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Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und Fragen
Hier ergibt sich ein russischer Soldat bei Bachmut einer Drohne

Der russische Soldat wird von einer Drohne verfolgt. Er rennt durch die Schützengräben, vorbei an mehreren toten Kameraden. Kurz hinter ihm explodiert ein Sprengsatz. Der Soldat stürzt – und statt weiterzurennen, fängt er an, an die Drohne gerichtet zu gestikulieren. Er möchte sich ergeben. Kurz darauf lassen ihm die Ukrainer einen handgeschriebenen Zettel per Drohne zukommen. Und lotsen ihn schliesslich mit dem Fluggerät aus den Gräben zu einer ukrainischen Stellung.

Die Szenen wurden von den ukrainischen Behörden geteilt. Sie ereigneten sich in der Einheit der 92. mechanisierten Brigade der Ukraine in der umkämpften Stadt Bachmut im Mai. Juri Fedorenko, Kommandant der Angriffsdrohnen-Division Achilles der 92. Brigade, bestätigte gegenüber CNN die Ereignisse. «Als er merkte, dass er sterben würde, warf er sein Maschinengewehr zur Seite, hob die Hände und sagte, dass er nicht weiterkämpfen würde», sagte Fedorenko.

Zu diesem Zeitpunkt hatte man bereits eine Drohne mit Sprengstoff bereit, um ihn zu «eliminieren», so Fedorenko. «Aber da der Feind seine Waffe wegwarf und zu verstehen gab, dass er sich ergeben würde, haben wir ihm den Befehl zur Kapitulation erteilt», so Fedorenko.

Stundenlange Verfolgungsjagd

Reporter der US-amerikanischen Zeitung «Wall Street Journal» interviewten den russischen Soldaten, der sich ergeben hat, in einer Haftanstalt in der Region Charkiw. Bevor der 30-Jährige vergangenen September eingezogen wurde, leitete er ein Geschäft in Idriza, einer Stadt nahe der lettischen Grenze. Wie frei der Soldat im Interview sprechen konnte, bei dem auch ein ukrainischer Gefängniswächter anwesend war, ist nicht bekannt.

Am Abend vor seiner Kapitulation fuhr der Soldat in einem Militärlastwagen nach eigenen Angaben zu einem Waldstück, das nur wenige Hundert Meter von der Frontlinie entfernt lag. Er und zwei Rekruten sollten in das Grabensystem vorrücken, das den ukrainischen Linien am nächsten lag, Schutz suchen und abwarten.

Gegen 1 Uhr nachts wurden sie von einem Wagner-Kämpfer in den nächstgelegenen Graben geführt, wo sie sofort unter Beschuss gerieten. Der Wagner-Kämpfer warnte sie: «Wenn ihr euch weigert, einen Auftrag auszuführen, werdet ihr erschossen. Und wenn ihr versucht, euch zurückzuziehen, werdet ihr auch erschossen.»

Den ganzen Tag über gab es laut dem russischen Soldaten Drohnen- und Mörserangriffe. Gegen 17 Uhr hatte er keine Energie mehr. «Ich dachte, ich würde für immer in diesem Graben bleiben», sagte er gegenüber dem «Wall Street Journal». Am Ende war er nur noch allein unterwegs: Ein Kamerad beging nach ukrainischen Angaben Selbstmord mit einer Handgranate. Der zweite russische Rekrut erschoss sich, nachdem er im Gefecht schwer verletzt worden war. 

«Ergib dich, folge der Drohne»

Die Reporter des «Wall Street Journal» sprachen auch mit dem Drohnenpiloten, der mit dem übergelaufenen Soldaten kommunizierte. Der 26-jährige Ukrainer, der das Kürzel «Boxer» verwendet, sagte, er habe absichtlich eine Granate in sicherer Entfernung vom russischen Soldaten detonieren lassen, nachdem er die hochauflösenden Bilder vom gestikulierenden Soldaten gesehen habe. «Obwohl er ein Feind ist, obwohl er unsere Jungs getötet hat, tat er mir leid», sagte er gegenüber der Zeitung.

Die ukrainischen Offiziere im Kommandoposten forderten «Boxer» auf, Kontakt mit dem Russen aufzunehmen. Mit einem Filzstift schrieb er auf Russisch auf die Verpackung seiner Essensrationen: «Ergib dich, folge der Drohne.» Die Mitteilung flog er dann per Drohne zum Standort des russischen Soldaten, wo er sie abwarf. Danach wurde der Soldat auf einer gewundenen Route durch mehrere Gräben geführt. Als er die ukrainische Stellung erreichte, wurde der Russe in Gefangenschaft genommen. 

Per Drohne kommunizierten die ukrainischen Armeemitglieder mit dem russischen Soldaten. 

Die ukrainische wie auch die russische Seite halten sich bedeckt mit Zahlen über Armeeangehörige, die kapitulieren. Im vergangenen September haben die ukrainischen Behörden ein Programm eingerichtet, über welches sich russische Soldaten ergeben können. Bei dem Projekt namens «Ich möchte leben» können Soldaten, die überlaufen wollen, eine Hotline anrufen. Dann müssen sie ihren Standort angeben und erhalten schliesslich Anweisungen, um auf die ukrainische Seite überzutreten.

Nach ukrainischen Angaben haben innerhalb von fünf Monaten bis im März 2023 knapp 10’000 russische Soldaten die Hotline kontaktiert. Wie viele dieser Personen tatsächlich kapitulierten, sagten die Behörden nicht. Laut einer Mitarbeiterin der Hotline namens Switlana, die vergangenen November mit der BBC sprach, möchten sich nicht alle ergeben, die anrufen. 

«Es gibt auch Neugier, denn viele rufen nicht an, um zu kapitulieren, sondern um herauszufinden, wie sie sich im Notfall helfen können. Das ist jedes Mal anders.» Einige russische Soldaten meldeten sich auch, um sie zu provozieren, sagt sie, obwohl sie nicht denke, dass alle von ihnen die unbegründeten Behauptungen des Kreml glaubten, die Ukraine werde von Nazis regiert. «Wir können nicht über ein ganzes Land urteilen», sagt sie. «Die meisten von ihnen sind um ihr Leben besorgt.»