Angeblicher Antisemitismus-Vorfall Gil Ofarim wird wegen Verleumdung angeklagt
Der deutsche Sänger wird beschuldigt, einen antisemitischen Vorfall erfunden zu haben, um einen Hotelmitarbeiter zu diffamieren.
Das Video verbreitete sich auf Instagram innert Stunden viral. Gil Ofarim, ein 39-jähriger deutscher Sänger und Schauspieler, hatte es von sich selbst aufgenommen, auf dem Trottoir sitzend vor dem Hotel The Westin in Leipzig. Sichtlich bewegt sagte er, er sei in dessen Lobby gerade als Jude beleidigt worden. «Pack deinen Stern ein», habe ein Hotelmitarbeiter zu ihm gesagt und damit den metallenen Davidstern gemeint, den er immer um den Hals trage. Dann werde er ihm auch ein Zimmer geben. «Deutschland 2021», sprach Ofarim in die Kamera, den Tränen nahe. Es war der Abend des 4. Oktober.
Ein halbes Jahr später hat die Staatsanwaltschaft Leipzig die Ermittlungen in dem Fall abgeschlossen und Anklage erhoben: und zwar gegen Gil Ofarim, nicht gegen den Mitarbeiter des Hotels. Nach umfangreichen Auswertungen der Überwachungskameras und Befragung von vielen Zeugen sei man zum Schluss gekommen, dass sich der behauptete antisemitische Vorfall «so nicht ereignet» habe, erklärte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag. Die Ermittlungen gegen den Hotelangestellten seien deswegen eingestellt worden, gegen Ofarim habe man Anklage wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung erhoben.
Zweifel an der Darstellung des Sängers waren bereits zwei Wochen nach dem Vorfall aufgekommen. Zeugen widersprachen dessen Schilderung. Eine erste Sichtung der Überwachungsbilder zeigte zudem, dass Ofarim den Davidstern in der Hotellobby gar nicht offen getragen hatte. Erst draussen vor dem Hotel hielt er ihn in die Kamera.
Der angeschuldigte Hotelmitarbeiter bestritt den Vorwurf vehement und zeigte Ofarim wegen Verleumdung an. Das Hotel suspendierte ihn vorläufig und beauftragte eine Kanzlei mit einer externen Untersuchung. Deren Bericht stellte Ofarims Darstellung ebenfalls infrage. Es habe zwar einen Streit zwischen dem Sänger und dem Mitarbeiter des Hotels gegeben. Dabei sei es aber nicht um den Davidstern gegangen, sondern um die Frage, warum Stammgäste schneller hätten einchecken können als Ofarim. Der Sänger sei deswegen wütend geworden, sagten Zeugen, und habe angekündigt, ein Video ins Netz zu stellen, das viral gehen werde.
«Über dieses Thema macht man keine Witze – und nutzt man auch nicht aus.»
Ofarims Anschuldigungen hatten die Debatte um den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland damals mächtig angeheizt. Rund um den Globus wurde sein Video mit Entsetzen gesehen, weltweit berichteten die Medien. Vor dem Hotel demonstrierten Hunderte Menschen und viele Hotelmitarbeiter gegen Judenhass. Politikerinnen zeigten sich entsetzt, der deutsche Aussenminister Heiko Maas erwähnte den Fall als unerträgliches Beispiel für alltäglichen Antisemitismus.
Als Zweifel an seiner Behauptung aufkamen, beteuerte Ofarim, alles habe sich genau so zugetragen, wie er es im Video sagte: «Über dieses Thema macht man keine Witze», sagte er dem «Spiegel». «Und das nutzt man auch nicht aus.»
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