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Proteste in Tiflis
Georgien verabschiedet umstrittenes «russisches Gesetz» – wüste Szenen im Parlament

epa11337693 Georgian opposition party supporters attend a rally against a draft bill on 'foreign agents' in downtown of Tbilisi, Georgia, 13 May 2024. The Legal Committee of the Georgian Parliament supported the bill 'On Transparency of Foreign Influence' in the third reading.  EPA/DAVID MDZINARISHVILI
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Worum gehts?

In der kleinen Republik Georgien im Südkaukasus spitzt sich der Machtkampf zwischen der Regierung und einer starken Protestbewegung zu. Auslöser der seit Wochen andauernden Demonstrationen ist ein Gesetz, von dem Kritiker befürchten, dass es wie in Russland zur Drangsalierung der Zivilgesellschaft genutzt werden soll. Doch weiter gefasst geht es um die demokratische Entwicklung der ehemaligen Sowjetrepublik an der Südgrenze Russlands; es geht um den Kurs des EU-Beitrittskandidaten Richtung EU und Nato.

Trotz scharfer Proteste hat das georgische Parlament am Dienstag das höchst umstrittene Mediengesetz verabschiedet. 84 Abgeordnete votierten nach Angaben des Fernsehsenders Rustavi-2 dafür, 30 Abgeordnete dagegen.

Während der vorangegangenen dritten und letzten Lesung versammelte sich vor dem Parlament am Morgen erneut eine grosse Menschenmenge zum Protest. Ein grosses Polizeiaufgebot war vor Ort.

Präsidentin Salome Surabitschwili, die sich zunehmend mit der Regierungspartei überworfen hat, kündigte zwar ihr Veto gegen das Gesetz an. Die Regierungspartei Georgischer Traum verfügt aber über eine ausreichende Mehrheit, um ein Veto zu überstimmen. Im Streit um die Vorlage lagen die Nerven im Parlament blank. Am Dienstag kam es dort während der Debatte zu einer Rangelei unter Abgeordneten, wie folgendes Video zeigt:

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In den vergangenen Tagen sind etliche Demonstranten und Mitglieder der Opposition zusammengeschlagen worden. In Kopenhagen mahnte EU-Ratspräsident Charles Michel auf einer Konferenz zum Thema Demokratie mit Blick auf Georgien, dass das Land fundamentale Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit sowie demokratische Prinzipien achten müsse, wenn es der EU beitreten wolle.

epaselect epa11336418 Georgian policemen detain an opposition party supporter during a rally against a draft bill on 'foreign agents' in downtown of Tbilisi, Georgia, 13 May 2024. Participants demand the repeal of the bill on 'foreign agents,' which will be considered in the third reading on May 13.  EPA/DAVID MDZINARISHVILI

Was steht im umstrittenen Gesetz?

Nach Darstellung der seit 2012 regierenden Partei Georgischer Traum hat das Ausland über die Förderung von Nichtregierungsorganisationen zu viel Einfluss in Georgien. Es gebe einen «Mangel an Transparenz», sagte die Abgeordnete Maka Botschorischwili aus dem Regierungslager. Das neue Gesetz verschärft die Rechenschaftspflicht für jene NGOs, die mehr als 20 Prozent Geld aus dem Ausland erhalten.

Die Kritiker des Gesetzes befürchten, dass die Organisationen von ausländischem Geld abgeschnitten und mundtot gemacht werden sollen. In Russland werden kritische NGOs als «ausländische Agenten» gebrandmarkt; deshalb nennen die Demonstranten in Georgien den Entwurf nur das «russische Gesetz».

Was wollen Georgischer Traum und der Milliardär Iwanischwili?

Paradox ist, dass die Regierung von Georgischer Traum die erfolgreichen Gespräche über den EU-Kandidatenstatus geführt hat. Sie hält nach Worten am EU-Kurs fest – verfolgt aber zugleich gute Kontakte nach Moskau.

