Analyse zur deutschen FlüchtlingspolitikHelfen, aber mit Verstand
Wann immer Deutschland allein Flüchtlinge aufnimmt, schadet es seinem Ziel einer «europäischen Lösung».
Deutschland streitet wieder über Flüchtlinge, leidenschaftlich, teilweise erbittert. Am einen Pol stehen die Gutmeinenden, die unterschiedslos alle Gestrandeten von den griechischen Inseln nach Köln, Bremen, Berlin oder Hamburg holen wollen. Am anderen die Zyniker, die sagen, je schlechter es den Menschen auf Lesbos oder Samos gehe, desto weniger flüchteten dorthin und umso weniger kämen am Ende in Deutschland an.
Hilfsbereitschaft ist gross
Anders als in den meisten europäischen Ländern ist die Hilfsbereitschaft in Deutschland immer noch gross – auch fünf Jahre nach der Flüchtlingskrise. Hunderttausende engagieren sich, Verbände, Kirchen, linke Parteien, Städte und Bundesländer bieten an, Tausende aufzunehmen. Die Medien räumen dem Thema viel Platz ein.
Dieser Stimmung ist es zu verdanken, dass die deutsche Regierung diese Woche beschlossen hat, im Alleingang weitere 1550 Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen. Die Sozialdemokraten, von ihrer Basis sowie der grünen und linken Konkurrenz bedrängt, hatten die Christdemokraten quasi dazu genötigt. CDU und CSU lenkten ein, als der Druck auch vom eigenen christlich-sozialen Flügel stieg.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatten die Aufnahme bis dahin nicht aus Hartherzigkeit abgelehnt, sondern aus strategischem Kalkül. Je mehr Flüchtlinge Deutschland aufnehme, umso mehr lehnten sich die anderen Europäer zurück, sagte Merkel kürzlich offen. Dabei ist es seit 2015 Deutschlands erklärtes Ziel, das Migrationsproblem in der EU künftig gemeinschaftlich zu lösen. Dies werde aber umso schwieriger, so Merkel, je mehr Deutschland im Alleingang helfe.
Seehofer hat sich um Europa bemüht
Insbesondere Seehofer, in der Flüchtlingskrise noch Merkels Gegner, hatte sich nach 2018 um mehr europäische Zusammenarbeit bemüht. Er gab den Ansatz auf, Flüchtlinge in der EU gerecht zu verteilen, und bildete stattdessen «Koalitionen der Aufnahmewilligen»: für aus dem Mittelmeer Gerettete oder für unbegleitete Minderjährige. Meistens machten nur eine oder zwei Handvoll Länder mit, manchmal auch die Schweiz.
Der deutsche Alleingang dieser Woche, wie nötig und nobel er auch sein mag, hintertreibt Merkels und Seehofers Strategie. All jene Länder, die sowieso keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, sehen sich in ihrer Haltung bestätigt: In der Not knickt Deutschland ein und hilft. Die Migranten sind Deutschlands Problem, nicht das von Europa.
Merkel und Seehofer haben dafür gesorgt, dass jetzt nicht «Brandstifter» belohnt werden.
Haben Merkel und Seehofer mit ihrer Geste aber tatsächlich «Brandstifter belohnt und Nachahmer ermutigt», wie Zyniker jetzt überall in Europa behaupten? Schaut man sich genauer an, wen Deutschland aufnimmt, zeigt sich, dass die Glücklichen klug ausgewählt wurden: Es handelt sich um 410 Familien mit Kindern, die bereits in Griechenland als asylwürdig anerkannt wurden. Und sie stammen nicht nur von Lesbos, sondern auch von anderen griechischen Inseln. Die Brandstifter von Moria, falls Migranten für den Brand tatsächlich verantwortlich sein sollten, werden nicht darunter sein.
Es ist richtig, dass die meisten europäischen Länder den Obdachlosen als Erstes vor Ort helfen. Und gleichwohl tat Deutschland gut daran, darüber hinaus Flüchtlinge direkt aufzunehmen. Zumal die Art der Hilfe zeigt, dass man Migranten bewusst so wenig Anreiz wie möglich bietet, auf die Insel zu flüchten und Lager anzuzünden, um am Ende ins gelobte Europa ausgeflogen zu werden.
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