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Meinung

Pro und Kontra
Darf man für seine Liebsten spottbillige Geschenke in China bestellen?

5.79 Franken: Plastiktännchen des chinesischen Onlineshops Aliexpress.
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Ja

Philippe Zweifel, Co-Leiter Ressort Leben

Neulich an einem virtuellen Team-Meeting entdeckte ich eine kleine Plastik-Weihnachtstanne in der Wohnung einer Kollegin. Schickes Accessoire, woher ist die? Ikea offenbar, Kostenpunkt knapp 35 Franken.

Ein stolzer Preis! Finden jedenfalls Onlineshopper wie ich, die keine falschen Hemmungen haben, auch bei chinesischen Anbietern wie Temu oder Aliexpress einzukaufen. Schnell auf die App gedrückt, nach ein paar Sekunden offerierte mir Temu verschiedene Plastiktännchen, eines davon für 5,79 Franken, Versand kostenlos.

Habe ich gekauft, ebenso verschiedene Weihnachtsgeschenke. Das ist unromantisch? Kommt auf die zu beschenkende Person an. Kinder, die älter als acht Jahre sind, wollen eh nur Cash. Ein 50er-Nötli in die Hand gedrückt – und die Augen leuchten. Bargeld ist der neue Geschenkgutschein. Alle anderen kriegen was direkt aus China. Und wieso auch nicht? Viele «europäische» Produkte werden dort hergestellt. Zum Beispiel Ihr iPhone. Oder die Ikea-Tanne.

Flucht vor dem Dichtestress

Bei sanftem Schneefall durch hübsch dekorierte Boutiquen stöbern, sich von freundlichem Verkaufspersonal kompetent beraten lassen, bis man ein persönliches Geschenk gefunden hat – an dieses Weihnachtsmärchen habe ich auch mal geglaubt. Die Realität ist Shopping-Dichtestress und eine lächerlich kleine Auswahl. Nichts gegen Pastorini-Holzspielzeug, respektive: Schön, wenn man es sich leisten kann, angeblich pädagogisch wertvolles Holzspielzeug zu kaufen.

Viel nützlicher als die persönliche Beratung sind auch die User-Bewertungen in den Online-Warenhäusern: Es ist die Weisheit der Vielen. Doch was ist mit dem Umweltschutz, den Transportwegen, der Paketflut? Studien zeigen, dass Onlineshopping unter dem Strich weniger schädlich ist als der CO₂-Ausstoss von Millionen von Menschen, die im vorweihnachtlichen Shoppingwahn in der Gegend herumdüsen.

Zurück zum Tännchenduell zwischen Ikea und Temu. Ich habe mich selbstverständlich für das authentisch chinesische Modell entschieden. Denn wie lautet ein berühmter Ikea-Slogan? Sei kein Snob!

Nein

Michael Marti, Autor Ressort Leben

Eigentlich ärgere ich mich schon genug über die Scheinheiligkeit unserer Gegenwart.

Heutzutage kleben sich Menschen auf die Strasse, um theatralisch gegen die Erwärmung des Planeten zu kämpfen. Doch dieselben Klimakleber düsen mit dem Langstreckenflugzeug kurz mal nach Mexiko, ferienhalber.

Eine ganze Generation klagt ihre Eltern an, sie hätten die Erdressourcen verschwendet und verschleudert, als hätte es nie ein Morgen gegeben. Doch dieselbe Generation lässt mit Streaming, sozialen Medien und ihrem ganzen Digital-Lifestyle die Serverfarmen heiss laufen und verbraucht in ihrer Freizeit so viel Strom wie keine andere zuvor.

Und jetzt lassen sich diese Cloud-Existenzen ihre Weihnachtsgeschenke aus China in die Schweiz schippern, also einmal um den halben Globus. Womöglich wissen die gar nicht, wo China liegt? Nur so viel: Die Schiffsroute nach Europa führt über mehr als 12’000 Kilometer.

Der Päckli-Tsunami aus China

Der chinesische Onlinehändler Aliexpress macht in der Schweiz pro Jahr rund eine halbe Milliarde Franken Umsatz. Bestellt wird, weil beim Chinesen alles so obszön billig ist. Ein Bohrmaschine für 38,49 Franken, ein ferngesteuertes Spielzeugauto für 6.35 Franken. Und ein «echter Verlobungsring» für 2,29 (sic!). Die Schweizer Post spricht vom China-Päckli-Tsunami, in der Vorweihnachtszeit treffen pro Tag um die 80’000 Pakete aus dem asiatischen Raum in der Schweiz ein.

Man mag sich nicht ausdenken, unter welchen Umständen ein ferngesteuertes Spielzeugauto für 6.35 Franken hergestellt wird. Wie viel jemand verdient, der in diesen Fabriken am Fliessband steht. Gerade die Generation, die mit dem Onlinehandel aufgewachsen ist, die kaum noch etwas anderes kennt als Shoppen im Netz, ist doch immer wieder höchst sensibel gegenüber angeblich ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen und fordert fairen Handel.

Aber wenn Ali aus China mit seinen geilen tiefen Preisen lockt, ist das alles egal.

Wie gesagt, ich ärgere mich schon genug über die Scheinheiligkeit der Gegenwart. Darum will ich gar nicht davon sprechen, dass mit solchen Onlineprodukten die Geschenkkultur ohnehin vor die Hunde geht. Wem macht solch ein Ramschprodukt aus China am Ende wirklich Freude? Wer will so was? Ich sicher nicht. Nicht mal geschenkt.