Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Spitzenkoch wechselt ins Kloster
Gott zwischen den Kochtöpfen

Mauritius Choriol ist Abt der Benediktinerabtei Tholey im Saarland.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die Küche duftet nach Zwiebeln, Sellerie und Kartoffeln. Mauritius Choriol steht am Herd und bereitet ein deftiges Essen vor: Kalbsleber mit Bratkartoffeln und Selleriepüree. Normalerweise trägt der 60-Jährige den Habit der Benediktiner, ein schwarzes Gewand mit Kapuze. Nun hat er statt der Ordenskleidung eine Kochschürze an. Choriol ist Abt der Benediktinerabtei Tholey im Saarland – und war in seinem früheren Leben die tragende Säule einer Sterneküche.

In der engen Küche des Kloster-Gästehauses hängt ein altes Schwarz-Weiss-Foto an der Wand, auf dem Mauritius Choriol in der typischen Koch-Kluft zu sehen ist. Weisse Jacke, karierte Hose, Kochmütze, in der Hand hält er ein Weinglas. Man erkennt den jungen, schlanken Mann im sechzigjährigen Abt wieder, auch wenn die Haare weniger geworden sind. Lächeln und Lässigkeit sind geblieben – und der Glaube an die sinnstiftende Kraft des Kochens. «Wer zu uns kommt, soll gut essen und vielleicht Gott begegnen, gerne auch zwischen den Kochtöpfen», sagt Choriol mit warmer Stimme und französischem Akzent.

Die Gastfreundschaft der Benediktiner ist legendär

Gefüllter Schweinefuss, Brot mit Walnüssen, Quark mit Kräutern aus dem Klostergarten, manchmal Austern und eine gute Flasche Wein – die Lieblings-Genussmittel von Abt Mauritius klingen sehr weltlich. Dennoch ist die Kontemplation, das Hineinversenken in den Geist, eines der obersten Prinzipien des Klosterlebens. Kulinarischer Genuss und christliche Spiritualität, wie passt das zusammen?

Choriol  als junger Koch.

Benedikt von Nursia war Gründer des ältesten katholischen Ordens, und die Abtei St. Mauritius in Tholey gilt als ältestes Kloster Deutschlands. Erstmals wurde es im Jahr 634 urkundlich erwähnt. Zu den Prinzipien des Benediktinerordens gehörte schon immer, dass die Mönche und Nonnen im Leben stehen und sich an ihre Umgebung anpassen.

«Auf Fleisch vierfüssiger Tiere sollen alle verzichten, ausser die ganz schwachen Kranken.»

Ihr Lebensstil soll bodenständig und ausgewogen sein, und dazu zählt auch, dass sie sich ordentlich ernähren, Bier brauen und Wein trinken dürfen. Die Gastfreundschaft der Benediktiner ist legendär. Jeder Besucher soll im Kloster «wie Christus aufgenommen werden», heisst es in den Ordensregeln. Schliesslich sind Brot und Wein zentraler Bestandteil der christlichen Liturgie.

Abt Mauritius erklärt dem Besucher auf der sonnigen Terrasse des Gästehauses bei Kaffee und Keksen, wie die Kulinarik mit den Ordensregeln in Einklang zu bringen ist. «Der heilige Benedikt steht nicht für Askese», sagt Choriol, «er plädierte für gemässigten Genuss.» Aber was ist das richtige Mass? Das ist bei den Benediktinern genau festgelegt, es gibt Regeln für das «Mass der Speise» und das «Mass des Getränks», detaillierte Ausführungen über die Pflichten bei Tisch und in der Küche. «Auf Fleisch vierfüssiger Tiere sollen alle verzichten, ausser die ganz schwachen Kranken», hiess es in den ursprünglichen Ordensregeln.

Der Alkoholpegel ist festgelegt

Heutzutage setzt der Tholeyer Abt auch mal Cordon Bleu auf den Speiseplan, das sogar Fleisch von zwei Vierfüssern enthält, Kalb und Schwein. Benedikt von Nursia legte auch den Alkoholpegel fest: «Für jeden täglich eine Hemina ist ausreichend» – ein altes römisches Mass mit einem Volumen von 0,274 Litern. Wein gibt es in der Abtei Tholey nur zu kirchlichen Hochfesten und zu runden Geburtstagen ab 80 Jahren, an normalen Sonntagen wird Bier ausgeschenkt. Wochentags gibt es keinen Alkohol, Fleisch kommt an maximal drei Tagen die Woche auf den Tisch.

