Überflutungen in der SchweizSchon bei 10 Prozent mehr Wasser steigen die Schäden massiv
Bestehende Hochwasserrekorde in Schweizer Gewässern dürften mit dem Klimawandel gebrochen werden. Das kann zu unerwartet hohen Schadenssummen führen, wie neue Berechnungen der Universität Bern zeigen.
Die Gefahr von Unwettern mit schweren Folgen ist in der Schweiz auch in den nächsten Tagen noch nicht gebannt. Unter solchen Wetterbedingungen stellt sich stets die Frage, ob das Land präventiv genügend für extreme Ereignisse gewappnet ist. «Die Schweiz ist heute grundsätzlich gut auf Hochwasser vorbereitet», sagt Andreas Zischg vom Mobiliar Lab für Naturrisiken der Universität Bern.
Doch wie sieht es in Zukunft aus? Extremniederschläge werden im alpinen Raum zu jeder Jahreszeit intensiver, wenn die Erderwärmung ungebremst weitergeht. Die Tendenz zu intensiveren Starkniederschlägen hat zudem an den meisten Schweizer Messstationen bereits zugenommen. Das zeigen Studien der ETH Zürich.
Wenn die Schneeschmelze eintritt und die Böden durchnässt sind, steigt das Risiko grosser Abflüsse bei extremen Regenereignissen. Bisherige Abfluss- und Seepegelrekorde können mit dem Klimawandel in Zukunft übertroffen werden. Dabei steigen die Schäden sprunghaft an. Das ist das Fazit einer eben veröffentlichten Studie des Mobiliar Lab.
Die Ergebnisse überraschen: Steigt der Abfluss – also der ungehinderte Wasserfluss – um 10 Prozent gegenüber dem bisherigen Höchstwert, so nehmen die Gebäudeschäden in der Schweiz durchschnittlich um mehr als 40 Prozent zu, bei einem Mehrabfluss von 20 Prozent steigen sie sogar auf 80 Prozent.
Bodensee: Dreimal höhere Schadenssumme
«Natürlich muss man letztlich Einzelfälle betrachten, um festzustellen, wie sensitiv ein Gewässer auf Abflussveränderungen reagiert», sagt Andreas Zischg. Dafür haben die Forschenden des Mobiliar Lab für Naturrisiken ein öffentlich zugängliches Tool entwickelt, um das künftige Risiko einzelner Flussabschnitte vor allem bei grösseren Flüssen und Seen abschätzen zu können.
So zum Beispiel beim Bodensee, der schnell und stark während Regenperioden reagiert. Auch in diesen Tagen. Am 25. Mai 1999 erreichte der Wasserpegel 397,89 Meter über Meer einen bisherigen Höchststand. Bei diesem Wasserstand, so simuliert das neue Tool, wären schätzungsweise mehr als 400 Gebäude durch das Hochwasser betroffen. Würde der Seepegel um einen halben Meter über diese Rekordmarke ansteigen, so wäre eine Fläche mit etwa 1200 Gebäude überflutet. Die mögliche Schadenssumme würde um den Faktor 3 erhöht.
Solche Beispiele gibt es in der Schweiz viele. An der stark durch Hochwasser gefährdeten Aare bei der Stadt Bern wäre die Schadenssumme doppelt so hoch, wenn der bisherige Spitzenwert um 15 Prozent übertroffen würde.
Zürichsee könnte Fläche mit 1100 Gebäuden überfluten
Der Seepegel des Zürichsees erreichte beim grossen Pfingsthochwasser vor 25 Jahren den Höchststand (406,99 m ü. M.). Damals waren gemäss den Modellrechnungen gut 600 Gebäude am und in der Nähe des Seeufers betroffen.
Am Beispiel Zürichsee lässt sich zeigen, dass sich in einer durch den Klimawandel geprägten Welt der Schaden deutlich erhöhen würde: Wäre der Seepegel einen halben Meter höher als die bisherige Rekordmarke und würde das Seewasser heute eine Fläche mit mehr als 1100 Gebäuden überfluten, würde die Schadenssumme um den Faktor 4 im Vergleich zum bisherigen Pegelrekord ansteigen.
Es gab zwei Hochwasser im Frühling 1999 im Schweizer Mittelland. Die Schadenssumme betrug für die gesamte Schweiz 580 Millionen Franken.
«Solche Szenarien sind durchaus realistisch in einer wärmeren Welt», sagt der Berner Forscher Andreas Zischg. Eine Überprüfung des bisherigen Hochwasserschutzes mache deshalb Sinn, zumal bauliche Schutzmassnahmen zeitlich nicht schnell realisiert werden könnten.
Es gibt Unschärfen in der Simulation
Zischg sagt aber auch, dass die Daten des neuen Tools vor allem als Richtwert genommen werden sollten. Es gibt auch Unschärfen: Die Forschenden greifen für ihre Simulationen neben den langjährigen hydrologischen Daten auch auf Messdaten von Querprofilen ausgewählter Flussabschnitte des Bundesamts für Umwelt zu. Zudem können sie aus topografischen Höhen- und Landschaftsmodellen von Swisstopo Aussagen zu den Gebäuden und deren Kubatur herauslesen.
«Wir wissen aber nicht, welche Gebäude, die in Hochwasserzonen liegen, bereits durch bauliche Massnahmen geschützt sind», sagt Zischg. Andererseits ist auch nicht bekannt, welche Häuser über einen Keller verfügen, der bei Hochwasser besonders gefährdet ist. «Ich denke, die Schadenssummen sind vermutlich etwas zu hoch gerechnet», so der Berner Forscher.
«Giesskannenprinzip macht wenig Sinn»
Für Andreas Zischg gibt das entwickelte Instrument aber einen guten Überblick, wo die Schwachstellen sind und wo Gemeinden und Behörden präventiv in Zukunft in den Hochwasserschutz investieren sollten. «Es macht ja keinen Sinn, nach dem Giesskannenprinzip vorzugehen.» Hochwasserschutz ist teuer.
Hochwasserschutz ist teuer und nur langfristig zu planen. Das beste Beispiel ist das Schutzprojekt Alpenrhein, das vor Hochwasser schützen soll, die statistisch betrachtet alle 300 Jahre auftreten. Die Umsetzung dieses Mega-Vorhabens in Zusammenarbeit mit Österreich dauert voraussichtlich bis 2052 und kostet die Schweiz mehr als eine Milliarde Franken, wie es in der kürzlich veröffentlichten Botschaft des Bundesrats heisst. Das Projekt verhindere im schlimmsten Fall Sachschäden in der Höhe von 13 Milliarden Franken.
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