Georgian billionaire Bidzina Ivanishvili addresses the crowd during a rally organised by the ruling Georgian Dream party aimed at countering days of mass anti-government protests over a controversial "foreign influence" bill, which Brussels warns would undermine Georgia's European aspirations, in Tbilisi on April 29, 2024. (Photo by Vano SHLAMOV / AFP)

Starker Mann der Partei ist ihr Gründer Bidsina Iwanischwili (68), der mit Geschäften in Russland zum Milliardär geworden ist und zeitweise auch Ministerpräsident war. Ende April hielt er in Tiflis eine Rede, die eine autoritäre Wende ankündigte – irgendwo zwischen Viktor Orban in Ungarn und Wladimir Putin in Russland. Er drohte der Opposition strafrechtliche Verfolgung an nach der kommenden Parlamentswahl im Oktober. Georgien müsse sich vor verderblichem westlichem Einfluss schützen. Und er sprach von einer «globalen Kriegspartei», die Georgien wie die Ukraine zur Konfrontation mit Russland aufhetze.

Hat Russland tatsächlich seine Hand im Spiel?

Im Gegensatz zur internationalen Kritik hat Russland das Gesetz verteidigt. «Kein souveräner Staat möchte die Einmischung anderer Länder in seine Innenpolitik», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Es sei absurd, das Gesetz als «russisches Projekt» zu sehen.

Beobachter wie Malerius sehen aber über das NGO-Gesetz hinaus Ähnlichkeiten zur Entwicklung in Russland. Ein neues Gesetz erleichtert den Zufluss von Offshore-Geld nach Georgien, was Iwanischwili wie auch Russen helfen könnte, Sanktionen zu umgehen. Solche Indizien legten nahe, «dass das Drehbuch zu diesem Geschehen in Russland geschrieben wurde», sagt Malerius.

Wer sind die Protestierenden?

Vor allem junge Menschen gehen auf die Strasse. Viele haben visafrei die EU besucht und sehen die europäische Perspektive ihres Landes in Gefahr. Klare Führungsfiguren gibt es nicht.

Georgian students rally to protest the controversial "foreign influence" bill outside the parliament in Tbilisi on May 13, 2024. (Photo by Giorgi ARJEVANIDZE / AFP)

Doch Staatspräsidentin Salome Surabischwili steht aufseiten des Protests. Dazu kommen Gewerkschaftler, prominente Sportler und Künstler, einige Geistliche der orthodoxen Kirche und einzelne Vertreter von Georgischer Traum. In den vergangenen Tagen hat die Staatsmacht Regierungsgegner öffentlich angeprangert und Schläger auf sie gehetzt. Dies hat die Demonstrationen angeheizt.

Welche Folgen kann der Konflikt haben?

Die EU hat das Gesetz ein Hindernis für einen Beitritt Georgiens genannt. «Georgien ist an einem Scheideweg. Es sollte seinen Kurs nach Europa fortsetzen», sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst. Vielleicht wird nicht sofort der Kandidatenstatus aberkannt. Aber es könnte Sanktionen gegen Iwanischwili und seine Umgebung geben. In der US-Führung zeigte sich der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan tief besorgt über den «demokratischen Rückschritt».

Iwanischwili und Ministerpräsident Irakli Kobachidse geben sich überzeugt, dass sie die Protestwelle aussitzen können. Doch in der Dynamik der Proteste scheint nicht ausgeschlossen, dass die Regierung stürzt. Georgischer Traum könnte auch im Oktober die Parlamentswahl verlieren, bei der sie angesichts der zersplitterten Opposition eigentlich auf einen ungefährdeten Sieg zusteuerte.

Das Gesetz zum zweiten Mal nach 2023 zurückzuziehen, wäre eine bittere Niederlage für Georgischer Traum, schrieb der Experte Alexander Atassunzew für Carnegie Politika. «Aber es nicht zurückzuziehen bedeutet, die europäische Zukunft des Landes zu riskieren und zugleich die eigene Macht.»

DPA/jaw