Kolumne «Fast verliebt»Mann sein heute – aber wie? Antworten aus «Gladiator II»
Paul Mescals poetischer Gladiator ist meilenweit von Russell Crowes sprödem Helden entfernt. Die Welt hat sich verändert, unsere Männlichkeitsbilder auch.
Als im Jahr 2000 der erste «Gladiator»-Film rauskam, war ich ein Teenie. Ebenso meine männlichen Freunde. Einer von ihnen wollte im neuen Jahrtausend Maxim genannt werden, nachdem er Russell Crowe als Maximus Decimus Meridius gesehen hatte. Was Crowes steinerner, restlos humorbefreiter Ehrenmann damals jungen Männern bedeutete, lässt sich vielleicht mit Taylor Swifts derzeitigem Einfluss auf junge Frauen vergleichen: ein Leitstern für die eigene Geschlechtsidentität.
Mit «Gladiator II» hat Ridley Scott jetzt nicht nur sein Riesenepos weitergeschrieben, er hat auch seinem Gladiator ein Männlichkeitsupdate verpasst. Mann sein – was heisst das im Jahr 2024? Drei Vorschläge aus «Gladiator II»:
Der Mann nutzt Humor als Waffe.
Im Kino wie in der Literatur ist eine Ära der Endzeitepen angebrochen. Folglich ist auch Scotts Vision vom antiken Rom als Metapher für den Westen heute noch dunkler, apokalyptischer und dekadenter als im Jahr 2000. Ein immerzu finster dreinblickender Gladiator wie damals liefert da nicht mehr das nötige Kontrastmittel.
Wer in einer vollends aus den Fugen geratenen Welt der destruktiven Clowns und rachsüchtigen Demagogen bestehen will, muss als Gegengift etwas Sonne im Herzen wahren. Entsprechend ist Paul Mescals Gladiator heller. Zwar ist auch er kein Gladiator vieler Worte.
Aber wenn Mescals Lucius (der Leuchtende!) mal den Mund aufmacht, kommt gern etwas Pointiertes, Ironisches, Witziges raus. Einer Zeit grosser Schwere lässt sich am besten mit einer gewissen Leichtigkeit begegnen, sonst wird Mann ja verrückt.
Und die Frau? Partnerschaft auf Augenhöhe.
Wo steht die Frau in diesen unsicheren Zeiten? Neben dem Mann an der Front, natürlich. Des neuen Gladiators Ehefrau ist eine Amazone und Bogenschützin, die selber Rüstung trägt statt Schmuck. Folglich dient sie nicht als zartes Dekorativelement im Film, sie führt mit ihrem Mann eine ernst zu nehmende Partnerschaft auf Augenhöhe.
Geschmeidige Stärke
Vieles ist fluider im neuen «Gladiator II». Das gilt für das männliche Verständnis von Stärke ebenso wie für die Bandbreite angebotener Geschlechts- und Sexualorientierungen. Während im antiken Rom des Jahres 2000 in «Gladiator» nur stramm heterosexuelle Menschen gezeigt wurden, sind in der 2024er-Version mehr Make-up-affine Herren, nonbinär wirkende Personen und offene Darstellungen von Homosexualität zu sehen – was der historischen Realität des alten Roms deutlich näher kommen dürfte.
Dazu passt, dass sich Mescals Lucius – der über die erfrischend bäuerliche Fleischigkeit und Athletik eines Schwingers verfügt – auch nicht scheut, mal ein kleines Vergil-Gedicht zu rezitieren, nachdem er einen Kontrahenten in Stücke gerissen hat.
Der heutige Gladiator/Mann also: Er ist mehr als nur ein Stein. Er pendelt zwischen Weichheit und Härte. Er überrascht uns!
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