Symbol für Recht auf AbtreibungGrün ist der Kampfgeist
Das grüne Halstuch ist zum Symbol für den Kampf um das Recht auf Abtreibung geworden. Demonstrantinnen überall in den USA tragen es. Dabei kommt das Bandana eigentlich aus Argentinien.
![Politstar Alexandria Ocasio-Cortez am 24. Juni mit grünem Bandana bei einer Demonstration von Abtreibungsrechtsaktivisten nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, Roe v. Wade zu kippen, in Washington.](https://cdn.unitycms.io/images/3nOa3ldEK4R81ko0QYLFSw.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=oOaKJDUAkNo)
Es war schon dunkel, als Alexandria Ocasio-Cortez am 24. Juni den Union Square in New York betrat. Ein paar Stunden zuvor hatte der Oberste US-Gerichtshof das grundsätzliche Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gekippt, Abtreibungsgegner jubelten, gleichzeitig gab es überall in den USA wütende Proteste, direkt vor dem Gericht in Washington und eben auch in New York, auf dem Union Square.
Demonstrantinnen und Demonstranten hatten sich auf dem Platz versammelt, Videos zeigen, wie sie Transparente schwenken. Dann betritt Ocasio-Cortez eine improvisierte Bühne, 32 Jahre alt, demokratische Kongressabgeordnete, ein Politstar. Jubel brandet auf, dann erzählt sie, wie sie selbst einmal hat abtreiben lassen. «Wir müssen weiterkämpfen für unsere Rechte!», ruft Ocasio-Cortez kämpferisch, und natürlich ist es kein Zufall, dass sie bei all dem ein grünes Bandana um den Hals gebunden trägt.
Das Halstuch ist zu einem Symbol geworden für den Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Demonstrantinnen überall in den USA tragen es derzeit bei den Protesten für ein Recht auf Abtreibung, und neben Ocasio-Cortez zeigen sich längst auch andere US-Politikerinnen mit dem grünen Stoffstück, beispielsweise die Abgeordnete Nydia Velázquez.
Doch so aktuell und präsent das grüne Halstuch derzeit ist, so liegt sein Ursprung doch Jahrzehnte zurück, nicht in den USA, sondern auf der anderen Seite der Erde, in Argentinien.
In der Hauptstadt Buenos Aires kann man die grünen Halstücher heute noch an Kiosken kaufen. Weibliche Teenager haben sie um die Träger ihrer Rucksäcke gebunden, junge Frauen um das Handgelenk, man sieht sie in der U-Bahn oder auf Konzerten, mal baumeln sie auch einfach nur an Rückspiegeln oder Balkonen. Die grünen Halstücher sind omnipräsent, erst recht, wenn mal wieder eine Frauenrechtsdemo ist. Dann verwandelt sich der Platz vor dem Kongress in ein grünes Meer.
Abbrüche in Argentinien legal
Seit 2020 sind Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien legal. Für das katholische Land, das ja auch die Heimat des aktuellen Papstes ist, war das ein gewaltiger Schritt und ein riesiger Erfolg für die feministische Bewegung, die in Argentinien seit Jahrzehnten für das Recht auf Abtreibung kämpfte. Sie war es auch, die vor rund 20 Jahren das erste Mal das grüne Halstuch benutzte. Wer es genau erfunden hat, das ist heute nicht ganz klar. Ruft man bei den Beteiligten an, winken diese nur ab: Keine will sich zur Heldin stilisieren lassen.
Sicher ist nur eines: 2003 tauchte das grüne Halstuch zum ersten Mal auf, in der argentinischen Stadt Rosario, bei einem der Frauentreffen, die alljährlich in Argentinien stattfinden. Zuvor hatten Aktivistinnen aus verschiedenen Organisationen nach einem Symbol gesucht für ihre Forderung nach legalen Schwangerschaftsabbrüchen. Dass sie dabei ausgerechnet auf ein Stück Stoff kamen, ist kein Zufall: In den 70er- und 80er-Jahren, als Argentinien von einer blutigen Militärdiktatur beherrscht wurde, begannen verzweifelte Mütter, auf dem Platz vor dem Regierungspalast in Buenos Aires zu demonstrieren. Sie wollten so auf das Verschwinden ihrer von der Junta verschleppten Kinder aufmerksam machen – und als Erkennungszeichen diente ihnen damals ein weisses Kopftuch.
Ihr mutiger Protest machte die «Madres de Plaza de Mayo» zu Legenden, gleichzeitig wurden sie auch zum Vorbild für die Frauenbewegung, die in Argentinien Ende der 90er-Jahre immer vehementer für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu kämpfen begann.
Ideologisch noch nicht besetzt
Wieso ihre Halstücher dann am Ende grün waren, darüber gibt es verschiedene Versionen. Man habe die Farbe ausgesucht, weil sie ideologisch noch nicht besetzt gewesen sei, sagen Aktivistinnen, die an der Entstehung 2003 beteiligt waren. Dazu kam vermutlich auch noch ein wenig Zufall: Denn eigentlich habe man vor dem Frauentreffen 2003 lila Stoff kaufen wollen, die Farbe also, die bis dahin vor allem für Feminismus und den Kampf für Frauenrechte stand. Die Händler aber hatten nicht genug auf Lager, und so griff man am Ende zu Grün.
Mehrere Tausend Halstücher wurden jedenfalls auf dem Frauentreffen 2003 in Rosario verteilt. Sie waren ein voller Erfolg, die Presse berichtete. Der endgültige Durchbruch erfolgte 2015: Nach einer Welle von Frauenmorden wurde Argentinien von Massenprotesten erschüttert. Vor allem junge Frauen begannen, gegen Diskriminierung und männliche Gewalt zu kämpfen und für das Recht auf Abtreibung. 2018 scheiterte ein erster Gesetzesentwurf, 2020 hatten die Aktivistinnen dann Erfolg.
Die Legalisierung der Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien hatte Signalwirkung. In mehreren Ländern Lateinamerikas wurde zuletzt das Abtreibungsrecht entschärft, und von Chile über Peru und Kolumbien bis nach Mexiko gibt es aktive feministische Bewegungen, die gut vernetzt sind. So verbreiten sich Forderungen wie «Ni una menos», nicht ein weibliches Opfer mehr, oder eben auch Symbole, allen voran das grüne Halstuch. Und längst hat auch die Popkultur das Symbol aufgegriffen, Latino-Star Ricky Martin zum Beispiel zitiert das grüne Halstuch in einem seiner Videos. Es dauerte nicht lange, bis das Halstuch in den USA mit ihrer enorm grossen Latinogemeinde ankam. Nun aber, mit der Abschaffung des landesweiten Rechts auf Abtreibung, bekommt es echte Breitenwirkung.
In Argentinien beobachtet man das mit Staunen und auch etwas Stolz. Es sei etwas Neues, dass Lateinamerika den Vereinigten Staaten vormache, was zu tun sei, sagte Marta Alanis, eine der Aktivistinnen, die an der Entstehung des grünen Halstuchs beteiligt waren, einem argentinischen Radiosender: «Aber der Feminismus ist heute eine globale Bewegung, die Frauen sind nicht allein.»
Also: Nur nicht aufgeben. Denn am Ende ist Grün ja auch nicht nur die Farbe der Befürworter eines Rechts auf Abtreibung, sondern auch die der Hoffnung.
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