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«Gault Millau»-Restaurants
Gibt es Spitzengastronomie auch für wenig Geld?

So richtet ein Sternekoch edlen Thunfisch an.
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Es ist ja fast schon ein Reflex. Da berichtet man über die Ernennung des neuen «Kochs des Jahres» – dieses Jahr Mitja Birlo, der in Vals kocht –, und schon ruft irgendwer empört: «Wie viel kostet ein Abendessen dort? 300 Franken für neun Gänge ohne Getränke? Gehts nicht billiger?» (Was man bei Birlo isst, lesen Sie hier.)

Nein, geht es nicht. Man kann ein solches Restaurant nicht einfach mit einer Betriebskantine vergleichen, wo jemand etwas vorgerüsteten Salat mit Fertigsauce beträufelt. Und da wird ein Plätzli nicht einfach angebraten und mit ein paar Tropfen eingekaufter Balsamicocreme dekoriert, dazu Pommes frites aus dem 5-Kilo-Tiefkühlbeutel gereicht. «Macht 8.90, bitte!»

In einem Restaurant mit 18 oder 19 «Gault Millau»-Punkten ist jeder Saucentupfer auf dem Teller das Resultat von zig Handgriffen, manchmal von mehrstündiger Kocherei. Dafür werden Karkassen und Gemüseabschnitte angeröstet, Wein einreduziert, Butter eingearbeitet, mit erlesenen Gewürzen wird abgeschmeckt.

Auf jeden zweiten Gast ein Mitarbeiter

Dasselbe gilt für die Gemüsewürfelchen, die von Hand auf jeweils gleiche Kantenlänge geschnitten wurden. Und fürs Rehfilet auf dem gleichen kunstvoll angerichteten Teller braucht es nochmals einen separaten Koch, der mit einem Thermometer kontrolliert, dass die Kerntemperatur des Fleischs exakt 58 Grad beträgt. Es gibt Gourmetlokale, wo auf jeden zweiten Gast ein Mitarbeiter kommt.

Die Leute in der gehobenen Gastronomie arbeiten dann, wenn unsereins geniesst: an Abenden und an Wochenenden.

Schliesslich geht es ja nicht nur ums Geköche: Jemand muss die weisse Tischwäsche waschen, das funkelnde Besteck und die Gläser polieren. Das köstliche Brot, das noch warm an den Tisch gebracht wird, will erst mal gebacken werden. Die Grüsse aus der Küche, die übrigens nicht zu den neun Gängen zählen und gewissermassen kostenlos sind, müssen kreiert und mit der Pinzette angerichtet werden. Und die Löhne sollten ja auch noch fair sein. Denn die Leute in der (gehobenen) Gastronomie arbeiten dann, wenn unsereins geniesst: an Abenden und an Wochenenden.

Darum ist es absolut nachvollziehbar, dass in sogenannten Gourmettempeln ein Mehrgänger gar nicht billig sein kann – preiswert ist er dennoch. Nicht zuletzt: So wie der Autorennsport uns das Antiblockiersystem und die Servolenkung geschenkt hat, bringt auch die gehobene Gastronomie Impulse, die sich in unserer Alltagsküche durchsetzen: Wo, denken Sie, ist der aktuelle Trend zur Regionalität angestossen worden? Wer beweist Fleischtigern, dass auch Gemüse der Star auf dem Teller sein kann, wenn es nur richtig liebevoll zubereitet wird? Oder dass das Fleisch besser schmeckt, wenn das Tier zuvor anständig gehalten wurde und das Kotelett nicht totgebraten wird?

Jeder Rappen für ein schlechtes Essen ist hinausgeworfenes Geld.

Zumindest in der Schweiz scheinen wir uns gehobene Gastronomie ja auch leisten zu können: Täglich sieht man im Zug Halbwüchsige mit Handys, die rund tausend Franken gekostet haben. Gefühlt jede zweite Familie im Quartier hat sich während der Pandemie einen VW California Beach für ungefähr 60’000 Franken gekauft. Und die anderen gönnen sich jedes Jahr Skiferien samt neuer Ausrüstung für Mutter, Vater, Kind und Kegel. Es kommt halt immer darauf an, wo jemand seine Prioritäten setzt.

Kurzum: Jeder Rappen für ein schlechtes Essen ist hinausgeworfenes Geld. Und darum sollte man gerade beim Auswärtsessen das Wenn-schon-denn-schon-Prinzip anwenden. Womöglich bloss ein-, zweimal im Jahr – aber kehren Sie in die bestmöglichen Restaurants ein, koste es, was es wolle! Schon wenn sie das erste Amuse-Bouche sehen, die Gabel freudig zum Mund führen und dann die Geschmacksknospen laut «Wow!» rufen – dann werden Sie hoffentlich vergessen, welcher Betrag am Ende des Abends auf der Rechnung steht.

Koch des Jahres 2021 im neuen «Gault Millau»: Mitja Birlo.