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Heikle Nahrungs­ergänzung
Werden Gummi­bärchen zu Allheil­mitteln?

2C4N1JR Closeup of three jelly bears peeping out of a round tin candy box on brown background. Selective focus.
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US-Influencerin Kylie Jenner, die deutsche Schlagersängerin Vanessa Mai und Cristiano Ronaldos Partnerin Georgina Rodriguez haben etwas gemeinsam: Sie alle werben auf Instagram für Gummibärchen. Die Süssigkeit ist in den sozialen Medien als Nahrungs­ergänzungs­mittel auferstanden. Sie ist Gesundheits­booster, Haarelixir oder Einschlafhilfe für den Nachwuchs.

Eine gänzlich neue Idee ist das nicht. Vitaminzusätze gelten seit Jahrzehnten als Marketing-Feigenblatt für unausgewogene Lebensmittel. In Energydrinks, Fruchtsäften oder Fruchtgummis sollen sie vom vielen Zucker ablenken. Konsumentenschützer und Ernährungsmediziner kritisieren das bereits, seit es die Produkte gibt.

Gewiefte Start-ups stellen das Konzept auf den Kopf. Statt Genussprodukt mit Vitamin-Anstrich werden die Bärchen zu Nahrungsergänzung mit Genussfaktor: vegan, kalorienarm, prall gefüllt mit Vitaminen, Spuren­elementen oder sogar Hormonen. Das lässt die Kassen klingeln. Die beiden führenden europäischen Marken für Vitamin-Gummis, Ivybears und Bears with Benefits, buhlen nicht nur mit namhaften Influencerinnen um Kundschaft, sondern haben auch andere Gemeinsamkeiten: Beide kommen aus Deutschland – und beide wurden in den vergangenen zwei Jahren von ihren Gründerinnen und Gründern für viel Geld an namhafte Health-Care-Unternehmensgruppen verkauft.

Die Marke Ivybears, die vor elf Jahren gegründet wurde, gehört seit 2022 zur deutschen Windstar Medical Group, die auch Wundversorgung, Abnehm-Shakes sowie Kosmetikprodukte anbietet. Die 2018 gegründeten Bears with Benefits wanderten vergangenes Jahr für einen zweistelligen Millionenbetrag zur französischen Havea-Gruppe. Die «Beauty Vitamins» gelten in der Healthcare-Branche als lukrativ – insbesondere wegen der hohen Margen.

Vitaminpräparate sind meist Geldverschwendung

Der Markt für Supplemente boomt auch in der Schweiz. Knapp ein Drittel der Erwachsenen konsumiert hierzulande Nahrungsergänzungsmittel, obwohl Studien regelmässig zum Schluss kommen, dass bloss ein kleiner Teil der Bevölkerung in gewissen Nährstoffen unterversorgt ist.

«Nur in seltenen Fällen ist eine präventive Einnahme empfohlen», sagt Annina Pauli vom Ernährungszentrum Zürich. So beispielsweise für Veganerinnen und Veganer punkto Vitamin B12 oder für Schwangere bei Folsäure. Eine vorhergehende Beratung legt sie aber auch diesen Gruppen ans Herz. Denn ohne Fachberatung oder einen ärztlich nachgewiesenen Mangel sind die Pillen, Kapseln und Fruchtgummis meist vor allem eines: verschwendetes Geld.

Den Herstellern ist das herzlich egal. Die Topseller unter den viralen Beauty-Fruchtgummis sind Biotin-Präparate für schönere Haare. Oftmals enthalten die Produkte das Zehntausendfache der benötigten Tagesmenge. Während Kylie Jenner dafür bloss als Werbegesicht in die Kamera lächelt, stieg ein anderes Mitglied des Kardashian-Clans gleich selbst in die Branche ein: Letztes Jahr lancierte Kourtney Kardashian mit Probiotika versetzte Gummibärchen namens Lemme Purr.

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Die Bärchen sorgten gleich für zwei Shitstorms: zum einen in feministischen Kreisen, da sie nicht wie andere Probiotika für die Verdauung gedacht sind, sondern bei Frauen vaginal für Gesundheit und angenehmen Geschmack sorgen sollen. Zum anderen auch aufgrund der behaupteten Wirkung, die wissenschaftlich eher fragwürdig ist.

