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Zweifelhafte Klimaversprechen
Konsumenten­schutz reicht Beschwerden ein gegen Swisscom, Coca‐Cola und weitere Firmen

Arbeiter installieren eine 5G-Antenne für die Swisscom in Bern.
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Die Versprechen klingen fast zu grün, um wahr zu sein: «Abo, Geräte, Netz: klimaneutral», schreibt die Swisscom auf ihrer Website. «Die verbleibenden CO₂-Emissionen, die wir seit 1990 nicht bereits reduziert haben, kompensieren wir. Automatisch und ohne Aufpreis.»

Der zu Coca-Cola Schweiz gehörende Konzern Valser behauptet, seine Produkte seien «klimaneutral von der Quelle bis zu dir». Auch der Zoo Zürich sagt, er sei klimaneutral, da unter anderem 100 Prozent regenerativer Strom und Wärme aus einer Holzschnitzelheizung verwendet würden. Um die verbleibenden CO₂-Emissionen zu kompensieren, würden CO₂-Zertifikate aus einem Waldprojekt in Madagaskar gekauft.

Hipp behauptet sogar, dass seine Gläschen mit Babynahrung klimapositiv sind. «Ab sofort gleichen wir für jedes klimapositive Produkt mehr Treibhausgase aus, als vom Acker bis zum Handelslager ausgestossen werden», heisst es auf der Website.

«Hier werden Konsumentinnen und Konsumenten in die Irre geführt.»

Sara Stalder, Geschäftsleiterin des Konsumentenschutzes

Die Liste an Schweizer Firmen, die mit ähnlichen Versprechen werben, ist noch deutlich länger. «Hier werden Konsumentinnen und Konsumenten in die Irre geführt», kritisiert Sara Stalder, Geschäftsleiterin des Konsumentenschutzes.

Daher hat der Konsumentenschutz am Mittwoch beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) Beschwerde wegen unlauteren Wettbewerbs gegen acht Unternehmen eingereicht. Dazu gehören neben den genannten auch die Immobilienbewertung Agent Selly, die Autovermietung Avis, das Flugreiseunternehmen Elite Flights und der Energielieferant Kübler. Zudem reichte der Konsumentenschutz bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission Beschwerden wegen unlauterer Werbung von drei der genannten Unternehmen ein: Elite Flights, Hipp und Kübler.

Seco muss die Vorwürfe noch prüfen

Die Tatsache, dass der Konsumentenschutz Beschwerde einreicht, bedeutet allerdings nicht, dass tatsächlich unlauterer Wettbewerb und unlautere Werbung seitens der genannten Unternehmen vorliegen. Das ist erst noch seitens des Seco zu prüfen.

Der Konsumentenschutz listet fünf Gründe auf, warum er Beschwerde wegen unlauteren Wettbewerbs respektive wegen unlauterer Werbung einreicht. So könne die Werbeaussage teils nicht nachgewiesen werden, da zum Beispiel Angaben zu den CO₂-Emissionen des Unternehmens sowie zu den CO₂-Reduktionen fehlten oder unvollständig seien.

Der zentrale Einwand lautet jedoch: «Viele Kompensationsprojekte ändern nicht viel an der tatsächlichen CO₂-Konzentration in der Atmosphäre», wie es in der Begründung heisst. 

«Klimaschutz­zertifikate liefern nicht das, was sie versprechen.»

Benedict Probst, leitender Autor der ETH-Studie

Insbesondere dieser Einwand wird durch eine aktuelle, bisher aber noch nicht unabhängig begutachtete Studie der ETH Zürich, der University of Cambridge und der Harvard University gestützt. «Erstmals haben wir systematisch alle verfügbaren Studien zur freiwilligen CO₂-Kompensation ausgewertet und zusammengefasst», sagt Benedict Probst von der ETH Zürich, leitender Autor der Studie. «Wir finden, dass ungefähr 88 Prozent der existierenden freiwilligen Kompensationsprojekte nicht wirklich zu Emissionsreduktionen beitragen. Klimaschutzzertifikate liefern durch die Bank nicht das, was sie versprechen.»

Konkret erreichen CO₂-Zertifikate aus Waldschutzprojekten gemäss der Studie im Mittel nur rund 25 Prozent der versprochenen CO₂-Reduktionen. Projekte für effiziente Kochöfen, die häufig in Entwicklungs- oder Schwellenländern zum Einsatz kommen, erreichen gerade mal 0,4 Prozent von dem, was als CO₂-Zertifikat verkauft wird. Und Kompensationsprojekte in Zusammenhang mit erneuerbarer Energie, etwa die Förderung von Windrädern und Fotovoltaikanlagen, sind gemäss der Studie völlig nutzlos.

Schon frühere Studien haben die Versprechen von Kompensations­projekten stark angezweifelt. So zeigte eine einschlägige Studie, die 2020 im Fachjournal PNAS erschien, keine nennenswerten Emissionseinsparungen von zwölf Waldschutzprojekten im brasilianischen Regenwald. Die gemeinsamen Recherchen der «Zeit», der britischen Tageszeitung «The Guardian» und des britischen Reporterpools Source Material offenbarten Anfang 2023 ebenfalls, dass Waldprojekte kaum CO₂ einsparen.

