Kolumne «Fast verliebt»Warum Frauen die Scheidung einreichen
Und warum ihre Männer trotz jahrzehntelanger Dauerkritik finden, das komme jetzt aber plötzlich.
«Er hat mich für selbstverständlich gehalten», erzählt mir eine 50-jährige Freundin von ihrem Noch-Mann: «Der hat mich gar nicht mehr gesehen.»
Ein Satz, den man von Frauen dauernd hört. Wobei das mit dem Sichtbarkeitsproblem bei meiner Freundin wirklich kurios ist: Sie ist attraktiv und erfolgreich, bekommt noch immer Avancen von Männern und hat im Allgemeinen kein Problem, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nur ihr eigener Mann schafft es nicht mehr, sie zu sehen. «Na», korrigiert sie mich: «jetzt schon!» Sie lacht traurig. Offenbar macht ihr Noch-Mann nun, da sie die Scheidung wolle, «alles richtig» und überziehe sie mit Aufmerksamkeit, Romantikversuchen und Schmeicheleien. Das komme nur leider zu spät.
Bei den älteren Frauen in meinem Umfeld implodiert gerade manche Ehe. Bei keiner ist etwas Drastisches vorgefallen. Die Frauen scheinen einfach unglücklich und unzufrieden zu sein. Denn sie wollen was erleben – aber das geht mit ihren Männern nicht. Sie wollen auch nach vielen Jahren nicht auf Romantik und Sex verzichten – aber sie können ihre Beziehungen nicht allein führen.
Statistisch gesehen sind Männer in der Ehe glücklicher als Frauen. Verheiratete Männer sind gesünder und leben länger als unverheiratete. Für Frauen gilt das nicht. Kein Wunder, reichen sie häufiger die Scheidung ein.
Natürlich gibt es auch Beziehungen, die an Frauen scheitern. Aber meine sich trennenden Freundinnen erzählen im Kern alle dasselbe: Ihre Männer haben sich gehen lassen. Und sie haben ihnen keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Sie sind in der Arbeit verschwunden und haben sich ansonsten um wenig gekümmert – schon gar nicht um ihre Frauen.
Brisant finde ich, dass es bei den schwulen Ehepaaren, die ich kenne, anders zu sein scheint. Dort kümmern sich die Männer gut um sich selbst, und auch um ihre langjährigen Partner. Dass Männer ihre Beziehung vernachlässigen, scheint sich eher aufzudrängen, wenn eine Frau im Spiel ist.
«Ob eine Beziehung gelingt, entscheidet sich im ersten Jahr nach der Geburt des ersten Kindes.»
«Oder ein Kind», meint eine andere Freundin von mir, die sich scheiden lässt. «Ob eine Beziehung gelingt, entscheidet sich im ersten Jahr nach der Geburt des ersten Kindes», sagt sie. Dann sei die Gefahr am grössten, dass ein Paar ins Fünfzigerjahre-Modell rutsche und ein Grossteil der Verantwortung für Kind und Haushalt an der Frau kleben bleibe. Selbst dann, wenn sie arbeitet – das deckt sich mit der Statistik.
Irgendwie scheinen die Männer es trotzdem oft nicht kommen zu sehen, wenn ihre Frauen tatsächlich gehen. «Der ist aus allen Wolken gefallen!», sagt eine meiner Freundinnen und schüttelt noch immer ungläubig den Kopf: «Als hätte er meine jahrzehntelange Kritik und tausendmal geäusserte Unzufriedenheit gar nicht mitbekommen!»
So gesehen liesse sich vielleicht manche Scheidung ziemlich leicht verhindern: einfach mal zuhören.
Fehler gefunden?Jetzt melden.