«Bei einem gesunden Menschen ist eine Einnahme von Probiotika per Kapseln grundsätzlich nicht sinnvoll», sagt Bettina Wölnerhanssen, Co-Leiterin der metabolen Forschung am Basler Claraspital. Besser soll auf eine ausgewogene Ernährung, etwa auch durch den Konsum von fermentierten Lebensmitteln, geachtet werden.

Fruchtgummis zum Einschlafen

Oftmals ist der Konsum nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich. Bei Spurenelementen wie Eisen, Zink, Selen und Kupfer kann eine Überdosierung etwa toxisch wirken. Auch bei fettlöslichen Vitaminen, wie A, D, E und K, ist dies der Fall. «Sie werden im Fettgewebe und der Leber gespeichert», sagt Wölnerhanssen. Die Stoffe sammeln sich also über einen längeren Zeitraum im Körper an und können so der Gesundheit schaden. Bei wasserlöslichen Vitaminen, wie etwa C oder B-Vitaminen, passiert dies nicht. Überschüssige Mengen werden über den Urin ausgeschieden.

Medizinerinnen und Mediziner warnen bereits seit Jahren vor dem Hype um die Nahrungsergänzungsmittel. Denn da die Präparate nicht als Arznei, sondern als Lebensmittel gelten, sind sie auch in der Schweiz ohne Rezept oder Beratung im Detailhandel erhältlich. Zudem liegt es bei den Herstellern, zu kontrollieren, ob ihre Produkte unbedenklich sind und die Höchstmengen eingehalten werden.

Diese Verantwortung wird nicht immer wahrgenommen: In der Vergangenheit zeigten Stichproben durch Lebensmittelbehörden in Europa und den USA, dass in gewissen Präparaten die tatsächliche Wirkstoffmenge die auf der Packung angegebene Menge um ein Vielfaches überstieg.

Doch auch wenn die Angaben korrekt sind: Viele Konsumentinnen und Konsumenten nehmen – oft auch aus Unwissen – mehr Ergänzungsmittel als empfohlen. «Man verspricht sich von den Gummibärchen auch ohne Mangelerscheinungen eine Wirkung. So steigt das Risiko für Überdosierungen», sagt Pauli. Zudem sei besonders problematisch, dass die Vitamin-Süssigkeiten genauso gut schmeckten wie gewöhnliche Fruchtgummis, sagt Wölnerhanssen. Ein gefährlicher Anreiz.

Tablettenalternative für Kinder

Abseits von Vergiftungsgefahr, Promi-Influencern und trendy Vermarktung weisen funktionale Fruchtgummis aber durchaus auch Vorteile auf. «Bei Kindern, die Mühe haben, Tabletten zu schlucken, sind sie eine gute Alternative», sagt Pauli. Bevor die Tochter oder der Sohn mit Vitamin-Gummibärchen vollgestopft wird, wäre es jedoch klug, mit einer Fachperson zu sprechen, zum Beispiel bei einer Pädiaterin oder einem Ernährungsberater.

Der Fruchtgummi-Hype beschränkt sich nicht nur auf Vitamine und Spurenelemente. Letztes Jahr sorgte insbesondere das Melatonin-Bärchen für Furore. Das Hormon, das im menschlichen Körper den Schlafzyklus reguliert, wird in den sozialen Medien als Einschlafhilfe für Kinder beworben. Auch Schweizer Eltern importierten hoch dosierte Fruchtgummis aus den USA, obwohl Melatonin-Präparate hierzulande eigentlich verschreibungspflichtig sind. Für den Privatgebrauch ist das erlaubt. Die Zulassungsbehörde Swissmedic und Experten warnen jedoch vor gravierenden Nebenwirkungen durch den unkontrollierten Konsum.

In Deutschland machen Behörden auch auf die Gefahr aufmerksam, dass Kinder die Süssigkeiten für normale Gummibärchen halten und deshalb in grösseren Mengen verzehren. Bei den Nahrungsergänzungsbärchen sei dies bei einem Einzelfall noch nicht so tragisch, heisst es. Die niedlichen Süssigkeiten sind aber mittlerweile in einem Bereich zum Trend geworden, von dem Kinder fern bleiben sollten: Bärchen werden nämlich inzwischen gern auch mit Cannabinoiden versetzt und als Rauschmittel konsumiert.