Treffen der Mächtigen in ElmauDarum geht es beim G-7-Gipfel in der bayrischen Idylle
Noch nie stand ein Gipfel im Schatten so vieler schwerer Krisen. Welche Themen stehen bei der G-7 im Mittelpunkt, und was kann die Gruppe ausrichten? Ein Überblick.
An diesem Sonntag beginnt der G-7-Gipfel – zum zweiten Mal nach 2015 im idyllischen Schloss Elmau in den bayrischen Alpen. Noch nie stand ein Gipfel im Schatten so vieler schwerer Krisen wie der diesjährige. Und auch am Format selbst gibt es Kritik. Zehntausende wollen demonstrieren. Ein Überblick über das Treffen.
Mit welchen Themen wird sich der G-7-Gipfel befassen?
Der Ukraine-Krieg, die Corona-Pandemie und der Klimawandel stehen im Mittelpunkt der Zusammenkunft in Elmau. Ausserdem drohen Energiekrisen und Hungersnöte in grossen Teilen der Welt.
Nie zuvor in der Geschichte der G-7 sei ein Gipfel von «so vielen, so schweren, gleichzeitig stattfindenden und miteinander verwobenen Schocks» geprägt gewesen wie der diesjährige, sagt John Kirton, Direktor der G-7-Forschungsgruppe an der Universität Toronto. Der Handlungsdruck ist also gewaltig, und die G-7 wird sich überlegen müssen, wie sie die Folgen dieser Schocks abfedern kann.
So plant der deutsche Kanzler Olaf Scholz , die G-7 von einem «Marshallplan» für die Ukraine zu überzeugen. Dadurch würden Milliardenhilfen in das Land fliessen. Auch müssen die G-7-Länder ihr künftiges Verhältnis zu Russland klären.
«Was unbedingt passieren muss, ist Solidarität mit den Entwicklungsländern», sagt Stormy-Annika Mildner, Wirtschaftsexpertin und Direktorin der Denkfabrik Aspen Institute in Deutschland. Die Länder leiden ohnehin an einer Vielzahl von schweren Krisen, jetzt kommen die Folgen des Ukraine-Kriegs hinzu. «Wenn es der G-7 nicht gelingt, Geld hinter ihre Worte zu stellen, dann wird man die Unentschlossenen in der zu beobachtenden Blockbildung nicht an sich binden können», so Mildner.
Die Bundesregierung hat in der Rolle der G-7-Gastgeberin eine Agenda für den Gipfel erstellt – unter dem vagen Ziel «Fortschritt für eine gerechte Welt». Ganz oben auf der Liste steht der Klimaschutz samt Gründung eines «internationalen Klima-Clubs». Olaf Scholz verfolgt diese Idee schon länger, auf dem G-7-Gipfel will er sie nun durchsetzen: Die Klubmitglieder sollen sich verpflichten, bis 2050 klimaneutral zu sein und vor allem ihre CO₂-Bepreisung anzugleichen. Die Aussichten darauf schätzen Experten aber als gering ein.
Was ist eigentlich die G-7?
G-7 steht für die «Gruppe der Sieben», gemeint sind sieben grosse Industrienationen. Ihre Regierungschefs treffen sich einmal im Jahr, um globale Themen zu besprechen – vor allem solche der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Auch auf Ministerebene finden regelmässige Treffen statt.
Die Gruppe besteht aus den USA, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan und Grossbritannien. Bei der Gründung der G-7 im Jahr 1975 waren diese Länder die stärksten Ökonomien der Welt. Inzwischen sind sie das nicht mehr.
Dennoch bestreiten die G-7-Staaten noch immer fast ein Drittel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, mehr als ein Fünftel davon erwirtschaften die USA.
Nach der Definition der «Grossen Sieben» als die grössten Wirtschaftsmächte der Welt müssten auch China und Indien dabei sein. Kanada und Italien dagegen gehören eigentlich nicht mehr dazu.
