Interview über die Psychologie des Schenkens«Beim Schenken kann man eigentlich nur alles falsch machen»
Hilft uns künstliche Intelligenz, das richtige Geschenk zu finden? Ja, findet der Sozialpsychologe Johannes Ullrich und sagt, was man beachten sollte.
Teile dieses Interviews wurden erstmals am 10.12.13 publiziert.
Herr Ullrich, kann uns KI helfen, das richtige Geschenk zu finden?
Ja, zumindest gibt es erst einmal eine ganze Liste mit vielen Vorschlägen, was nützlich sein kann. Zum Spass habe ich es vor kurzem selbst ausprobiert. Ich habe nach einem Geschenk für einen Professor aus meinem Fachgebiet gefragt. Tatsächlich kamen prompt ein paar Dutzend Ideen, darunter auch sinnvolle Dinge. Zum Beispiel ein Team-Kochevent. Dies wäre ein geeigneter Hinweis gewesen, wenn wir es nicht schon ein paar Mal gemacht hätten. Es ist interessant, was Chat-GPT durch Informationen, die über uns und andere in den Datenbanken abgelegt wurden, plötzlich aus dem Hut zaubert.
Wie genau muss man die Person dafür beschreiben?
Je mehr man über Beruf oder Hobbys sowie aber vielleicht auch über die Persönlichkeit des zu Beschenkenden angibt, umso überraschender und origineller ist das Resultat. Um auszuprobieren, ob Chat-GPT auch individuelle Geschenktipps gibt, habe ich dann noch meinen Namen hinzugefügt. Und siehe da, es hat mir unter anderem eine Kaffeetasse mit Aufdruck des Gründers der modernen Psychologie, Wilhelm Wundt, vorgeschlagen. Vermutlich hat es irgendwo im Internet herausgefunden, dass mein Urgrossvater ein Buch von Wundt in seiner Bibliothek hatte, was mich damals in Richtung Psychologie getrieben hatte.
Sind Geschenke mehr als nur die blosse Übergabe von Gegenständen?
Auf alle Fälle. Geschenke sind Teil unserer Kultur und erfüllen eine wichtige Funktion in den Beziehungen zueinander. Man handelt etwas mit dem anderen aus, und zwar jedes Mal wieder neu. Zum Beispiel zwischen Eltern und Kind, zwischen Freunden oder in einer Partnerschaft. Geschenke zeigen, dass man an den anderen gedacht hat und wie man über ihn derzeit denkt. Man setzt sich mit dieser Person und ihren Bedürfnissen intensiv auseinander und festigt damit die Beziehung.
Es kann aber auch schiefgehen.
Das ist so. Wer etwa die KI nach etwas Sinnvollem für eine Person fragt, die gern und viel zu Hause kocht, bekommt mit grosser Wahrscheinlichkeit auch ein Kochbuch oder ein Küchengerät als Resultat. Doch genau dies kann völlig daneben sein, weil die Frau oder der Mann von anderen Leuten vielleicht immer nur in dieser einen Rolle gesehen wird und deshalb enttäuscht ist. Manchmal ist es nützlich, sich zu überlegen, worüber man sich selbst besonders freuen würde. Auch hier lässt sich die KI als Entscheidungshilfe hinzuziehen, weil sie Überraschendes vom Design-Gemüseschäler, über elektronische Bilderrahmen, Gutscheine für Konzerte oder neue Kopfhörer bis hin zu einem lustigen Fünferpack Socken empfiehlt.
Also eher etwas Praktisches statt belangloser Schnickschnack?
Auch das kann leider ins Auge gehen und falsch verstanden werden. Zum Beispiel können Kleidungsstücke unpassend sein. Der Beschenkte könnte den Eindruck haben, dass man sich vorher nicht gut genug angezogen hat. Das ist immer heikel. Wer etwas schenkt, sagt damit meist auch etwas über seinen eigenen Geschmack, sein individuelles Konsumverhalten oder seine persönlichen Interessen. Zum Beispiel, wenn jemand einem anderen eine Fairtrade-Schokolade überreicht. Damit demonstriert der Schenkende dem Beschenkten seine Haltung und vermittelt damit eine deutliche Botschaft, auch wenn es vielleicht unbewusst ist.
Setzt man sich mit einem auffälligen Geschenk vor allem selbst in Szene?
Das kommt ganz darauf an, was es ist, wer es schenkt und wie es übergeben wird. So kann sich der Schenkende natürlich auch sehr gut an einem solchen Anlass inszenieren. Zum Beispiel durch das Überreichen einer besonderen Weinflasche oder Musik-CD kann er oder sie die persönlichen Kenntnisse auf dem Gebiet zum Thema machen und die Aufmerksamkeit aller auf sich lenken.
Das geht auch gut mit einem grossen oder teuren Geschenk.
