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Plan des Bundes vereitelt
Gesundheits­lobby vereitelt Millionen-Sparvorhaben

Radiologe untersucht Röntgenbild einer Bandscheibenvorwölbung, medizinisches und radiologisches Konzept.
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In Kürze:
  • Das Streichen unnötiger Therapien und Eingriffe zur Kostendämpfung erfüllt die Erwartungen bei weitem nicht.
  • Der Bund führt zu wenige Überprüfungen von medizinischen Leistungen durch.
  • Herstellerfirmen und Fachorganisationen verzögern Entscheidungen durch Einsprachen und Gerichtsverfahren.
  • Grösster Spareffekt ergab sich durch Streichung von medizinischem Cannabis und Vitamin-D-Tests aus den Leistungen.

Im Kampf gegen die explodierenden Gesundheitskosten ist dies ein wichtiger Hoffnungsträger: das Ausmisten von unnötigen Therapien und Eingriffen aus dem Katalog der obligatorischen Grundversicherung. Das Gute daran ist, dass sich damit nicht nur sparen lässt, sondern Patientinnen und Patienten auch weniger Behandlungen erhalten, die unwirksam sind und in manchen Fällen sogar mehr schaden als nützen. Internationale Schätzungen gehen davon aus, dass in westlichen Ländern bis zu 20 Prozent der Gesundheitsausgaben überflüssig sind und weggelassen werden können, ohne die medizinische Versorgung zu verschlechtern. 

Bandscheibenprothesen, Magnesium, Krebstherapien

Im Bundesamt für Gesundheit gibt es deshalb seit 2015 eine Abteilung mit acht Personen, die den Nutzen medizinischer Leistungen in sogenannten Health Technology Assessments (HTA) untersucht. Der Bundesrat lancierte sie nach einer Pilotphase als Kostendämpfungsmassnahme. Auf der Liste der bearbeiteten und noch anstehenden Themen stehen beispielsweise Demenzmedikamente, Magnesium-Nahrungsergänzung, Säureblocker, Bandscheibenprothesen, Gelenkspritzen bei Hüft- oder Kniearthrose, verschiedene Krebstherapien und Vitamintests. 

Doch das Programm erfüllt die Erwartungen nicht. Zu diesem Schluss kommt eine soeben veröffentlichte Untersuchung der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK). Es ist nach 2019 bereits die zweite EFK-Untersuchung zum HTA-Programm. «Die jährlichen Einsparungen von 180 bis 220 Millionen Franken, von denen man ursprünglich ausging, werden bei weitem nicht erreicht», sagt Martin Köhli, EFK-Fachbereichsleiter, der die Untersuchung begleitete. In den letzten vier Jahren wurden demnach wiederkehrende Leistungen im Wert von rund 100 Millionen Franken eingespart – was einem Achtel der ursprünglichen Erwartung entspricht.

Dafür gibt es zwei Gründe: 

  • Es werden zu wenige HTA-Prüfungen durchgeführt. Statt der erwarteten jährlich 18 bis 22 Verfahren waren es in den letzten Jahren nur zwischen 5 und 11. 

  • Und: Der Spareffekt fällt viel geringer aus als die durchschnittlich zehn Millionen pro Verfahren, die erwartet wurden. Der Grund liege im Widerstand der sogenannten Stakeholder, so Köhli. Gemeint sind damit betroffene Akteure von Herstellerfirmen über Fachgesellschaften bis zu Patientenorganisationen. Vor allem in der Schlussphase der HTA-Prüfungen, wenn es darum geht, fragliche Leistungen einzuschränken, sorgen sie mit Einsprachen, Anfragen und Gerichtsverfahren für Verzögerungen oder weniger einschneidende Kompromisse.

«Das Potenzial von HTA wird in der Schweiz bei weitem nicht ausgeschöpft», sagt Andreas Faller. Er hatte als BAG-Vizedirektor von 2010 bis 2013 die Lancierung des Programms vorbereitet und war nicht an der aktuellen Evaluierung beteiligt. «Das Instrument ist konzipiert für grosse Fragestellungen, bei denen viel mehr Geld im Spiel ist», so Faller. Seiner Ansicht nach fokussiert man zu sehr auf kleine Baustellen mit geringem Sparpotenzial im tiefen zweistelligen Millionenbereich. 