Bis 2014 war auch Russland noch Teil dieses Klubs (darum auch: «G-8»). Doch als der russische Präsident Wladimir Putin 2014 die Krim annektierte und damit Völkerrecht brach, schlossen ihn die anderen Länder aus.
Was macht die G-7?
1975 vor allem als Weltwirtschaftsgipfel angelegt, hat sich das Portfolio seitdem enorm verbreitert. Hinzugekommen sind Sicherheit, Klima, Gesundheit und Entwicklung. In diesen Bereichen einigen sich die G-7-Länder auf gemeinsame Massnahmen, Budgets und Handlungsleitfäden (»Best Practices»).
Ein bekanntes Beispiel der jüngeren Vergangenheit ist die globale Mindeststeuer, auf die sich die G-7-Finanzminister im vergangenen Jahr einigten. Die Gipfelbeschlüsse sind rechtlich allerdings nicht bindend, sondern im besten Fall Absichtserklärungen.
Warum wurde die G-7 gegründet?
Gestartet ist die G-7 als ein informeller Klub von Staats- und Regierungschefs der wirtschaftlich führenden Demokratien der Welt. Mitte der Siebzigerjahre ächzt die Weltwirtschaft unter den Folgen der Ölkrise, die Währung schwankt, der US-Protektionismus lebt neu auf.
In der Krise beschliessen die grossen westlichen Wirtschaftsmächte, dass sich ihre Staatschefs fortan regelmässig treffen sollten, um sich enger in Wirtschafts- und Finanzfragen abzustimmen.
Und so lädt der französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing 1975 zum Eröffnungsgipfeltreffen auf Schloss Rambouillet bei Paris. Die ersten Bilder entstehen: eine Runde weisser, älterer Herren in dunklen Anzügen vor schöner Schlosskulisse.
«Zu Beginn waren das Kamingespräche im ganz kleinen Kreis», sagt Stormy-Annika Mildner vom Aspen Institute. Die Staatschefs blieben weitestgehend unter sich, die Transparenz war gering, und der Fokus lag auf weltwirtschaftlichen Herausforderungen. Das hat sich seitdem drastisch geändert: Heute sind G-7-Gipfel politische Grossereignisse.
Wer nimmt dieses Jahr teil?
Da wären zum einen natürlich die Regierungschefs der G-7-Länder, von denen einige auch innenpolitisch stark unter Druck stehen:
Joe Biden, Präsident der USA, blickt in seinem Land auf historisch niedrige Beliebtheitswerte. Im November stehen ihm ausserdem die midterms ins Haus, Kongresswahlen, bei denen seine Demokratische Partei mit aller Wahrscheinlichkeit ihre Mehrheit verlieren wird.
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz ist zuletzt wegen seiner abwartenden Ukraine-Politik in die Kritik geraten, etwa bei Fragen nach der Lieferung schwerer Waffen.
Der britische Premierminister Boris Johnson hat gerade erst ein Misstrauensvotum seiner eigenen Konservativen Partei überstanden.
Auch Emmanuel Macron steht zu Hause vor Herausforderungen: Zwar wurde er im April erneut zum französischen Präsidenten gewählt, aber am vergangenen Wochenende verlor seine Partei in den Parlamentswahlen ihre absolute Mehrheit.
Ausserdem gehören zu den G-7-Regierungschefs der kanadische Premierminister Justin Trudeau, der parteilose italienische Premierminister Mario Draghi und Fumio Kishida: Der Japaner wurde erst im vergangenen Herbst zum Premierminister gewählt und ist zum ersten Mal bei einem G-7-Gipfeltreffen dabei. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine rang er sich – mit etwas Zögern – zu ungewöhnlich scharfen Sanktionen gegen Russland durch.
Neben den sieben Regierungschefs sitzen ausserdem noch zwei Vertreter der Europäischen Union (EU) fest mit am Tisch: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, eine deutsche Christdemokratin, und der Präsident des Europäischen Rats, Charles Michel.
Als besonderer Gast will sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski per Video dazuschalten.
