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Neues Gesetz in Griechenland
Der Samstag gehört dem Chef – Griechen müssen 6 Tage pro Woche arbeiten

People take part in a demonstration in central Athens on April 17, 2024, after labor unions in Greece called a 24-hour nationwide strike to protest against the rise of the cost of living. (Photo by Aris MESSINIS / AFP)
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Neulich, ein Friseurbesuch in Athen. Frage an den jungen Mann, der jetzt schon eine Weile für die Haare des Korrespondenten verantwortlich ist: Wie viel arbeitet er eigentlich? Es ist nämlich so, dass der Friseur immer im Dienst zu sein scheint. Morgens sowieso, nachmittags auch dann, wenn es über 40 Grad heiss wird, und oft abends noch, um 21 Uhr, wenn man an seinem Salon vorbeikommt. Da steht er, draussen ist es längst dunkel, Haare schneidend, als würde er hier leben. An seinem Arbeitsplatz.

«Also vier Tage die Woche je um die neun Stunden», sagte er. Ah, dachte der Korrespondent, klingt fair, klingt nach einer Wochenarbeitszeit. Viertagewoche, liest man ja öfter. Wollen ja viele in der Generation Z. Aber der griechische Friseur war noch nicht fertig. «Und zwei Tage die Woche», sagte er, «je circa sieben Stunden. Und manchmal länger, je nachdem.»

Oh, das klingt ja gleich ganz anders. Klingt nach Arbeitszeiten, die sich in der EU verbieten würden, denn dort gelten 48 Stunden die Woche als Maximum. «Der Salon gehört meinem Freund», sagte der Friseur. «Da schaue ich nicht so genau auf die Uhr.»

40 Prozent Lohnaufschlag für Samstagsarbeit

Im Juli tritt in Griechenland ein Gesetz in Kraft, das die Praxis, mehr zu arbeiten, legalisiert. Es erlaubt Arbeitgebern, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen sechsten Tag die Woche arbeiten zu lassen. Im Tourismus und in der Gastronomie ist das schon länger so, gerade in den Urlaubsorten sind im Sommer eher sieben Tage die Regel. Von kommender Woche an ist der sechste Tage auch in der Industrie und in einigen anderen Branchen erlaubt, bei den Banken zum Beispiel.

Zuschläge soll es dafür geben, wenn die Menschen einen sechsten Tag in die Firma kommen: 40 Prozent Lohnaufschlag für Samstagsarbeit, 115 Prozent am Sonntag. Die konservative griechische Regierung will damit «aus der Schattenwirtschaft in die Legalität» holen, was bisher schon in vielen Firmen geschehe, so sagt es das Arbeitsministerium. Ausserdem wolle man gegen den Fachkräftemangel kämpfen, der auch in Griechenland herrscht, der alternden Bevölkerung wegen und weil die Jungen ins Ausland ziehen. Diesen Sommer, heisst es, hätten einige Hotels erst später eröffnen können, es fehlte ihnen das Personal.

Die Kritik der Opposition ist klar: Sie fürchtet, dass den Menschen mit dem neuen Gesetz die Mehrarbeit aufgezwungen wird. Ein Mitspracherecht haben sie nicht, und die Arbeitgeberin kann den Zusatztag auch sehr kurzfristig einfordern. Die Angestellten wissen also im Prinzip nie, wann ihr Wochenende anfangen wird: Freitagabend? Oder erst am Samstag? «Die Fünftagewoche stirbt damit endgültig», sagte Aris Kazakos, ein Arbeitsrechtler aus Thessaloniki.

Ärztinnen vergeben Termine bis 22 Uhr

Dass die Griechinnen und Griechen heute schon deutlich mehr arbeiten als andere Nationen, ist kein Geheimnis. Dass sie mehr arbeiten als jedes andere Volk in der Europäischen Union, zeigen aktuelle Zahlen von Eurostat: auf 40 Wochenstunden kommen die griechischen Arbeitskräfte im Durchschnitt, das ist EU-Rekord (zum Vergleich: Die Schweizerinnen und Schweizer arbeiten im Schnitt ebenfalls 40 Stunden pro Woche). Die Deutschen, während der griechischen Krise immer gern dabei, wenn es darum ging, den Griechen zu wenig Fleiss zu unterstellen, sie arbeiten im Schnitt nur noch 34 Stunden pro Woche. Und wünschen sich noch weniger Arbeit, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) herausgefunden hat. Auch dann, wenn sie dafür auf Gehalt verzichten müssten.

In Griechenland könnten sich den Luxus die meisten nicht leisten. Der Mindestlohn, eben erst erhöht, liegt bei 830 Euro im Monat, gar nicht mal weit unter dem Durchschnittseinkommen von 1381 Euro. Man zahle «europäische Preise mit einer Kaufkraft des Balkan», schrieb kürzlich die Zeitung «Kathimerini». Und zitierte eine Statistik, wonach die Kaufkraft in der ganzen EU nur in Bulgarien noch niedriger sei.

Greece's Prime minister Kyriakos Mitsotakis attends a plenary session during the Summit on peace in Ukraine, at the luxury Burgenstock resort, near Lucerne, on June 16, 2024. The two-day gathering brings together Ukrainian President and more than 50 other heads of state and government, to try to work out a way towards a peace process for Ukraine -- albeit without Russia. (Photo by URS FLUEELER / POOL / AFP)

Sie arbeiten also mehr und bekommen wenig. Oft nehmen sie zwei Jobs an, gerade in Athen, wo die Mieten stark gestiegen sind. Und die Selbstständigen, sie arbeiten ohnehin beinahe jeden Tag: Handwerker kommen am Samstagabend oder am Sonntagmorgen, als wäre es das Normalste der Welt. Ärzte vergeben ohne weiteres Termine bis 22 Uhr. Gehen Touristen abends durch Athen, wundern sie sich oft, wie spät die Menschen, wenn sie es sich leisten können, in die Taverne kommen – im Sommer essen sie oft erst gegen Mitternacht. Der Grund ist, sie haben früher am Abend schlicht keine Zeit.

Die Einkommenszahlen erzählen von der anderen Seite der griechischen Wirtschaft, über die Kyriakos Mitsotakis, der Premierminister, nicht oft spricht. Der lässt verbreiten, die Krise sei vorbei, die Wirtschaft wachse wieder: um 2 Prozent vergangenes Jahr. Im europäischen Vergleich ist das stark. Die Einkommen aber, sie liegen trotz langer Arbeitszeiten noch unter dem Niveau von vor der Krise, vor 2009 also, vor dem Kollaps der Wirtschaft und den Sparprogrammen. Die prägen das Land bis heute.