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Meinung

Kolumne von Michael Hermann
Grösse als Gefahr

Zwar kein Demokrat, aber immerhin auch kein Hegemon: Der katarische Emir, Sheikh Tamim bin Hamad Al Thani (3. von rechts).
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Mit dem Krieg in der Ukraine hat der Gegensatz zwischen Demokratie und Autokratie die politischen Debatten im Sturm erobert. Der russische Angriff auf sein friedliches Nachbarland ist jedoch nicht nur ein Weckruf an alle demokratischen Länder. Er ist auch eine Aufforderung an alle kleinen und mittelgrossen Staaten dieser Erde, sich besser gegen die Dominanz der ganz Grossen zur Wehr zu setzen. Der Boden für diesen Krieg wurde nicht allein durch das politische System Russlands gelegt, der wohl wichtigste Aggressionstreiber war und ist das imperiale Selbstverständnis der einstigen Grossmacht.

Nur Staaten, die sich über die eigene Grösse und militärische Potenz definieren, denken in geopolitischen Einflusssphären und Hinterhöfen. Nur die selbst definierten Grossmächte dieser Welt massen sich an, allen anderen ihre Regeln aufzudrücken. Anders als die aktuelle Debatte vermuten lässt, geht es im Ringen um eine neue Weltordnung nicht nur um einen Kampf der politischen Systeme, sondern ebenso um eine Auseinandersetzung zwischen den selbst ernannten Hegemonen und der restlichen Staatengemeinschaft.

Einzelne können viel Unheil anrichten

Russland und China sind Gefahrenherde für die friedliche Ordnung der Welt weit mehr als Kirgistan, Vietnam oder Katar – obwohl Letztere ebenso zu den autokratischen Regimes zählen wie Erstere. Und auch in der demokratischen Hemisphäre geht von den grossmächtigen USA weit mehr Unwägbarkeit aus als von Kanada. 

Die Globalisierung hat dazu beigetragen, dass einzelne übermächtige Akteure heute mit geringem Aufwand sehr viel Unheil anrichten können. Das macht sich eben gerade in den verheerenden globalen Folgen des russischen Angriffskriegs bemerkbar. In abgewandelter Form gilt es jedoch auch für die Wirtschaftswelt, wo einzelne Akteure wie Mark Zuckerbergs Meta oder Elon Musk in neue Sphären der Machtballung vorgestossen sind. 

Mobilität, Handel und Digitalisierung haben aus der weiten Welt ein enges Biotop entstehen lassen, dessen Gleichgewicht durch allzu grosse Fische leicht gestört werden kann. Und diese Enge wird mit dem angekündigten «Ende der Globalisierung» nicht weichen. Alle kleinen und mittelgrossen Staaten, die sich nicht wie Belarus zum blossen Sidekick degradieren lassen wollen, haben heute ein strategisches Interesse, der Dominanz der Grossen etwas entgegenzusetzen.

Furcht vor dem russischen Imperialismus

So hat Putins Unterwerfungsversuch des kleineren «Bruderstaats» nicht nur die Länder Mitteleuropas aufgeschreckt, sondern auch in den autoritären zentralasiatischen Republiken die Furcht vor russischem Imperialismus geschürt. Viele Länder Afrikas sehen sich mehr und mehr im Würgegriff chinesischer Machtpolitik. Nachdem sie in den vergangenen Jahren Tür und Tor für chinesische Investitionen geöffnet hatten – nicht zuletzt, weil die Chinesen keine unangenehmen Fragen zu Demokratie und Menschenrechten stellten. 

Natürlich schafft die gemeinsame Furcht vor den Anmassungen der Hegemonen allein keine Wertegemeinschaft. Das Fundament für eine Interessengemeinschaft ist sie allemal. Als Taktgeber einer solchen IG der kleinen und mittleren Staaten ist niemand besser geeignet als die Europäische Union. Die EU ist per se ein Zusammenschluss kleinerer und mittelgrosser Staaten und gerade deshalb heute wieder Sehnsuchtsort vieler Länder der russischen Einflusszone.

Doch die EU kann sich nicht beliebig erweitern, ohne ihren Zusammenhalt und ihre demokratische Gesinnung zu gefährden. Gerade weil sie aufgrund ihrer eigenen Vielfalt und Vielstimmigkeit keine echte Grossmacht und damit auch kein Hegemon ist, kann sie jedoch zur glaubwürdigen Organisatorin der Interessen der «KMU»-Staaten dieser Erde werden. Viele dieser Staaten sind alles andere als perfekt und genügen nicht den demokratischen Ansprüchen. Eine bessere Koordination, mehr Austausch und mehr defensive Macht unter ihnen würde jedoch einen Beitrag leisten zur dringenden Einhegung der globalen Hegemonen.