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Meinung

Gastkommentar zur Familienpolitik
Kinder sind keine Privatsache!

11.06.2022, Berlin: Die Sängerin Sophie Hunger steht beim Tempelhof-Sounds Festival auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Berlin Tempelhof auf der Bühne. Foto: Britta Pedersen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Britta Pedersen)
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Vor Jahren schrieb ich das Lied «Heicho», da heisst es, fürs Sterben käm ich ganz gewiss nach Hause. Kunst ist eine Revolte, das Kinderkriegen auch?  Ich freute mich, nun auch fürs Leben in die Schweiz zurückzukehren, für die schönste und radikalste aller Schöpfungen: die Gründung einer Familie.

Wenige Monate nach der Geburt meines Kindes und der Verpflichtung, wieder zu arbeiten, schwante mir, wie prekär es um  die Kinderbetreuung und den beruflichen Wiedereinstieg der Frauen in der Schweiz steht. In unserem Dorf gibt es keine Kita, und in der nächsten Kleinstadt sind die Plätze so rar, dass ein zweijähriger Ausstieg aus dem Berufsleben unvermeidbar scheint. Die Mutterschaftsversicherung deckt 14 Wochen. Wie, bitte, soll das gehen?

In der Schweiz verschlingt die monatliche Rechnung für die Kinderkrippe circa 35 Prozent des Einkommens – in keinem anderen Land der Welt müssen Eltern einen so immensen Teil ihres Lohnes für Kinderbetreuung opfern. Der Nationalrat hat zwar im Frühjahr ein Gesetz verabschiedet, das die Eltern bei den Kita-Kosten durch Bundesbeiträge um 20 Prozent entlasten sollte. Der Ball lag auf dem Penaltypunkt, der Ständerat musste nur noch versenken. Doch nun das Drama: Beherrscht von den bürgerlichen Fraktionen, spielt die befugte Kommission den Ball ins Aus, um – husch – eine eigene, den Bund schonende Version zu fabrizieren. Gleichzeitig vertagt er die Abschlussdiskussion auf nach den Wahlen, das politische Risiko fürchtend. 

Dass Eltern keine Strukturen haben, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, ist inakzeptabel.

Der Ständerat besteht zu 74 Prozent aus Männern, deren Altersdurchschnitt liegt bei 59,5 Jahren. Dieser Ständerat ist nicht repräsentativ und zwangsläufig undemokratisch. Die wenigsten Ständeräte wissen überhaupt, wie viel ein Kita-Platz kostet. In der Petition der Alliance F, für die ich werbe, werden Eltern aufgefordert, ihre Rechnungen hochzuladen, um die harten Fakten darzulegen. Die Quittung einer Zürcher Mutter: Über 5000 Franken zahlt sie pro Monat für zwei Kinder, in Teilzeitbetreuung nota bene.

Es gibt Dinge, die kann man als Demokratin wegstecken. Militärausgaben für eine Armee, die verteidigungsunfähig ist, Milliardensubventionen für eine Landwirtschaft, deren Produkte im Müll landen, oder Milliardenrettungen für Privatbanken, die sich selbst bestehlen. Ich gönne es den Luftwaffenpiloten, ich gönne es den Bäuerinnen und Bauern, ich gönne es den Mitarbeitenden der Geldinstitute. Aber dass Eltern keine Strukturen haben, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, ist inakzeptabel. Insbesondere die Gleichstellung ist unter diesen Bedingungen vollkommen unerreichbar. Genau hier, nach der Geburt eines Kindes, beginnt der strukturelle Absturz der Frauen.

Kinder sind die Grundbedingung für das Gelingen unseres Systems.

Wer soll das bezahlen? Im Moment bezahlen es die Mütter. Sie bezahlen mit dem Verlust ihres Einkommens, den daraus entstehenden Rentenausfällen und mit einer totalen materiellen Abhängigkeit vom Partner. Das bringt weder den Familien noch dem Staat Vorteile. Es ist volkswirtschaftlich eine Lose-Lose-Situation. In der Schweiz herrscht ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Die Mütter, die wir teuer ausgebildet haben, werden nach der Geburt eines Kindes nach Hause geschickt. Eine erfolgreiche Familienpolitik ist keine Utopie. Sie wird bereits in beneidenswert erfolgreichen Staaten praktiziert. Peinlich ist es, so zu tun, als wäre das alles ein mystisches Rätsel, so wie der Verbleib des Unspunnensteins.

Kinder sind keine Privatsache! Das Funktionieren unseres ganzen politischen Systems beruht auf dem Heranwachsen einer neuen Generation. Kinder sind die Grundbedingung für das Gelingen unseres Systems. Ganz objektiv: Wer zahlt einst die Renten unserer Ständeräte? Und mit Verlaub: Ohne Kinder wird das Amt eines Parlaments dereinst ohnehin obsolet.

Darum, lieber Ständerat: Macht entweder euren Job oder gebt euer Amt auf und arbeitet Vollzeit in der Kinderbetreuung eurer Enkel. Kurz: Wandel oder Windel! Wahlen sind, zur Erinnerung, am 22. Oktober.