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Geräusche des Alltags
An den Ver­brenner­motor wird man zurück­denken wie an die Schreib­maschine

Wie klingt der Blinker, wie die Zündung? Komponist und Sounddesigner Renzo Vitale bei der Arbeit.
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So wie er daherkommt, mit der exzentrischen Frisur und diesem nachdenklichen Blick, könnte Renzo Vitale ein Dirigent sein, ein Choreograf, ein expressionistischer Maler. Eigentlich aber ist er Autobauer. Ein Autobauer, der sagt: «Ein Fahrzeug muss so klingen, wie die Person sich fühlt, die es lenkt.»

Und tatsächlich ist Vitale ein Dirigent, Choreograf und Maler unter den Autobauern. Der Italiener ist Sounddesigner für die deutsche Automarke BMW, er ist aber auch ausgebildeter Pianist und komponiert Musik. Leute wie er nennen sich Akustikingenieure, in den Fahrzeugen versuchen sie, Alltägliches als Besonderheit zu vertonen. Für Vitale geht es um Geräusche, die uns kaum je richtig auffallen: Wie klingt der Blinker, wie die Zündung? Was hören wir, wenn wir im Elektroauto beschleunigen?

Der technologische Wandel hat Leuten wie Renzo Vitale zu ihrem Beruf verholfen. Der Fortschritt prägt unsere Klangwelt seit Beginn des 20. Jahrhunderts, er hat Geräusche zum Verschwinden und andere zum Erscheinen gebracht.

Vor 50 Jahren war diese Klangwelt noch überschaubarer: Sie war geprägt vom Klicken einer Fotokamera, dem Surren einer Telefonwählscheibe. Einmal in der Leitung wurden unsere Stimmen durch Kabel weitergeschickt, manchmal konnte man das Wabern hören. Dieser Text wäre, wenn nicht von Hand, dann auf einer Schreibmaschine geschrieben worden, die bei jedem Buchstaben ein Hämmern, bei jeder neuen Zeile ein Klingeln von sich gegeben hätte. 

Wir brauchen Klänge, um uns orientieren zu können

Diese Laute haben sich komplett aus unserer Klangwelt verabschiedet. Das beschäftigt Nostalgiker genauso wie Fortschrittsgläubige. Die einen haben Mühe, weil gewisse Vorgänge nicht mehr greifbar, sichtbar und eben: nicht mehr hörbar sind. Andere, zu der sich auch Sounddesigner Vitale zählt, sind inspiriert durch die Geräusche, die die Digitalisierung hervorbringt. Doch wie klingt die Zukunft? Auch wenn der Fortschritt viele Laute vermeidbar macht, brauchen wir trotzdem noch Geräusche und Klänge, um uns in unserer Wirklichkeit zu orientieren.

Für den Autoakustiker Renzo Vitale ist das Heulen eines Verbrennermotors eines der letzten «analogen» Geräusche, «es wird irgendwann in den nächsten Jahrzehnten verschwunden sein». Ein modernes Auto ist in seinen Augen eine künstlerische Installation, der Fahrer ein Performer, das Treten aufs Pedal ein kreativer Akt. Man hat ihm vorübergehend sogar den berühmten Filmmusikkomponisten Hans Zimmer zur Verfügung gestellt, so wichtig ist der klangliche Aspekt inzwischen für BMW.

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Unser Gehör für die Geräuschwelt des Alltags muss immer schon scharf gewesen sein, musikalisch entwickelte es sich Mitte des 20. Jahrhunderts. Komponisten wie der Franzose Pierre Schaeffer begannen alltägliche Klänge zu isolieren, bauten sie in musikalische Kompositionen ein und erforschten, wie sich unsere akustische Umgebung verändert und wie sich das auf uns auswirkt.

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Tüftler am alltäglichen Klang sind auch der Kommunikationsdesigner Jan Derksen und sein Geschäftspartner Daniel Chun. Auf ihrer Website mit dem Namen «Conserve the Sound» sammeln sie Hunderte Geräusche, die heute nur noch vereinzelt oder gar nicht mehr zu hören sind: surrende Hellraumprojektoren, knatternde Propellermaschinen, klingelnde Registrierkassen, kratzende Handrührgeräte. Alles analoge Geräusche, digital sauber abgelegt, mit Beispielgeräuschen und Symbolbild.

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Die Idee dazu kam Derksen und Chun, als die ersten Smartphones aufkamen. Das Klicken der Handytastatur würde dadurch verschwinden, so nahmen die beiden an, worauf sie begannen, ähnliche verschwundene Geräusche zusammenzutragen. «Ironie der Geschichte: Heute erzeugen die Hersteller bei den Smartphones das Klicken der Tastatur wieder künstlich», sagt Derksen, «ebenso wie das Klicken der Kamera.»

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Stundenlang kann man sich durch das Archiv der beiden Sound-Connaisseure aus Essen hören. «Bewusster durch die Umwelt gehen, sich in einer stark visuell organisierten Welt auch auf Geräusche achten», das seien die Gedanken hinter dem seit zehn Jahren währenden Grossprojekt, sagt Derksen.