Abseits dieser Grundbesetzung sind sogenannte «Partnerländer» geladen, also aufstrebende Schwellenländer, die nicht zu der G7 gehören. Dieses Jahr sind das Argentinien, Senegal, Südafrika, Indien und Indonesien.
Vertreten sind auch internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen (UN), die Welthandelsorganisation (WTO) und die Internationale Energieagentur (IEA). Traditionell besonders wichtige Gäste sind die globalen Finanzinstitutionen der Weltbank sowie des Internationalen Währungsfonds (IWF), deren Vorstände übrigens stets von G-7-Staaten kontrolliert werden.
Wie arbeitet die G-7?
Informell und abgeschirmt. Man muss sich die Gruppe wie einen kleinen Klub vorstellen, weniger wie eine Organisation. Sie führt kein Sekretariat und hat auch keinen festen Verwaltungsapparat. Einmal im Jahr, meistens in der Mitte, treffen sich die Staats- und Regierungschefs der G-7-Länder für ein paar Tage im Land des Gastgebers – dieses Jahr schon zum zweiten Mal nach 2015 im bayerischen Elmau. Im kommenden Jahr ist Japan dran.
Das informelle Setting hält den Kreis der Teilnehmer überschaubar, ermöglicht Gespräche unter vier Augen auf den Fluren abseits von den Sitzungen und erlaubt es den Regierungschefs, auch persönliche Beziehungen zueinander aufzubauen.
Sei es im Strandkorb wie hier vor 15 Jahren in Heiligendamm (damals noch mit Putin) oder 2015 beim Biergartenbesuch, bei dem Angela Merkel Barack Obama davon abhielt, eine Weisswursthaut zu essen.
«Diese Menschen haben den einsamsten Job der Welt», sagt G-7-Experte John Kirton. Wenn sie unter sich – ohne ihre Entourage - zusammensitzen, könne das «wie Gruppentherapie» wirken. Sie «bonden miteinander», tauschen Erfahrungen aus, werden oft auch Freunde.
Ein berühmtes Beispiel: Die Freundschaft von Helmut Schmidt und Pierre Trudeau, Justin Trudeaus Vater und Vorgänger als kanadischer Premierminister, führte auf dem Gipfel von 1978 dazu, dass am Ende überraschend eine Erklärung zu Flugzeugentführungen verabschiedet wurde. Trudeau hatte sie für seinen Freund Schmidt vorangetrieben: Gerade erst war der «Deutsche Herbst» mit der Entführung der Landshut-Maschine blutig zu Ende gegangen.
Ob die Staatschefs miteinander klarkommen oder nicht, beeinflusst die Arbeit der G-7 erheblich. Denn die Gruppe entscheidet per Konsens, nicht per Mehrheit. «Mit Donald Trump hat die G-7 massiv an Handlungsfähigkeit verloren», sagt Mildner vom Aspen Institute.
Nach dem Gipfel von 2018 kündigte der US-Präsident das gemeinsame Abschlussdokument noch beim Rückflug von Bord der Air Force One auf – per Tweet.
Solche Eklats hält der diesjährige Gipfel wohl nicht bereit: G-7-Experte Kirton zufolge drohen keine nennenswerten Persönlichkeitsdifferenzen.
Wie gross ist der Aufwand für den Gipfel?
Enorm gross, und er steigt seit vielen Jahren. Um die 168 Millionen Franken soll der diesjährige Gipfel im Schloss Elmau dem bayerischen Innenministerium zufolge kosten, das Treffen vor sieben Jahren am selben Ort kostete noch 130 Millionen Franken.
Dass die Kosten auch in Zukunft steigen werden, nennt Stormy-Annika Mildner vom Aspen Institute eine «fair bet», eine sichere Wette. Über die Jahre ist die Entourage der Teilnehmer gewachsen, die Themen sind breiter und das Drumherum mit Gastländern und Abgesandten internationaler Organisationen ist grösser geworden.
Das Elmauer Tal ist bereits seit vergangenem Wochenende komplett abgeriegelt und wird es bis Ende Juni bleiben. Allein fast 150 Millionen Franken sind für den Polizeischutz vorgesehen: Etwa 18’000 Beamte sind während des Gipfels im Einsatz.
