Kolumne «Fast verliebt»Wie gut können Sie ein Geschenk annehmen?
Sich beschenken zu lassen, fällt vielen Menschen sehr schwer. Hier zeigt sich, ob wir nett zu uns selbst sind – oder doch eher hart und kritisch.
Die Weihnachtszeit ist ein guter Gradmesser dafür, wie lieb wir zu uns selbst sind: Können Sie geniesserisch und freudvoll ein Geschenk annehmen – oder lösen kleine Aufmerksamkeiten bei Ihnen nur Panik und Rückschenk-Stress aus?
Ich habe da gerade eine seltsame Erfahrung gemacht. Vor einigen Wochen telefonierte ich mit einer älteren Freundin, die Ende Jahr pensioniert wird. Ihr Stress hätte grösser nicht sein können. So viele Abschiede, von Kolleginnen und Kunden, so viele letzte Erledigungen. Wie lässt man los? Und was kommt danach? Sie wirkte sehr belastet, also wollte ich ihr eine kleine Freude bereiten.
Ich befüllte einen Adventskalender für sie. Mit kleinen Dingen, die sich um die Themen Gelassenheit, Entspannung und Zuversicht drehten (Poesieband, Schutzengel, Badekugeln usw.). Als meine Freundin den Adventskalender per Post erhielt, bedankte sie sich überschwänglich per Whatsapp. Für einen Moment schien sie sich sehr zu freuen – und da ging auch mir das Herz auf. Genau das hatte ich erreichen wollen: einen kleinen Moment kindlicher Freude für sie. Hier hätte die Geschichte enden können, und zwar mit einem Happy End für uns beide.
Aber meine Freundin konnte das Geschenk leider nicht auf sich sitzen lassen.
Es folgte ein eigentümlicher Eiertanz aus Schuldgefühlen und Rückschenk-Stress. Zuerst drückte sie ihre Scham darüber aus, mich zu lange nicht besucht zu haben. Zwei Tage später kündigte sie an, es sei ein Geschenk an mich unterwegs, und zwar ebenfalls ein Adventskalender (der Dezember war längst angebrochen). Ich bedankte mich und sagte ihr, dass das wirklich nicht nötig gewesen sei. Sie behauptete, den habe sie mir eh schenken wollen.
Ich vermute, es war eher so, dass mein Geschenk bei ihr das schlechte Gefühl ausgelöst hatte, etwas erwidern zu müssen. Nur: Warum?
Wenn ich darüber nachdenke, merke ich, dass es mir früher manchmal auch so ging. Nur nichts annehmen! Denn wenn andere etwas für einen tun, heisst das, man schuldet ihnen etwas.
Aber wer so denkt, bringt sich um viel Freude im Leben.
So wie meine Freundin, die losrannte und schnell 24 Geschenke für mich besorgte, um mir auch einen Adventskalender zu basteln. Am Ende hatten wir vermutlich beide schlechte Laune. Sie von meinem Geschenk, das sie letztlich nicht entspannt, sondern nur noch mehr gestresst hatte. Und ich, weil mein Versuch, ihr ein kleines bisschen Glück zu schenken, wie ein Schuss nach hinten losgegangen war.
Tun auch Sie sich schwer damit, einfach mal ein Geschenk anzunehmen? Dann möchte ich Ihnen gern das Gleiche wie meiner Freundin sagen:
Ein Geschenk ist ein Geschenk und kein Spiegel: Es muss nicht sofort zurückgeworfen werden. Lassen Sie es doch einfach mal auf sich sitzen. Wie ein schönes Kompliment.
Und geniessen Sie es.
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