«Russisches Gesetz» «Es wird sehr schwierig»: NGOs in Georgien bangen um Überleben
Das Agentengesetz schürt Ängste in Georgien. Stimmen aus der Zivilgesellschaft, die ohne Unterstützung von aussen schwer arbeiten kann.
Ana Iluridze nimmt ab und schweigt. Kein Hallo, auch nicht, als der Anrufer sich vorstellt. Sie wartet noch ein paar Sekunden, erst dann spricht sie. Eine fremde Nummer, Ana Iluridze ist vorsichtig, denn das hatte sie befürchtet: dass dies ein Drohanruf ist, jemand sie beschimpft, vielleicht «Verräterin» nennt. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen hätten das in den vergangenen Tagen ja erlebt, sagt sie am Telefon. So sind die Zeiten gerade in Georgien.
Einschüchternde Anrufe, Plakate, die in der Dunkelheit an Hauswände von Zivilorganisationen und Aktivisten geklebt werden, Sprüche wie «Agentenhauptquartier» oder «Feind der Nation»: Georgische NGOs erleben gerade schwere Wochen. So ergeht es auch dem Center for Strategic Research and Development of Georgia, für das Ana Iluridze als Portfoliomanagerin arbeitet. (Lesen Sie auch den Kommentar «Georgier bangen um ihre Zukunft».)
Es geht um das Gesetz, gegen das sich gerade viele zivile Organisationen in Georgien stemmen. Tritt es in Kraft, müssen sich NGOs und unabhängige Medien als Organisationen «unter ausländischem Einfluss» registrieren, falls sie ein Fünftel ihrer Finanzmittel aus anderen Ländern erhalten. Andernfalls drohen ihnen zunächst Geldstrafen von mehr als 9000 Euro.
Gesetz kommt auch ohne Billigung der Präsidentin
Die Regierungspartei Georgischer Traum behauptet, das Gesetz solle die Transparenz stärken. Kritiker in Georgien fürchten dagegen, gebrandmarkt zu werden als ausländische Agenten, so wie es in Russland seit Jahren geschieht. Sie nennen es deshalb «das russische Gesetz».
Die georgische Präsidentin Salome Surabischwili hat am Wochenende ihr Veto eingelegt. «Dieses Gesetz ist in seinem Kern und Wesen fundamental russisch, widerspricht unserer Verfassung und allen europäischen Standards», schreibt sie in einer Botschaft an internationale Medien.
Doch ihr Veto klingt wirkungsvoller, als es ist. Die Regierung in Tiflis wird es mithilfe der Mehrheitspartei Georgischer Traum im Parlament überstimmen. Dann wird das Gesetz zur Not auch ohne die Unterschrift der Präsidentin in Kraft treten. Die EU, deren Beitrittskandidat Georgien seit Dezember ist, lehnt das NGO-Gesetz ab. Und auch Ana Iluridze sagt: «Dieses Gesetz ist schlecht.»
NGOs sind angewiesen auf Unterstützung aus dem Ausland
Seit sieben Jahren arbeitet sie für das Center for Strategic Research and Development of Georgia. Die NGO wurde 1995 gegründet und ist eine der ältesten im Kaukasusstaat. Sie habe in den drei Jahrzehnten viele Programme, Projekte und kleinere Betriebe unterstützt, erzählt die Georgierin, vor allem in Dörfern, in Kachetien etwa, dem klassischen Weinanbaugebiet Georgiens.
Iluridze sagt, dass ihre NGO vielen Frauen geholfen habe, Beautysalons zu eröffnen, Cafés, kleine Betriebe. «Dort, wo ihnen sonst niemand hilft.» Ihre NGO wird unter anderem von der EU unterstützt, auch von einer UNO-Organisation. «Ohne diese Unterstützung können wir nicht existieren», sagt Iluridze.
Gemäss einem EU-Bericht gibt es in Georgien zwischen 1200 und 2300 Zivilorganisationen. Weit mehr als 120 Nichtregierungsorganisationen und Medien haben nun in einem offenen Brief ihren Widerstand angekündigt. Darin heisst es, dass der Gesetzentwurf «sich gegen den westlichen Kurs des georgischen Volkes richtet und bedingungslos zurückgezogen werden muss».
Auch Ana Iluridze hofft, dass ihre Organisation sich nicht registrieren wird, sollte das Gesetz durchgehen. Fast jeden Tag hat sie sich in Tiflis an den Protesten gegen das Gesetz beteiligt, in den Händen eine georgische Flagge und eine blau-gelbe mit Sternenkranz der EU. «Wir müssen auf unser Land aufpassen», sagt sie.
Am Sonntag hatten sich Deutschlands Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron «zutiefst besorgt» über die Situation in Georgien gezeigt, und dass dessen Regierung mit dem Gesetz vom europäischen Pfad abweiche. In den USA soll gemäss einem Bericht von «Politico» ein Gesetzentwurf eingebracht werden, der Sanktionen wie Einreiseverbote vorsehe für georgische Regierungsmitglieder, die das Gesetz unterstützten.
Die Regierung will das Gesetz dennoch durchsetzen. Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili verteidigte es und kritisierte wiederum die Kritik der Europäer. Sie seien «unfair» gegenüber Georgien, sagte er vor den Medien. Das Geld europäischer Steuerzahler werde dazu genutzt, um in Georgien politische Parteien und radikale Gruppen zu gründen. Es sei deshalb im europäischen Interesse, transparent zu sein.
Unterstützt wird die Regierung dabei von der orthodoxen Kirche, die «vor gefährlichen ausländischen Ideologien» warnt. Sie dürfte damit auch auf die LGBTQ-Bewegung abzielen, die von der Regierung bekämpft wird.
Transparenz über Finanzierung gibt es bereits
Wer aus dem Ausland wen finanziell unterstützt, ist allerdings in der Regel ohnehin sichtbar auf den Websites der NGOs. Auch die Medienorganisation «Kvemo Kartli» macht deutlich, dass ihre Projekte von der EU und der Swedish International Development Cooperation Agency unterstützt werden.
Auf Anfrage schreibt Chefredaktorin Manon Bokuchava in einer E-Mail: «Unser Budget kommt fast vollständig durch die Hilfe dieser Art von Organisationen zustande.» Georgien sei finanziell kein starker Staat. «Wir haben einfach nicht genug Werbeeinkünfte, um eine kleine regionale Organisation zu führen.»
«Kvemo Kartli» hat sich an dem Brief georgischer NGOs beteiligt. Manon Bokuchava (38) sagt: «Wir lehnen es ab, uns nach dem geplanten Gesetz zu registrieren. Das heisst, wir werden nicht eine Bezeichnung ‹unter ausländischem Einfluss› verwenden, die unsere Aktivitäten diskreditiert.»
Was das in letzter Konsequenz bedeuten könnte, ist ihr auch klar. «Sie werden uns substanzielle Geldstrafen geben und die Organisation schliessen.» Sie schreibt: «Es wird sehr schwierig für uns.» Und sie meinte nicht den anonymen, beschimpfenden Anruf, den sie von einer Frau erhielt.
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