Anna Rossinelli im Interview«Wenn die Kita meldet, meine Tochter sei krank, kann ich nicht einfach wegrennen»
Die Sängerin hat ein Baby – das auf dem neuen Album «Mother» nicht zum Thema wird. Ein Gespräch über Kreativität am Kinderwagen und die Vereinbarkeit von Künstlerberuf und Familie.
Frau Rossinelli, Sie sind seit sechs Monaten Mutter einer Tochter. War es für Sie immer klar, dass sie auf die Bühne zurückwollen?
Kürzlich hat mich jemand gefragt: Ist Musikmachen jetzt eine nette Abwechslung zum Muttersein? Das fand ich etwas despektierlich. Musik ist mein Beruf und meine Leidenschaft, es ist kein Hobby, ich lebe schon recht lange davon, und es gibt mit meinen Bandkollegen noch andere Leute, die davon leben.
Gab es mal einen Zeitpunkt, wo Sie über einen anderen, mit Familie besser verträglichen Job nachgedacht haben?
Für mich war das nie eine Option. Auch, weil ich will, dass meine Tochter sieht, dass ich glücklich bin bei dem, was ich tue, und mich diesbezüglich als Vorbild nehmen kann. Ich will nie die Mutter sein, die ihrer Tochter von etwas abrät, weil jemand sagt, das habe keine Zukunft oder sei schwer vereinbar mit dem Leben.
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Sophie Hunger, die kürzlich ebenfalls Mutter geworden ist, fordert Unterstützung vom Staat. Der Ständerat berät über ein Kita-Gesetz, die SP hat eine Initiative lanciert. Wie stehen Sie dazu?
Sophie Hunger hat auf jeden Fall recht. Wir hinken doch extrem hinter anderen Ländern in Europa her, wenn es um Kinderbetreuung geht. Die Spirale dreht sich folgendermassen: Eigentlich möchte man arbeiten, um sein Geld selber zu verdienen, doch das Geld fliesst direkt weiter in die Kita-Kosten. Wenn ich alles dafür ausgebe, dass mein Kind betreut wird, kann ich es mit dem Arbeiten auch grad sein lassen. Es verlieren alle: die Wirtschaft, die Familien, die Arbeitgeber.
In der Schweiz verdient man in den meisten Fällen so viel, dass man diese Betreuungskosten decken kann.
Aber es geht eben nicht immer nur ums Geld. Wenn ich einen Job hätte, den ich nicht so gern mache, würde ich mir schon überlegen, ob es sich lohnt, Geld zu verdienen, das ich dann eh nicht zur Verfügung habe. Dann verbringe ich die Zeit doch lieber mit meinem Kind.
Wo liegt das Problem?
So werden halt in vielen Fällen die Frauen benachteiligt, weil sie oft weniger verdienen und es dann sie sind, die zu Hause bleiben. Wenn es um die Familienplanung geht, wird man gewissermassen vom System in ein klassisches Rollenbild gedrängt.
«Es gibt doch Paare, die gern Kinder hätten, aber mit vielem überfordert sind – und sich dann doch dagegen entscheiden.»
Lässt sich das nicht loslösen von den Geschlechtern? Der Mann kann genauso gut auf die Arbeit verzichten und Care-Arbeit übernehmen.
Ich will das gar nicht nur auf die Geschlechter herunterbrechen. Aber ich überlege mir immer wieder: Warum bleibt das Schema so? Und warum kehren viele Frauen nicht mehr ins Berufsleben zurück?
Haben Sie eine Antwort?
Eben, weil der Staat sich an der Kinderbetreuung zu wenig beteiligt.
Leute ohne Kinder würden entgegnen, dass es jedem freisteht, Kinder zu kriegen.
Da sind wir aber ganz schnell bei der Frage, auf welche Zukunft dieses Land aufgebaut ist. Wenn es schon so eng wird mit den Renten, muss man doch Anreize schaffen, dass künftig möglichst viele weiterhin in die Pensionskassen einzahlen. Die Kinder von heute zahlen die Renten von morgen.
Wie unterscheidet sich der Künstlerberuf in Sachen Kinderbetreuung von anderen Berufen?
Wenn die Kita anruft und sagt, meine Tochter sei krank, kann ich nicht einfach von diesem Interview hier wegrennen und nach Basel fahren. Ich habe als Selbstständige nicht die gleiche Flexibilität, kann nicht einfach meinen Arbeitgeber anrufen und sagen, heute wird es etwas später, vielleicht komme ich auch gar nicht. Ich arbeite für mich selbst. Und gebe auch mehr Energie rein – wenn ich nicht arbeite, läuft ja nichts mehr. Man macht das entweder ganz oder gar nicht.