In der Tat. Dies kann für den Beschenkten zum Teil äusserst unangenehm sein, weil er selbst nur ein viel günstigeres Geschenk gekauft hat. Mit einem einzigen Geschenk sendet man sehr viele verschiedene Botschaften. Man macht dabei auch bestimmte Aussagen über sich selbst, etwa welchen Status man hat. Dies kann den anderen in Verlegenheit bringen, weil er für sein Geschenk viel weniger ausgegeben hat.
Also lieber gleichwertige Dinge verschenken?
Wichtig ist, dass es für den Beschenkten nicht demütigend oder sogar beleidigend ist. Andersherum kann es aber auch für den Schenkenden peinlich sein, wenn man sich mit der Grösse oder den Kosten völlig vertan hat. Ob ein überdimensioniertes Geschenk den anderen jedoch blossstellt oder nicht, hängt massgeblich vom Verhältnis zwischen den beiden ab. So ist es etwa selbstverständlich, dass Eltern ihrem Kind etwas Grosses schenken und sie ein selbst gemaltes Bild zurückbekommen. Mit der Zeit verändert sich dieses Ungleichgewicht. Die Geschenke der Eltern werden kleiner und die der Kinder grösser. Und das ist gut so, weil die Kinder im Lauf ihrer Entwicklung ihren Status verändern.
Sollten Kinder grundsätzlich ehrlich sein, wenn ihnen ein Geschenk überhaupt nicht gefällt?
Ich finde, dass man Kinder nicht zum Lügen animieren sollte. Es ist eine gute Gelegenheit zum Beispiel für die Grossmutter oder den Grossvater, zu lernen, dass das Spielzeug nicht altersgerecht ist oder der Pullover dem Kind überhaupt nicht steht. Gut ist deshalb, wenn man sich vorher informiert und das Kind im Vorfeld einen Wunschzettel schreibt.
Besser keine Begeisterung vortäuschen, um den anderen nicht zu verletzen?
Gerade wenn man versucht, möglichst natürlich zu wirken, klappt es meistens nicht. Hinzu kommt, dass es niemandem langfristig etwas bringt, wenn der anderen Person etwas vorgegaukelt wird. Eine gemässigte, wahrheitsgetreue Reaktion ist in einem solchen Fall viel besser, als Freude zu heucheln und weitere Fehlgeschenke zu riskieren. Ansonsten erhält man jedes Jahr ein Buch von einem Schriftsteller, den man gar nicht mag. Wie gesagt, das Schenken ist ein Prozess, bei dem man herausfindet, wie der andere im Moment gerade tickt. Das gelingt nicht immer.
Hatten Sie selbst auch schon Fehlgriffe?
Ja, ständig. Beim Schenken kann man eigentlich nur alles falsch machen. Das geht mir nicht anders als den anderen. Denn meist fange ich viel zu spät damit an, mir Gedanken über ein Geschenk zu machen. Doch ich finde, dass der andere den Mut haben sollte, mir ehrlich mitzuteilen, dass es ihm nicht gefällt. Sonst lerne ich nichts dazu, und man kennt sich irgendwann nicht mehr richtig.
Sind Gutscheine vernünftiger als Verlegenheitsgeschenke in letzter Minute?
Auch hier kommt es ganz auf die Person an, die man beschenken will. Generell können beispielsweise Kinder nicht viel mit Gutscheinen anfangen. Sie wollen etwas Konkretes, etwas sofort zum Spielen. Dennoch sind Gutscheine besser als Geld, weil sie persönlicher auf ein bestimmtes Bedürfnis eingehen können. Dies gilt auch für Erwachsene. Ausser man verschenkt einen Allzweckgutschein für Amazon, bei dem man sich vom Staubsauger bis zum Stiefel alles aussuchen kann. Das ist sehr unpersönlich und ähnlich wie ein Geldbetrag, bei dem man im Prinzip signalisiert, dass man keine Lust hat, sich Gedanken zu machen.
Oft wird Weihnachten zu einer Materialschlacht. Sollte man die Schenkerei nicht einfach wieder begrenzen?
Irgendwann ist es tatsächlich zu viel. Doch in einem solchen Fall kann man ja gewisse Regeln aufstellen, dass es nur eine bestimmte Anzahl an Geschenken sein darf und sie auch nicht mehr als 100 Franken kosten sollten. Das spornt die Kreativität an, sich etwas Besonderes auszudenken. Und manchmal ist es tatsächlich auch sinnvoll, sich Zeit miteinander zu schenken und etwas Gemeinsames zu unternehmen, zum Beispiel in den Zoo zu gehen, ins Restaurant oder ins Theater.
Schenkt man häufig mit dem Hintergedanken, irgendetwas zurückzubekommen?
Je besser man sich kennt, desto weniger wird eine direkte Gegenleistung erwartet. Es ist Gift für eine Beziehung, wenn man sich ausrechnet, wie viel ein Geschenk gekostet hat und sich dann überlegt, ob man mit dem Gegengeschenk ein Minusgeschäft gemacht hat. In erster Linie geht es ja darum, dem anderen eine Freude zu machen. Und sich selbst darüber zu freuen, wenn dies gelungen ist.
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