Alle 37 Schulen im Landkreis Garmisch-Partenkirchen wurden in den Distanzunterricht geschickt – wegen des erwarteten Verkehrschaos.
Wieso gibt es so viele Proteste gegen die G-7?
Neben den sagenhaften Kosten rufen die Gipfeltreffen aus vielen Gründen Gegner auf den Plan. Darunter ist die Sorge vor den negativen Auswirkungen der Globalisierung. Die G-7 ist hier für viele zum Inbegriff einer immer vernetzteren Welt geworden, in der auf die Bedürfnisse der Länder des globalen Südens zu wenig Rücksicht genommen wird.
Andere fragen sich, wie zeitgemäss es noch ist, dass ein exklusiver Klub aus nur sieben Ländern – noch dazu alles westliche – geopolitische Entscheidungen trifft, die den Rest der Welt ebenso angehen. Die G-7-Staaten machen zwar fast ein Drittel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts aus, vertreten aber nur zehn Prozent der Weltbevölkerung.
Für viele steht der immense Aufwand für den Gipfel in keinem Verhältnis mehr zu seinen Ergebnissen, insbesondere was den Kampf gegen den Klimawandel angeht. «Wir brauchen ein knallhartes Arbeitstreffen und nicht wunderschöne Bilder vor Alpenkulisse fürs G-7-Poesiealbum. Wir wollen auch klare Konsequenzen sehen», sagte etwa Christoph Bautz, Geschäftsführer des globalisierungskritischen Vereins Campact, im Vorfeld des diesjährigen Gipfels.
Zusammen mit 14 anderen Organisationen hat er in München zu einer Grossdemo am Samstag aufgerufen. 20’000 Teilnehmer waren angemeldet, die Polizei ging sogar von mehr aus. Am Ende kamen – trotz des milden Wetters – nur zwischen 4000 und 6000 Menschen zur Demo. Grössere Reibereien mit der Polizei entstanden keine.
Einige Hundert hartgesottenere Protestler sind direkt nach Garmisch-Partenkirchen gereist und haben dort ein Camp unter dem Motto «Stop G7» aufgeschlagen. Sie wollen dem Gipfel in Elmau möglichst nahe sein, doch ins Elmauer Tal werden sie kaum eindringen können, dazu sind die Sicherheitsvorkehrungen zu hoch. Trotzdem ist die Situation aufgeladen: Bereits am Mittwoch brannten in München acht Mannschaftsbusse der Polizei aus – mutmasslich ein Brandanschlag.
Wie wichtig wird die G-7 in Zukunft sein?
Für die kommenden Jahre wird die G-7 ein entscheidendes Gremium bleiben, so sehen es die Experten Kirton und Mildner. Grund dafür ist, dass der Ukraine-Krieg die Welt in zwei Lager aufspaltet: jene, die sich klar gegen die russische Invasion positionieren, und jene, die es nicht tun. Die «Gruppe der 20» (G 20), die sich ebenfalls regelmässig trifft, ist zwar inklusiver, weil sie neben der G-7 auch Länder wie China, Russland, Indien und Brasilien umfasst. Doch die Differenzen darin erscheinen in der aktuellen Krise derart unüberbrückbar, dass sie die G 20 de facto handlungsunfähig machen. In der G-7 hingegen lässt sich Konsens unter den eher gleichgesinnten Westmächten leichter finden.
Eine immer wieder ins Spiel gebrachte Idee ist es, die G-7 zu einem «Klub der Demokratien» zu erweitern, also alle Demokratien der Erde unabhängig von ihrer Wirtschaftsmacht in einer festen Gruppe zusammenzuführen. Eine Antwort auf den jüngsten Boom an Autokratien in der Welt. Allerdings könne eine solche Erweiterung leicht auf Kosten der Effizienz gehen, sagt Mildner. «Je grösser die Gruppe, desto schwieriger wird es, Kompromisse zu finden. Es braucht eine Kerngruppe mit gemeinsamen Werten und Interessen.»
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