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Schweizer Geldpolitik im Weltfokus
Geballte Kritik an Negativ- und Tiefstzinsen

Die Negativzinsen der Schweiz haben einzig zum Zweck, eine übermässige Frankenaufwertung zu verhindern: Nationalbankpräsident Thomas Jordan an einer Pressekonferenz im Juni.
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Es war die Gelegenheit für Thomas Jordan, den Chef der Schweizerischen Nationalbank, der Welt seine Politik zu erklären. Am Dienstag durfte er die sogenannte Camdessus-Vorlesung beim Internationalen Währungsfonds (IWF) halten, benannt nach Michel Camdessus, einem einstigen Chef des Fonds. Corona-bedingt wurde sein Vortrag per Video nach Washington, dem Hauptsitz des Fonds, übertragen.

Vor Jordan kam diese Ehre erst den Chefinnen und Chefs von Notenbanken weit grösserer Währungsräume zu: jenen der USA, der Eurozone, Chinas, Grossbritanniens, Russlands und Japans. Mit seinen Ausführungen versuchte Jordan vor allem, Verständnis für die besondere Geldpolitik der Schweiz zu wecken.

Breitseite gegen Negativzinsen

Dass diese Politik erklärungsbedürftig ist, machte eine Veranstaltung beim IWF nur einen Tag vor Jordans Rede, am Montag, deutlich. Thema dort waren die Folgen von sehr tiefen bis negativen Zinsen und deren Wirkung. Und das Urteil der anwesenden prominenten Ökonomen dazu war überwiegend kritisch.

Die Schweiz ist jenes Land, das mit einem Leitzins von minus 0,75 Prozent den weltweiten Tiefenrekord hält. Die an der Konferenz präsentierten Studien kamen zu folgenden Ergebnissen:

Negativzinsen erhöhen die Kreditkosten

Statt dass ein negativer Leitzins der Notenbanken die Kredite verbilligt, verteuert er sie vielfach sogar. Zu diesem Schluss kam eine am IWF-Anlass präsentierte Studie, an der unter anderen auch Larry Summers mitgearbeitet hat, einst US-Finanzminister unter Bill Clinton und ökonomischer Chefberater unter Barack Obama.

Die Autoren stützen sich dabei auf Bankdaten aus Schweden. Weil die Menschen dort deutlich weniger Bargeld halten als in anderen Ländern, können sie den Negativzinsen besonders schlecht ausweichen. Das bedeutet laut den Autoren: Wenn Negativzinsen dort erfolglos sind, dann sind sie es überall sonst erst recht.

Den Grund für den unerwünschten Effekt auf die Kreditzinsen sieht das Autorenteam darin, dass die Banken die Kosten durch Negativzinsen dem grössten Teil ihrer Kunden auf deren Konten nicht weiterbelasten können. Wenn deshalb die Banken stark auf solche Einlagen angewiesen sind, drosseln sie ihre Kreditvergabe, und die Zinsen für die Kredite steigen.

Extrem tiefe Zinsen mindern den Wettbewerb

Das Tiefzinsniveau – wenn es sich bei den Krediten durchsetzt – hat zur Folge, dass die bereits dominierenden Unternehmen in einem Markt ihre Macht noch weiter festigen können. Zu diesem Schluss kommt eine weitere präsentierte Studie von drei einflussreichen Ökonomen der Universität Princeton.

Der Grund dafür liegt laut den Studienautoren darin, dass Marktführer deutlich höhere Margen erzielen
als die übrigen Firmen. Es lohnt sich dann für diese, billige Kredite aufzunehmen, um ihre Konkurrenten noch weiter zu distanzieren. Sie investieren das Geld in Massnahmen, die andere Firmen benachteiligen, oder in den Aufkauf von Konkurrenten. Die Folge ist ein geringerer Wettbewerbsdruck.

Daraus wiederum resultiert eine tiefere Produktivität der Gesamtwirtschaft. Dass parallel zu den immer weiter sinkenden Zinsen auch weltweit das Produktivitätswachstum gesunken und die Machtkonzentration unter den Unternehmen gestiegen ist, untermauert laut den Autoren ihre These.

Extrem tiefe Zinsen behindern produktive Investitionen

Dass Unternehmen die sehr tiefen Zinsen im ökonomischen Sinn eher verschwenden, statt sie für produktive Investitionen zu nutzen, ist die Schlussfolgerung einer weiteren am IWF-Anlass präsentierten Studie, die unter anderem vom ehemaligen stellvertretenden Chef der Zentralbank von Indien verfasst wurde. So würden sich Unternehmen übermässig verschulden und billig aufgenommenes Geld vor allem für Auszahlungen an ihre Aktionäre verwenden.

Auf diesem Weg schaden extrem tiefe Zinsen der Gesamtwirtschaft. Die Autoren beziehen sich auch auf den 1992 verstorbenen österreichischen Ökonomen Friedrich Hayek, der genau vor dieser Gefahr einer zu billigen Geldversorgung gewarnt hat.

Die Argumente von Thomas Jordan

In seiner virtuellen Rede beim IWF ging Thomas Jordan nicht direkt auf die Veranstaltung ein. Er machte aber deutlich, dass die Negativzinsen in der Schweiz nicht einer Verbilligung der Kredite oder einer Befeuerung der Kreditnachfrage dienten. Ihr Zweck sei einzig und allein, eine übermässige Aufwertung des Frankens zu verhindern. Und das funktioniere. Wie sie auf die Kredite wirken, sei dagegen weniger klar, gestand auch Jordan ein.

In den USA steht die Schweiz auf einer Beobachtungsliste von potenziell unfairen Währungsmanipulatoren.

Gleichzeitig erklärte der SNB-Chef, dass die Zinsen nicht beliebig tief gesenkt werden könnten und dass die Nationalbank gerade wegen der Nachteile von Negativzinsen auf Devisenmarktinterventionen angewiesen sei. Durch Käufe von fremden Währungen versucht die Nationalbank, eine Aufwertung des Frankens zu verhindern.

Nicht Thema beim Internationalen Währungsfonds war, dass auch diese Politik auf Kritik stösst: In den USA steht die Schweiz deshalb auf einer Beobachtungsliste von potenziell unfairen Währungsmanipulatoren. Und selbst an der IWF-Tagung zu den Tiefstzinsen waren sich die Ökonomen einig, dass zur gegenwärtigen Geldpolitik weltweit gute Alternativen fehlen.

Eine frühere Version dieses Artikels trug den Titel: «Geballte Kritik an den Negativzinsen der Nationalbank». Dadurch konnte der Eindruck entstehen, die Politik der Nationalbank sei an der im Text erwähnten Konferenz beim Internationalen Währungsfonds kritisiert worden. Das war nicht der Fall. Es ging dort um die Wirkungen von Tiefst- und Negativzinsen generell.