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Der Fortschritt im Allgemeinen und die Digitalisierung im Besonderen machen vieles erst einmal stiller. Keine Schreibmaschine hämmert mehr, irgendwann wird auch kein Auto mehr röhren. Doch dieser Raum wird sofort mit neuen Geräuschen gefüllt, wie Thomas Kusitzky immer wieder beobachtet. Der Berliner ist Stadtklangforscher, er weiss, welche Geräusche im urbanen Raum verschwinden und welche auftauchen. «Am präsentesten im städtischen Klangbild ist noch immer der Verkehr», sagt Kusitzky. Daneben mache sich die Digitalisierung auch bemerkbar: Handy, Tablets und Laptops sind zu hören, aber auch Warntöne wie die Piepgeräusche von Lastwagen oder von Rangierarbeiten im Zugverkehr.

Die digitale Akustik wandelt sich stetig. «Geräusche kommen und gehen immer schneller», sagt Kusitzky, «jedes Gerät bringt eine eigene, neue Kultur an Geräuschen mit sich.»

Kommt heute ein neues Gerät auf den Markt, macht es kaum je einfach nur das Geräusch, das es eben macht. Alles ist wähl- und einstellbar, so individuell wie die Gesellschaft an sich. Eine Zeit lang galt es als avantgardistisch, sein Handy mit eigenem Rufton lautstark klingeln zu lassen, dann kam der Vibrationsalarm. Heute ist der Umgang mit unseren Mobiltelefonen komplett individualisiert, alle wählen die Benachrichtigung, die gerade am besten zur Stimmung passt.

Während in der Gegenwart die Geräuschkulissen von gestern und heute aufeinandertreffen, befasst sich Sounddesigner Renzo Vitale mit dem Klang der Zukunft. Manchmal scheint es ihm, als wollten noch nicht alle auf die gewohnte Klangkulisse eines Verbrennermotors verzichten. Deshalb komponiert Vitale für BMW auch Ersatzgeräusche: einen Laut von einem Vorgang, den es im modernen, elektrisch angetriebenen Auto gar nicht mehr braucht, den Leuten am Steuer aber mit seiner Vertrautheit hilft, das Gefährt zu lenken. Die «Zündung» etwa oder das Gaspedal. «Das ist komplizierter, als man es sich vorstellt», sagt Vitale. Wie soll etwas klingen, das es eigentlich gar nicht mehr gibt?

Technik, die erst klingt, wenn Gefahr droht

Das beschäftigt auch die Politik. Seit 2021 müssen Elektroautos in der EU über ein sogenanntes Avas verfügen, ein «Acoustic Vehicle Alerting»-System. Ab einer Geschwindigkeit von etwa 20 Kilometern pro Stunde erzeugt jedes Fahrzeug Wind- und Abrollgeräusche, darunter können aber vor allem Elektroautos geräuschlos durch die Stadt gleiten. Mit diesem Pflichtgeräusch will man der Gefahr vorbeugen, die für die Umgebung entstehen kann. Und den Leuten im Auto hilft es bei der Frage: Läuft das Ding jetzt?

Auch Stadtklangforscher Kusitzky findet es wichtig, dass sich Fahrzeuge im Stadtverkehr akustisch bemerkbar machen. Aber während die Sounddesigner der Automarken ein Produkt verkaufen wollen und deshalb auf Individualität setzen, steht Kusitzky solchen klanglichen Marketingspielereien eher kritisch gegenüber. Wenn sich jeder Hersteller über das Avas profiliere, habe das einen starken Einfluss auf die Geräuschkulisse einer Stadt. «Damit findet im Prinzip das Gleiche wie zuvor bei den Verbrennern statt: eine Identifikation über ein möglichst einzigartiges Geräusch.» Viel erstrebenswerter wäre für ihn deshalb eine Technik, die erst erklingt, wenn Gefahr droht. «Man sollte den Strassenraum klanglich nicht nur den Fortbewegungsmitteln überlassen – egal, wie diese angetrieben werden.»

Wie also soll sie klingen, die Zukunft? Stadtklangforscher Kusitzky spricht in dem Zusammenhang von positivem Klang. Es müsse nicht nur das Ziel sein, den Verkehrslärm zu reduzieren und für möglichst viel Ruhe zu sorgen. «Denn Lautlosigkeit kann als bedrohlich wahrgenommen werden.» Für jeden Platz, jedes Gebiet gebe es die passenden Geräusche, ob es vibrierende Stimmungen mit Gesprächslauten oder entspanntere Situationen mit Naturgeräuschen seien. Diesen Rahmen zu setzen, sei das Herausforderndste an seiner Arbeit mit den Stadtplanern.

Solche Überlegungen machen sie sich am Ende alle, der Stadtklanggestalter Kusitzky, der Nostalgiker Derksen, der Soundtüftler Vitale. Die Welt wird immer klingen – aber nie hatten wir mehr Möglichkeiten, zu bestimmen, wie der Klang sein soll.