«Unsere Studie zeigt das nicht nur für Waldprojekte, sondern auch für andere Sektoren wie die Förderung effizienter Kochöfen, Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien und chemische Projekte wie das Einsammeln und Zerstören klimawirksamer Kältemittel aus alten Kühlschränken», sagt Probst. Insgesamt haben die Forschenden mehr als 2000 Kompensations­projekte beurteilt.

Gründe für geringe Wirksamkeit der CO₂-Zertifikate

Wie der ETH-Forscher sagt, gibt es mehrere Gründe für die geringe Wirksamkeit der CO₂-Kompensation mittels CO₂-Zertifikaten. Bei Waldschutzprojekten würden zum Beispiel auch Waldstücke aufgenommen, die gar nicht wirklich von Rodung bedroht seien. Zudem sei nie sicher, ob ein Wald auch in 50 oder 100 Jahren noch stehe. «Da CO₂ Hunderte bis Tausende Jahre in der Atmosphäre bleibt, müsste ein Wald auch so lange vor der Abholzung geschützt werden», sagt Probst. «Aber das können so kurzfristige Projekte gar nicht gewährleisten.»

Bei den Kochöfen besteht ein Problem darin, dass die neuen und effizienten oft nicht anstelle, sondern zusätzlich zu den alten ineffizienten Öfen zum Einsatz kommen. Probst betont aber, dass mehr Forschung zu Kochöfen nötig sei, um zu verstehen, unter welchen Umständen diese effektiv zu Emissionsreduktion beitragen können. «Am problematischsten sind Projekte mit erneuerbaren Energien», sagt Probst. Beispielsweise werde der Bau von neuen Windrädern und von grossen Fotovoltaikanlagen als Kompensationsprojekte verbucht, obwohl sie sowieso gebaut worden wären. 

Laut Anthony Patt, Professor für Klimaschutz und -anpassung an der ETH Zürich, hat die Glaubwürdigkeit der CO₂-Kompensation extrem gelitten. «In den letzten Jahren ist immer klarer geworden, dass Behauptungen von Klimaneutralität durch den Kauf von CO₂-Zertifikaten irreführend sind.»

Dennoch hätten solche Projekte teils durchaus positive Nebeneffekte, sagt Probst. Bei Waldschutzprojekten gehe es nicht nur um CO₂, sondern auch um den Schutz der Biodiversität, um Wasserqualität, um bessere Luft und um Einkommen für die lokale Bevölkerung.

Wichtig wären langfristige Strategien der CO₂-Reduktion

«Vollständige Emissionsreduktion ist derzeit für viele Firmen unmöglich», sagt Probst. «Doch anstatt sich auf Scheinlösungen wie minderwertige Klimakompensationen zu verlassen, sollten sie nach langfristigen Strategien suchen.» Tatsächlich kaufen die meisten vom Konsumentenschutz beanstandeten Firmen ihre CO₂-Zertifikate aus den Sektoren, die in der Studie bemängelt wurden.

Besser als derartige Projekte zur Vermeidung von CO₂-Emissionen sind laut Probst solche, bei denen CO₂ langfristig aus der Atmosphäre entfernt wird, sogenannte CO₂-Entnahme-Zertifikate. Ein Beispiel sei der Einfang von CO₂ aus der Luft und dessen langfristige Einlagerung im Untergrund, wie es beispielsweise die Schweizer Firma Climeworks anbietet. «Diese Ansätze sind noch sehr teuer», sagt Probst. «Aber langfristig muss es in Richtung dieser CO₂-Entnahme-Zertifikate gehen.»

CO₂-Entnahme-Zertifikate werden zum Beispiel von den Science Based Targets und von den Oxford Principles for Net Zero Aligned Carbon Offsetting befürwortet. Um Greenwashing zu verhindern, arbeitet auch die EU an einer Richtlinie, der Green Claims Directive. Manche Kompensations­anbieter nehmen bereits Abstand von Labels, die mit CO₂-Vermeidung Klimaneutralität versprechen, und setzen verstärkt auf CO₂-Entnahme-Zertifikate.

Die Schweiz müsse sich daran ein Beispiel nehmen und der Flut von täuschenden Behauptungen Einhalt gebieten, fordert der Konsumentenschutz. «Es gibt keinen Grund, warum die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten weniger gut geschützt sein sollten als die europäischen», sagt Geschäftsleiterin Stalder. «Die Bundesbehörden müssen endlich handeln.»

Auf Anfrage dieser Zeitung haben sich die meisten beanstandeten Firmen zu ihren Thesen der Klimaneutralität geäussert. Einige weisen darauf hin, dass die eigenen CO₂-Reduktionen Vorrang haben vor der Kompensation mit CO₂-Zertifikaten. Manche sind auch der Ansicht, dass der Begriff «klimaneutral» hinterfragt werden muss. Andere bleiben unerschütterlich bei der These, klimaneutral oder gar klimapositiv zu sein.

Mit einer früheren Beschwerde wegen unlauteren Wettbewerbs hatte der Konsumentenschutz bereits Erfolg. Im Dezember 2022 hatte diese Zeitung über die Behauptung der Engadiner Bergbahnen berichtet, in der Skidestination St. Moritz CO₂-neutralen Schneesport anzubieten. Der Konsumentenschutz reichte beim Seco Beschwerde ein. Mittlerweile hat das Seco die Engadiner Bergbahnen gerügt. Die These vom CO₂-neutralen Skifahren ist von den Webseiten der Engadiner Bergbahnen verschwunden.