G-7-Gipfel in DeutschlandDer Westen will den Druck gegen Putin hoch halten
Energiekrise und Inflation erschweren es dem Westen, die Ukraine gegen die russische Aggression zu unterstützen. Gleichzeitig verkauft Russland sein Öl an Indien und China. Lässt sich das verhindern?
Man sei entschlossen, «die anhaltende Inflation und die schwerwiegenden Energieprobleme zu überwinden». Nicht aus der Gegenwart stammen diese Formulierungen, sondern aus dem Communiqué des Weltwirtschaftsgipfels, zu dem sich im Jahr 1975 sechs Staats- und Regierungschefs im französischen Rambouillet trafen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz knüpfte am Sonntag auf Schloss Elmau daran an. Man habe in der ersten Arbeitssitzung des G-7-Gipfels ein Thema besprochen, «das die Bürgerinnen und Bürger überall auf der Welt umtreibt: Energiekrise, Inflation», sagte er.
Die Staats- und Regierungschefs kehrten also zurück zu den Wurzeln der G-7, die sich im Jahr nach dem Treffen in Rambouillet endgültig formierte, als Kanada dazustiess. Der Zustand der Weltwirtschaft bereitet Olaf Scholz, US-Präsident Joe Biden und deren Kollegen aus Frankreich, Grossbritannien, Italien, Japan und Kanada heute ebenso Sorgen wie Helmut Schmidt und Gerald Ford vor 47 Jahren. Die Hoffnungen, die Weltwirtschaft würde sich nach der Corona-Pandemie erholen, haben sich nicht erfüllt, im Gegenteil. «Sinkende Wachstumsraten in einigen Ländern, steigende Inflation, Rohstoffknappheit und Störungen der Lieferketten», zählte der deutsche Kanzler auf – das seien beileibe «keine kleinen Herausforderungen».
Eine globale Rezession droht
China hält an seiner Null-Covid-Strategie fest, die Lockdowns führen zu gigantischen Staus von Containerschiffen. Das bremst den Aufschwung aus. Die US-Wirtschaft wird nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds in diesem und dem kommenden Jahr eine Rezession zwar knapp vermeiden, das Wachstum werde aber deutlich zurückgehen. Für Deutschland haben Ökonomen und Wirtschaftsverbände ihre Prognosen für die Wirtschaftsleistung von 3,5 Prozent auf unter 2 Prozent gesenkt. Auch in der Schweiz haben mehrere Institute ihre Wachstumsprognosen nach unten korrigiert.
Die US-Zentralbank erhöht wegen der drastisch gestiegenen Inflation die Leitzinsen, die Europäische Zentralbank wird nachziehen. Höhere Zinsen belasten die Budgets, weil Kredite teurer werden. Die G-7-Staaten wollen striktes Sparen dennoch vermeiden, um weiter in Infrastruktur zu investieren, die Wirtschaft nicht noch mehr abzuwürgen und ihre Bürger zumindest teilweise zu entlasten.
Biden will Ölpreis-Obergrenze
Europa leidet vor allem unter den stark gestiegenen Energiepreisen – eine direkte Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Sollte Präsident Wladimir Putin die bereits gedrosselten Gaslieferungen ganz stoppen, würde das laut der deutschen Regierung eine schwere Rezession nach sich ziehen. US-Präsident Joe Biden ist mit einer Idee nach Elmau gereist, die Russland treffen soll – aber zugleich die Teuerung von Energie begrenzen könnte.
Er will eine Preisgrenze für Öl aus Russland erreichen und so verhindern, dass Moskau sinkende Exportmengen durch höhere Preise ausgleichen kann. Ob und in welcher Form sich dieser Plan am Dienstag in der Abschlusserklärung findet, war noch offen. Aus Kreisen der deutschen Regierung hiess es, es brauche noch intensive Diskussionen, wie das funktionieren könne und mit den Sanktionen der EU und der anderen G-7-Staaten in Einklang zu bringen sei. Man sei aber auf einem guten Weg, eine Einigung zu finden.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, er werde den Vorschlag mittragen. EU-Rats-Präsident Charles Michel verlangte, das Konzept brauche einen «Feinschliff», damit es alle EU-Staaten unterstützen könnten. Er sei «vorsichtig», antwortete er auf die Frage, ob eine Einigung zu erwarten sei. Der Vorschlag sieht vor, Russland dazu zu zwingen, Öl künftig für einen deutlich niedrigeren Preis an grosse Abnehmer wie Indien zu verkaufen. Dies könnte funktionieren, indem der Westen Dienstleistungen wie Versicherungen für Öltransporte an die Einhaltung knüpft.
Johnson befürchtet Kriegsmüdigkeit
Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs gegen die Ukraine in den Griff zu bekommen, halten die G-7-Staaten für unerlässlich. Sie fürchten, dass die Bereitschaft in ihren Gesellschaften sinken könnte, sich der russischen Aggression entgegenzustellen, wenn die Preise weiter steigen. Der britische Premier Boris Johnson sagte, es sei unvermeidlich, dass Bürger und Politiker des Krieges überdrüssig würden. «Ich denke, der Druck ist da und die Angst ist da, wir müssen ehrlich sein.»
Die deutsche Regierung sieht noch eine weitere Gefahr, sollte die Wirtschaft in eine ernsthafte Krise geraten. Olaf Scholz hat einen Marshallplan für den Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Landes vorgeschlagen. Die Kosten dafür kann wegen der fortwährenden russischen Angriffe niemand beziffern. Dass sie einen dreistelligen Milliardenbereich erreichen werden, gilt indes als sicher. Eine Rezession würde finanzielle Unterstützung für Kiew erheblich erschweren, das ein monatliches Haushaltsdefizit von fünf Milliarden Euro auffangen muss.
Weniger Demonstrierende als erwartet
Nach Schätzungen der Polizei protestierten etwa 900 Kritiker des G-7-Treffens am Sonntag in Garmisch-Partenkirchen, das nahe dem Tagungsort im Schlosshotel Elmau liegt. In der Region sind insgesamt 18’000 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz.
Die zentrale G-7-Demonstration am Samstag in München war unter den Erwartungen geblieben. Die Polizei sprach von etwa 4000 Teilnehmern, die Veranstalter gaben 6000 Protestierende an. Ursprünglich war mit mindestens 20’000 Menschen gerechnet worden.
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