Das Problem aus bürokratischer Sicht: Ihr Job ist nicht so klar in Prozenten veranschlagbar.
Ja. Aber genau das will der Staat ja, wenn man Unterstützung bekommen will. Da gibt es schon viel Luft nach oben. Der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub ist auch ein Witz – bei uns lief alles reibungslos, aber wäre mein Partner nicht fünf Wochen zu Hause geblieben, hätte das nie geklappt. Ich merke erst jetzt: Kinder werden in gewissen Teilen unserer Gesellschaft als notwendiges Übel betrachtet.
Malen Sie jetzt nicht etwas schwarz?
Es gibt doch Paare, die gern Kinder hätten, aber mit Arbeitsteilung, den steigenden Kosten, der Kinderbetreuung und so weiter überfordert sind – und sich dann doch gegen Kinder entscheiden. Und diese Fälle finde ich problematisch. Dass nur einer von zweien arbeitet, reicht bei den Kosten heutzutage einfach kaum mehr.
Wenn Frauen im Kulturbetrieb Mutter werden, muss die Kreativität plötzlich auf Knopfdruck kommen. Muss man die Kunst vielleicht auch ein Stück weit von dem Geniegedanken befreien, wonach man sich in einer Einzimmerwohnung die Nächte um die Ohren trinken muss, bis einen die Muse küsst?
Ja. Ich habe mich auch vorher nicht nur mit meiner Musik beschäftigt. Man braucht auch noch anderes, um glücklich zu sein. Aber klar: Vielleicht erlebe ich aktuell gerade etwas weniger oft Weltbewegendes.
Also sind Sie gerade unweigerlich dabei, sich zu verbürgerlichen?
Natürlich passiert weniger im Kopf, wenn man mit dem Kinderwagen an einem Nachmittag durch den Park streift, als wenn man sich eine Nacht um die Ohren schlägt und mit einer Melodie im Kopf halb berauscht ins Bett sinkt. Aber die Songs meines neuen Albums habe ich übrigens alle schon während der Schwangerschaft geschrieben, da war ich ja auch nüchtern.
Wie bei «Sing meinen Song», der Tauschsong-Show vergangenen Herbst, als noch niemand von Ihrer Schwangerschaft wissen durfte.
Ja. Damals konnte ich es eigentlich noch niemandem sagen. Aber es fiel dann ziemlich schnell auf, weil ich immer so ausgefallene Cocktails ohne Alkohol bestellte.
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Und jetzt ist ein Album da, es heisst «Mother».
Wir sind darauf musikalisch zu unseren Wurzeln zurückgekehrt, mehr Akustik, weniger Elektronik, und da es ja den Song «Mother», der meiner Mutter gewidmet ist, schon länger gibt und ich dann während der Arbeiten zum Album erfuhr, dass ich jetzt selber ein Kind bekomme, war der Titel irgendwann gesetzt.
«Gewisse Dinge habe ich erst jetzt realisiert – und ich habe mich immer als emanzipiert betrachtet.»
Sie mussten damit rechnen, dass viele mit Ihnen gar nicht über Ihre Musik, sondern über die familiäre Situation diskutieren wollen. Macht Ihnen das nichts aus?
Es ist nicht so, dass ich mein Muttersein künstlerisch ausschlachten will. Von mir wird es keine Babysongs geben. Wenn ich von bedingungsloser Liebe singe, kann ich dabei meine Tochter meinen, jemand anderes kann jemand anderes meinen. So sollte meine Musik funktionieren. Aber die Familienthematik liegt mir schon am Herzen. Kürzlich hat mich wieder jemand gefragt: «Wie machst du das jetzt, mit Kind?» Das hätte ich früher auch so gefragt – jetzt nervt es mich enorm. Den Bundesrat mit vier Kindern fragt das auch niemand, da schaut ja die Frau zu Hause. Jeder und jede kann da ihr Denken auf Klischees überprüfen.
Auf welche denn?
Etwa jenes mit dem Papi-Tag. Meine beiden Bandkollegen, beide Väter, werden oft darauf angesprochen. Wenn sie mit den Kindern unterwegs sind, reden alle vom Papi-Tag. Habe ich denn immer Mami-Tag? Gewisse Dinge habe ich erst jetzt realisiert – und ich habe mich immer als emanzipiert betrachtet.
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