Essen kann zur Religion werden, und Religion kann sich über Essen mitteilen. Bei Mauritius Choriol hat man das Gefühl, beides habe immer zusammengehört, als verkörpere er die ideale Einheit von Leib und Seele. Der heutige Abt wurde 1959 im Elsass als Alain Choriol geboren, sein Vater kochte sehr gut, seine Mutter starb, als er noch ein Kind war. Er brach mit 14 die Schule ab, um eine Kochlehre zu machen.

Mit 23 war er Souschef im Luxemburger Restaurant Patin d'Or, wo er zusammen mit seinem Chef zwei Michelin-Sterne erkochte.

Anschliessend besuchte er die Strassburger Hotelfachschule und verpflichtete sich danach für fünf Jahre beim französischen Militär. Er kochte in Offizierskantinen in Neukaledonien, einer Inselgruppe im Südpazifik, und lernte auch die japanische Küche kennen. Anfang der Achtzigerjahre kehrte er zurück nach Europa und war sehr schnell erfolgreich in Spitzenrestaurants. Mit 23 war er schon Souschef im Luxemburger Restaurant Patin d'Or, wo er zusammen mit seinem Chef Michel Behring zwei Michelin-Sterne erkochte.

Psalmen nach langen Arbeitstagen

Choriol arbeitete damals extrem viel, vielleicht zu viel, und in dieser Zeit fing er an, über den Glauben nachzudenken. «Kochen ist eine sehr schöne Sache, aber mir fehlte etwas», erzählt Choriol. Nach langen Arbeitstagen konnte er nur noch einschlafen, wenn er Psalmen las und betete. Damals wollte er Eremit werden, zog zur Probe ins Kartäuserkloster Valsainte im Kanton Freiburg. «Eine Schnapsidee!», so Choriol, der bald von der Kartause wieder in die Küche wechselte.

Eines Tages fühlte sich der junge Spitzenkoch so ausgebrannt, dass er sich ins Kloster Tholey zurückzog, nicht weit von Luxemburg. Der damalige Abt Makarios Hebler nahm ihn auf und betraute ihn bald mit der Küchenarbeit. 1990 legte Choriol das Ordensgelübde ab, studierte in der Schweiz – in Freiburg – Theologie und übernahm 1998 im Kloster Tholey offiziell das Amt des Cellerars. Früher war das der Kellermeister, heute ist es der Manager, der für alle wirtschaftlichen Dinge eines Klosters zuständig ist.

Mauritius Choriol bereitet das Mittagessen zu in der Küche des Gästehauses St. Lioba der Abtei zu.

Als der ehemalige Abt 2008 zurücktrat und Choriol zum Prior gewählt wurde, lebten im Kloster noch sechs Brüder. Heute sind es zwölf. An normalen Tagen kocht er für seine Mitbrüder. Für den Alltagsgebrauch bereitet er einfache, nahrhafte Gerichte zu, aber zu besonderen Anlässen tischt er auch gross auf.

Ab und zu eine Luxus-Pilgerreise

Als der Trierer Bischof Stephan Ackermann mit einigen saarländischen Ministern zu Gast war, servierte der Abt als Vorspeise Kürbiscremesuppe, als Hauptgang Schweinelendchen im Speckmantel mit frischen Pilzen und Sellerie-Möhrenpüree, als Dessert Schoko-Tarte mit Vanille- und Lavendeleis.

Mauritius Choriol freut sich, wenn es seinen Gästen schmeckt: «Religion hat auch mit Gefühl zu tun, mit dem einfachen Leben, mit Sinnesgenuss, nicht nur auf intellektueller Ebene mit Theologie.»

Er verrät, dass er sich ab und zu eine Luxus-Pilgerreise in ein Spitzenrestaurant gönnt, nach Baiersbronn, ins Elsass oder zum Dreisterne-Koch Christian Bau, der in Perl, nicht weit von Tholey, eine franko-japanische Kreativküche auf höchstem Niveau zelebriert, genau Choriols Geschmack. «Die japanische Waffel mit Sardine und Meereskräutercrème führt uns höher, nämlich auf göttliches Niveau», notierte der Kritiker des Online-Magazins Sternefresser nach dem Besuch von Baus Restaurant. Was ist dagegen zu sagen, wenn ein Mönch zu Gott findet – und sei es über eine japanische Fischwaffel?