Chronische Lärmbelastung und GesundheitWas zu viel Lärm mit unserem Körper macht und was wir dagegen tun können
Lärm kann sowohl das Herz als auch das Gehör schädigen. Es gibt aber verschiedene Möglichkeiten, die Belastung zu messen und das Risiko zu verringern.
Ein laut aufheulendes Motorrad, ein startendes Flugzeug, eine ausgelassene Party: Dass solche lauten Geräusche stören, gerade wenn wir konzentriert arbeiten oder schlafen wollen, ist hinlänglich bekannt. Dass jedoch auch chronische Lärmbelastung, der wir gewöhnlich nur wenig Aufmerksamkeit widmen, gesundheitliche Auswirkungen hat, ist viel weniger geläufig. So beziffert das Bundesamt für Raumentwicklung die gesundheitlichen Kosten in Form von Herzerkrankungen, Bluthochdruck und Schlaganfällen, welche durch langfristige Lärmbeschallung verursacht werden, mit jährlich rund 1,6 Milliarden Franken. Eine wachsende Zahl von Untersuchungen zeigt auf, dass Strassen-, Zug- und Fluglärm mit einer Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einer frühzeitigen Sterblichkeit einhergeht.
Was bewirkt Lärm im Körper?
Unser Hirn wurde im Laufe der Evolution so programmiert, dass Geräusche als Hinweis auf mögliche Gefahren interpretiert werden. Der Körper wird durch einen unerwarteten Laut in Alarmbereitschaft versetzt, um eine Bedrohung entweder zu bekämpfen oder vor ihr zu fliehen. Deshalb löst Lärm eine Stressreaktion in uns aus.
Lärm dringt wie alle anderen akustischen Signale durch unsere Ohren ins Gehirn ein. Dort angekommen, aktiviert er jenes Hirnareal, das für die Stresserkennung zuständig ist: die Amygdala. Wenn diese mandelgrosse Struktur durch lang anhaltende Lärmbelastung überaktiv ist, beginnt unser Körper, unnatürlich viele Stresshormone wie Adrenalin oder Cortisol auszuschütten.
«Lärm ist ein Stressfaktor und stört den Schlaf», erklärt Martin Röösli, Professor für Umweltepidemiologie am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel. Langfristig erhöhe sich dadurch das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Zudem steige das Risiko für Diabetes und Übergewicht und für mentale Probleme, inklusive Depressionen. «Bei Kindern und Jugendlichen hat man eine Zunahme von Verhaltensproblemen beobachtet sowie negative Einflüsse auf die Kognition gesehen.»
Wie laut ist zu laut?
Schall wird in Dezibel (dB) gemessen. Die Lautstärke von Flüstern liegt bei etwa 30 dB. Eine normale Unterhaltung wird mit etwa 60 dB gemessen und ein laufender Motorradmotor bereits etwa mit 95 dB. Lärm über 70 dB kann über einen längeren Zeitraum hinweg das Gehör schädigen. Geräusche über 120 dB können das Gehör sofort in Mitleidenschaft ziehen.
Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Strassenlärm von über 53 dB tagsüber sowie über 45 dB während der Nacht mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden. Fast identische Lärmgrenzwerte gelten für Fluglärm und Geräusche von Zügen. Gemäss einer 2022 von Röösli mitverfassten Studie nimmt die Wahrscheinlichkeit, an einem Herz-Kreislauf-Leiden zu erkranken, für Strassen- und Zuglärm allerdings bereits ab 35 respektive 30 dB zu. «Neue Forschung zeigt, dass Gesundheitsauswirkungen auch unterhalb der Grenzwerte auftreten», sagt Röösli. «Jede Lärmreduktion ist also von Vorteil für die Gesundheit der Bevölkerung. Denn die damit verbundenen Kosten sind gross.»
In der Schweiz leiden rund 1 Million Menschen an ihrem Wohnort unter schädlichen Lärmimmissionen, die über den definierten Grenzwerten liegen, wie das Bundesamt für Umwelt schreibt. Tagsüber sind 1,1 Millionen und nachts rund eine Million Personen von Strassenverkehrslärm betroffen, der die wichtigste Quelle für störende Geräusche darstellt. Im Fall des Strassenlärms könnte die Anzahl der betroffenen Personen durch Flüsterbeläge und Temporeduktionen deutlich reduziert werden.
Röösli betont allerdings, dass die Grenzwerte veraltet seien: «Die eidgenössische Kommission für Lärmbekämpfung hat im Dezember 2021 einen Bericht mit Empfehlungen für eine Anpassung der Grenzwerte für Strassen-, Eisenbahn- und Fluglärm veröffentlicht. Dort ist aufgeführt, wie man die Grenzwerte anpassen sollte, damit sie wieder dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprechen.» Denn: Die Schädlichkeit von Lärm werde häufig unterschätzt, so Röösli. «Vor allem, wenn man selber nicht betroffen ist.»
Wie kann man sich selber schützen?
Als Erstes sollte man analysieren, welchen Lärmemissionen man am Wohnort und am Arbeitsplatz ausgesetzt ist. Dies kann man einerseits durch Schallpegelmesser oder Dezibel-Apps machen, die einem eine detaillierte Messung der Lautstärken auch über längere Zeiträume erlauben. In den USA wird die von der amerikanischen Behörde für Arbeitsmedizin entwickelte App Niosh empfohlen, die es zurzeit allerdings nur für iOS-Geräte gibt. Zudem kann man mithilfe der Son-Base-Lärmdatenbank des Bundesamtes für Umwelt die Lärmbelastung an seinem Wohnsitz anzeigen lassen. Diese Karten liefern zwar nur eine ungefähre Belastung für die eigene Wohnung anhand einer Farbskala, geben aber einen guten Eindruck für die detailliert messbaren Lärmemissionen.
Was konkrete Massnahmen angeht, so empfiehlt es sich, bei privaten Wohnungen alte Fenster durch Doppelglasscheiben zu ersetzen. Schlafzimmer sollten so gewählt werden, dass sie möglichst weit von stark befahrenen Strassen entfernt sind. Fenstervorhänge und Teppiche können als zusätzliche Schalldämpfer fungieren. Die WHO empfiehlt einen nächtlichen Lärmpegel von weniger als 30 dB im Schlafzimmer, um einen erholsamen Schlaf zu gewährleisten.
Bei sehr hohen chronischen Lärmbelastungen ist es ratsam, individuell angepassten Gehörschutz oder Noise-Cancelling-Kopfhörer zu verwenden. Röösli führt dazu aus: «Meistens hat der Einzelne nur beschränkten Handlungsspielraum. Darum ist es wichtig, Lärm an der Quelle so stark wie möglich einzuschränken.» Wenn man trotzdem übermässigem Lärm ausgesetzt ist, kann man laut Röösli je nach Verhältnissen das Fenster im Schlafzimmer schliessen und dafür andere Fenster zur Abkühlung öffnen, Gehörschutzpfropfen tragen oder den Schlafplatz wechseln.
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