Jahr 1999 zeigt sich die aktuelle Lage derzeit weniger alarmierend. Damals lag der Wasserstand des Sees bei der Messstation in Berlingen rund 62 Zentimeter über dem am Dienstag gemessenen Wert.
Bevölkerung in Gottlieben kennt die Situation
Die Bevölkerung am Untersee bleibt trotz der Gefahrenstufe 5 ruhig. Man wisse hier, wie man mit der Situation umgehen müsse, sagt eine Bewohnerin von Gottlieben. «Es sind die Touristen, die für Panik sorgen», sagt sie. Beim Jahrhunderthochwasser 1999 habe es einen Meter mehr Wasser gehabt.

Gemeindepräsident Paul Keller bestätigt die ruhige Stimmung im Dorf. Er vergleicht die aktuelle Situation mit 2016, als das Wasser praktisch gleich hoch stand. «Die meisten Leute erinnern sich noch daran und können gut damit umgehen.» Man habe seit dem Wochenende die Stege zu den Häusern erhöht und zusätzlich zu den Sandsäcken auch Schlauchdämme verlegt, um die Häuser vor Wellen zu schützen.
Die Häuser am Seeufer seien grösstenteils nicht unterkellert, erklärt Keller. Baulich sei die Gemeinde für eine solche Situation vorbereitet, in einem Teil gebe es auch einen Hochwasserweg hinter den Häusern am See. Die Gottlieber Hüppen-Manufaktur hat beispielsweise nach 2016 rund eine halbe Million Franken in Schutzmassnahmen investiert.
Gefahr kam am Wochenende von oben
Während man am Bodensee die Pegelstände beobachtete, kam die grössere Gefahr in den letzten Tagen aber von oben, sagt Keller. «Die heftigen Regenfälle haben vielerorts zu Schäden geführt, durch Erdrutsche oder überfüllte Bäche.» Gottlieben, welches den erhöhten Wasserstand jeweils zuerst sp¨ürt, wurde dabei aber nicht stark getroffen.

Stärker getroffen wurden die Thurgauer Gemeinden Ermatingen, Berlingen, Mannenbach-Salenstein und Steckborn. Hier musste die Feuerwehr nach dem Gewitter Keller und Tiefgaragen auspumpen. Einige Schächte liefen über. Auch etwas rheinabwärts in Schaffhausen gab es nach dem Starkregen Einsätze, so schwoll ein Bach in Hemishofen auf 50 Meter Breite an.
Katastrophentourismus in Rorschach
Die Bevölkerung wurde in einigen Gemeinden im Bodensee angewiesen, die Häuser zu sichern. In Rorschach sollen Keller geräumt und Lichtschächte verschlossen werden. Öltanks seien gegen Aufschwimmen zu sichern und allgemein sollen Gegenstände vor dem Wasser in der Höhe in Sicherheit gebracht werden.
Der «Rheintaler» berichtet bereits von einem «Katastrophentourismus». Menschen würden mit Bahn und Bus nach Rorschach kommen, um die Überschwemmungen am Ufer zu fotografieren. Beliebte Sujets seien etwa die Kursschiffe, die derzeit sehr langsam einfahren, um keine höheren Wellen und weitere Überflutungen zu verursachen.
40-Tönner fährt als Zusatzgewicht auf Autofähre mit
Damit die Kursschiffe weiter fahren können, haben die Hafenmeister in Rorschach die Anlegepfähle mit stählernen Verlängerungen um einen Meter erhöht. Ein Nadelöhr bleiben aber Brücken, unter welchen Kurs- und Ausflugsschiffe nicht mehr durchpassen.
So müssen Passagiere in Diessenhofen das Schiff wechseln, weil die Rheinbrücke gesperrt ist. Die Häfen in Kreuzlingen, Konstanz und Gottlieben werden von der Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein derzeit nicht mehr angefahren, da unter der Alten Rheinbrücke in Konstanz zu viel Wasser fliesst.
Auf der Autofähre zwischen Friedrichshafen und Romanshorn ist das Problem, dass die Rampen bei steigendem Seespiegel zu steil werden. Deshalb fährt dort nun ein 40-Tonner mit, damit die Fähre tiefer im Wasser liegt. Die Fähre zwischen Konstanz und Meersburg wird gemäss den Konstanzer Stadtwerken mit Container beschwert, welche mit Aushub gefüllt werden.
Bootsbesitzer am Bodensee sind aufgerufen, die Leinen zu verlängern. Bei steigendem Seespiegel werden zu kurze Leinen ansonsten immer strammer, bis sie reissen und die Boote dann «irgendwo auf dem Bodensee dümpeln», wie der Hafenmeister von Gaienhofen-Horn sagt.
SDA/anf/aeg/sme
Fehler gefunden?Jetzt melden.