«Übertriebener Fokus auf Medikamente»

Dieser Ansicht ist auch Michael Schlander, Gesundheitsökonom an der Universität Heidelberg und am Deutschen Krebsforschungszentrum. «Es wäre möglich, sich viel stärker auf relevante Themen mit grossen Kostenfolgen zu konzentrieren», sagt er. «Es besteht ein übertriebener Fokus auf Medikamente; beispielsweise im Bereich der Kardiologie und der Herzchirurgie besteht mancherorts viel grösseres Potenzial.» Schlander war vor über zehn Jahren als leitender Experte massgeblich an der Vorbereitung des Schweizer Programms beteiligt. 

Den grössten Spareffekt von 38 Millionen Franken jährlich zeigte bislang die Streichung von medizinischem Cannabis. Die Wirksamkeit bei chronischen Schmerzen oder krankhafter Muskelverspannung sei unklar und die Behandlung mit höheren Kosten verbunden, heisst es in der Zusammenfassung. Mit 45 Millionen gesparten Franken ist der Effekt von Einschränkungen bei den schon länger umstrittenen Vitamin-D-Tests ähnlich hoch. 

Dass gerade diese beiden Leistungen für die bisher grössten Einsparungen innerhalb des HTA-Programm sorgen, dürfte unter anderem damit zusammenhängen, dass dort die Widerstände vonseiten der Stakeholder geringer sind. Anders bei zwei Projekten, die bereits 2015 in der Pilotphase gestartet wurden und demnächst ganze zehn Jahre lang nicht abgeschlossen wurden. Im einen Fall geht es um die Eisentherapie bei Eisenmangel ohne Blutarmut, bei der ein Abschluss wegen laufenden Beschwerdeverfahrens durch Hersteller ausstehend ist. Allein schon wenn die erstmalige Zufuhr von Eisen in Tablettenform statt als Infusion geschehen würde, wären jährliche Einsparungen von 13 bis 102 Millionen Franken möglich. 

Dauerbrenner Kniearthroskopie

Das zweite langjährige Projekt betrifft den Dauerbrenner Kniearthroskopie. Dort liegt der wissenschaftliche HTA-Bericht seit 2019 vor. Seither wird darüber diskutiert, mit welchen Massnahmen der Eingriff eingedämmt werden könnte. Arthroskopie steht ganz oben auf der Liste von medizinischen Leistungen, die zu oft durchgeführt werden, und ist in Ländern wie Deutschland schon längst eingeschränkt. Fachleute weltweit weisen seit Jahrzehnten darauf hin, dass der Eingriff bei nicht unfallbedingten Kniebeschwerden gegenüber einer konservativen Behandlung mit Medikamenten, Training oder Physiotherapie meist keinen Vorteil bringt. In der Schweiz schätzt man die unnötigen Kosten auf bis zu 70 Millionen Franken jährlich.

Immerhin stellt der EFK-Bericht auch einige Verbesserungen im Vergleich zur letzten Untersuchung von 2019 fest: «Insgesamt wurden die Prozesse verkürzt und vermehrt auch Erkenntnisse ausländischer HTA-Agenturen einbezogen», sagt Martin Köhli von der EFK. «Nicht zufrieden sind wir einzig mit der Menge an Verfahren.» Es müsse deshalb BAG-intern und bei den Krankenversicherern dafür gesorgt werden, dass mehr Themen für neue HTA-Verfahren vorgeschlagen würden. «Wir werden das in drei bis vier Jahren erneut überprüfen», sagt er.  

Köhli ist überzeugt, dass HTA-Verfahren «zu den besten Instrumenten gehören, die wir zur Eindämmung der Gesundheitsausgaben haben». Eine Aussage, die allerdings nur nachvollziehbar ist, wenn der jetzige Output deutlich gesteigert wird. Zum Vergleich: Die jährlichen Kosten in der obligatorischen Grundversicherung liegen bei über 40 Milliarden Franken, das Ausgabenwachstum zwischen anderthalb und zwei Milliarden Franken jedes Jahr.

Anpassung vom 15.1.25: Die Angabe im Artikel, dass im Durchschnitt 25 Millionen Franken pro Jahr gespart wurden, war missverständlich und wurde deshalb gestrichen.